„Reading and Writing Lives“ lautete das Motto der 41. National Convention der „American Association for the Advancement of Slavic Studies“ (AAASS), die mit mehr als 1400 Teilnehmern vom 12. bis 15. November 2009 in Boston stattfand.

Die Panels zum Thema demonstrierten eine Vielfalt von biographischen Ansätzen und die Rückkehr der Akteure in die Geschichte anhand zahlreicher Beiträge zu Einzelbiographien. Die Konstruktion des „Self“ war ebenso präsent wie die Frage nach dem Schreiben von Biographien. Themen wie „Lives in Little Russia“, das Leben von Immigranten, der „Homo Imperii“ oder auch postsowjetische Identitäten zeigten, wie differenziert mittlerweile Leben gelesen und beschrieben werden kann. Ansätze, die Bildmedien auswerteten, überzeugten sowohl in ihrer Anwendung auf die Kultur früherer, noch schriftarmer Epochen wie auch auf modernes Leben.

Wie adliges Leben in der russischen Provinz des 18. Jahrhunderts aussah, ist Thema eines neuen  Forschungsprojekts, das das Deutsche Historische Institut Moskau in einem Panel präsentierte. Ein zwölfköpfiges Team, bestehend aus Historiker/innen und Archivar/innen aus Moskau, Tula und Orel erforscht die Adelskultur der drei zentralrussischen Gouvernements Moskau, Orel und Tula im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Geplant sind eine Regionalstudie sowie eine kommentierte Neuedition der Nakazy dieser Gouvernements für die Gesetzgebende Kommission von 1767. Für die Projektarbeit wurde eine eigene  Internetplattform eingerichtet, in der alle gesammelten Daten gespeichert und aufbereitet werden. Ein Teil dieses Kaleidoskops adligen Lebens wird als „Internetseite zur Adelskultur in der russischen Provinz“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. (www.dhi-moskau.org).

Der Kongress diente wie immer mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten Panels, Roundtables, Podiumsdiskussionen der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung des Fachs. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen dabei deutlich auf der russischen und sowjetischen Geschichte und Literaturwissenschaft. Veranstaltungen zu Ostmittel- oder Südosteuropa waren eher die Ausnahme ebenso wie soziologische oder kunsthistorische Panels. (Vgl. dazu auch den Bericht zur National Convention 2008, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 57 (2009) H. 1, S. 149–150).

Als Jubiläumsthema war vor allem das Umbruchsjahr 1989 in Osteuropa stark vertreten; ein Panel hatte die Schlacht von Poltava (1709) zum Gegenstand. Daneben wurden in Roundtable-Veranstaltungen Größen des Faches wie Marc Raeff und Wayne Vucinich und ihre Bedeutung für die Forschung gewürdigt. Ronald Suny, Sheila Fitzpatrick, Lewis Siegelbaum und Michael David-Fox diskutierten als wichtige Vertreter der amerikanischen Sowjet­union­forschung die Zukunft des Faches und reflektierten dabei auch ihre eigene, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion deutlich veränderte Position zu ihrem Untersuchungsgegenstand.

Mit verschiedenen Preisen wurden unter anderem folgende Forschungsarbeiten gewürdigt: Peter Andreas Blue Helmets and Black Markets: The Business of Survival in the Siege of Sarajevo (Cornell University Press); Laurie Manchester Holy Fathers, Secular Sons: Clergy, Intelligentsia, and the Modern Self in Revolutionary Russia (Northern Illinois University Press); Priscilla Meyer How the Russians Read the French: Lermontov, Doestoevsky, Tolstoy (University of Wisconsin Press); Elena Shulman Stalinism on the Frontier of Empire: Women and State Formation in the Soviet Far East (Cambridge University Press); Lewis H. Siegelbaum Cars for Comrades. The Life of the Soviet Automobile (Cornell University Press).

Ingrid Schierle, Deutsches Historisches Institut Moskau

Zitierweise: Ingrid Schierle: Bericht über den Jahreskongress der „American Association for the Advancement of Slavic Studies“, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 144-145: http://www.oei-dokumente.de/JGO/Chronik/Schierle_AAASS-Bericht_2009.html (Datum des Seitenbesuchs)