Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Chronikbeitrag aus: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 60 (2012), H. 1 S. 148-149

Verfasst von: Jan Kusber

Erwin Oberländer zum 75. Geburtstag

Wer im Februar 2011 erleben durfte, mit welcher Verve Erwin Oberländer die Vorstandswahlen des Verbandes der Osteuropahistoriker und -historikerinnen Deutschlands leitete, kann kaum glauben, dass er im März 2012 bereits seinen 75. Geburtstag begeht. Oberländer, geboren in Königsberg, kann auf eine vielfältige und abwechslungsreiche Karriere zurückblicken, deren Fundamente durch ein Studium in Köln bei Günther Stökl gelegt wurden. 1963 bis 1975 war Oberländer Mitarbeiter im Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln, arbeitete damit gleichsam anwendungsorientiert und wissenschaftlich zugleich. Gegen Ende seiner dortigen Dienstzeit war er 1974/75 abgeordnet an das Bundesinnenministerium, um an der Neuordnung bundesgeförderter Osteuropaforschung mitzuwirken. Danach lehrte und forschte Erwin Oberländer ein Jahrzehnt als Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 1985 folgte er einem Ruf als Nachfolger Gotthold Rhodes auf den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Zwischen 1980 und 1993 engagierte er sich im Vorstand des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und  historiker Deutschland, davon sechs Jahre als Vorsitzender. Einige Jahre war er Mitherausgeber dieser Zeitschrift.

Erwin Oberländer hat sich, als er nach Mainz kam, in der Osteuropäischen Zeitgeschichte einen hervorragenden Namen gemacht und sich unter anderem mit seinen kommentierten Dokumentationen über „Sowjetpatriotismus und Geschichte“ sowie den „Anarchismus“ bleibende Verdiente erworben. Seine Themen reichten aber über den zweifellos vorhandenen zeitgeschichtlichen Schwerpunkt hinaus. Arbeiten über die politischen Absichten von Testamentsfälschungen am Beispiel des apokryphen Testaments Peters des Großen, seine Mitarbeit am „Handbuch für Europäische Geschichte“ mit dem Beitrag zur russischen Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seine Mainzer Antrittsvorlesung zur Frage, ob Katharina II. Garantin der Verfassung des alten Reiches gewesen sei, seine Beschäftigung mit Russisch-Amerika mögen die Breite seiner Interessen andeuten.

Oberländer nahm seine Tätigkeit in Mainz in Zeiten auf, die gewohnte tradierte wissenschaftliche Konfliktlinien im Systemgegensatz brüchig werden ließen. Er hatte ein dezidiertes Interesse an historischen Fragen, die die Transformation mit Macht auf die Tagesordnung setzte. Er gab unter Einbeziehung betroffener Fachkollegen den Band „Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 – Das Ende Ostmitteleuropas?“ heraus. Oberländer sah deutlich den Vorwurf, dass der Monolith UdSSR den Blick auf die Gemengelage in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg überwölbt hatte. Vor allem konstatierte er vor dem Hintergrund von westlichen Modernisierungstheorien und Gruppeninteressenansätzen in der historischen Osteuropaforschung eine Unterschätzung des Nationalen für die Geschichte der Sowjetunion und des kommunistischen Blocks.

Aus seinem Befund entstand ein Netzwerk von Forschern, das ab 1993 unter Oberländers Leitung und unter Beteiligung Hans Lembergs, Holm Sundhaussens und anderer sich der Zwischenkriegszeit als einer Epoche in der Geschichte Ostmittel- und Südosteuropa annahm, die vom Anwachsen nationaler Spannungsmomente und der sukzessiven Errichtung von autoritären Regimen gekennzeichnet war. Mit einem großen, von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Projekt gewann Oberländer 20 Mitarbeiter aus 12 Ländern, leistete einen nachhaltigen Beitrag für die Entwicklungen der Geschichtswissenschaften in den jeweiligen Ländern und wurde damit seiner eigenen Forderung, dass historische Forschung nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs nur in engem Austausch mit den Historiographien der Länder und durch Forschung vor Ort erfolgreich sein könne, mehr als gerecht.

Erwin Oberländers Partnerschaft mit der Universität Lettlands in Riga führte zu enger Kooperation über Jahrzehnte: Lettische Historiker haben in Forschungsprojekten des Instituts mitgewirkt, lettische Studierende haben ein Studienjahr in Mainz verbracht, deutsche Studierende im Austausch die Universität Riga besucht. Dabei sind auch enge persönliche Verbindungen entstanden, die von Erwin Oberländer immer mit besonderem Wohl­wollen betrachtet wurden. Auch hatte sich in diesen Wirkungszusammenhängen ein regelrechter Kreis von ‚Rigabegeisterten‘ gefunden. Oberländer hat einen Forschungsverbund zu Geschichte Kurlands initiiert, einer frühneuzeitlichen Herrschaftsbildung, der er im Rahmen des Commonwealth frühneuzeitlicher europäischer Staaten stärkere Aufmerksamkeit verschaffen wollte. Aus diesem Verbund sind zahlreiche Qualifikationsschriften, Sammelbände, Quelleneditionen und Aufsätze hervorgegangen. Erwin Oberländer hat einen ausgezeichneten Ruf als kritischer, mitunter unbequemer Begleiter der lettischen Ge­schichtswissenschaft. Für sein Engagement für die Partnerschaft ist ihm die Ehrenpromotion der Universität Lettlands in Riga verliehen worden. Die Summe seiner Arbeit als Stellvertretender Vorsitzender zur Aufarbeitung der deutschen und sowjetischen Besatzungsherrschaften in Lettland ist mit dem von ihm mitherausgegebenen englischsprachigen Sammelband „The Hidden and Forbidden History of Latvia“ (2005) gezogen worden.

Nach seiner Pensionierung im Jahre 2002 hat sich Erwin Oberländer also keineswegs aus der Wissenschaft zurückgezogen. Jedes Jahr reist er nach Riga, organisiert Konferenzen und sucht das Gespräch, in dem er sich immer gegen national verengte Sichtweisen einsetzt. 2008 wurde er zum auswärtigen Mitglied der Lettischen Akademie der Wissenschaften gewählt. International, in Deutschland und in Mainz wird Erwin Oberländer als Historiker mit Augenmaß und klaren Positionen geschätzt. Seine klare und zugleich integrative, seine humorvolle und einnehmende Art, die ihm in Münster, Mainz und auch Riga eine große Zahl von Schülerinnen und Schülern beschert hat, wird hoch geschätzt. Sein Nachfolger und seine Kolleginnen und Kollegen würden ihn daher gern öfter zu Veranstaltungen und Gespräch aus Bonn nach Mainz locken. In diesem Sinne seien ihm und seiner Frau herzlichst gute Gesundheit und viele gemeinsame Jahre gewünscht!

Jan Kusber, Mainz

Zitierweise: Jan Kusber: Erwin Oberländer zum 75. Geburtstag in: 60 (2012), H. 1, S. 148-149, http://www.oei-dokumente.de/JGO/Chronik/Kusber_Laudatio_Oberlaender.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2012 by Osteuropa-Institut Regensburg and jan. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de