Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Chronikbeitrag aus: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 59 (2011) H. 1 S. 148-150

Verfasst von:Ludwig Steindorff

 

Frank Kämpfer 1938–2010

Am 12. November 2010 verstarb Frank Kämpfer in Hamburg nach kurzer Krankheit im Alter von 72 Jahren. Er war in den vergangenen vier Jahrzehnten, davon die längste Zeit in Münster, eine der prägenden Gestalten der deutschsprachigen Forschung zur Geschichte des Kiewer und des Moskauer Reiches. Und auch wenn er nach seiner Pensionierung 2003 vielfach erklärt hatte, er werde sich nun nicht mehr mit Altrussland beschäftigen, ist er den Jahrbüchern für Geschichte Osteuropas als Autor und Rezensent zu diesem Themenbereich bis ins Jahr 2010 treu geblieben. Vor allem aber nahm er 2008 an der X. Internationalen Konferenz zur altrussischen Geschichte in Kiel teil und verfasste einen Beitrag zum 2010 erschienenen Konferenzband. Auf der Konferenz selbst hat er, überraschend für alle Anwesenden, gar nicht seinen vorliegenden Beitrag zur Diskussion gestellt, sondern stattdessen eine Würdigung seines 1996 verstorbenen Lehrers und Förderers Werner Philipp vorgenommen und auf die Bezüge zwischen dessen Werk und gegenwärtiger Historiographie zu Altrussland verwiesen.

Frank Kämpfer wurde am 30. Juli 1938 in Rostock geboren. Nach dem Abitur in Dresden 1957 sah man ihn im Zuge der Kaderpolitik für eine Ausbildung zum Flugzeugtechniker vor. Seinen persönlichen Berufswünschen folgend, ging Frank Kämpfer 1961 nach Westberlin und begann an der Freien Universität das Studium der Osteuropäischen Geschichte, Slavistik und Kunstgeschichte. Schon 1966 promovierte er bei Werner Philipp mit einer Arbeit über die Eroberung des Zartums Kazan’ 1552 als Gegenstand der zeitgenössischen Historiographie; ergänzend hierzu publizierte er die kommentierte Übersetzung der für dieses Thema zentralen Quelle, die „Historie vom Zartum Kasan“.

Die Jahre 1968 bis 1970 verbrachte Frank Kämpfer als Postdoktorand an der Universität Belgrad und erwarb schließlich den Magistergrad dieser Hochschule im Fach Kunstgeschichte. Gleichzeitig wurde er dank zahlreicher Reisen zu einem hervorragenden Kenner der mittelalterlichen Kunsttopographie Südosteuropas. Auf die Belgrader Jahre geht das in zahlreichen Veröffentlichungen dokumentierte Interesse Frank Kämpfers an der altserbischen Hagiobiographie zurück.

Nach Jahren als Assistent in Heidelberg habilitierte sich Frank Kämpfer bei Helmut Neubauer 1976 mit seiner – 1978 in repräsentativer Form publizierten – Arbeit über „Das altrussische Herrscherbild“. Hierin verband er theoretische Ansätze der Semiotik mit historischer Darstellung. Nicht nur die Bildwelt Altrusslands von der Zeit der Christianisierung bis zu den Petrinischen Reformen, sondern auch viele Zeugnisse aus dem mittelalterlichen Serbien und Bulgarien sind in die Untersuchungen einbezogen.

1979 als Nachfolger von Manfred Hellmann an die Westfälische Wilhelms-Universität berufen, war Frank Kämpfer dort bis zu seiner Pensionierung 2003 Universitätsprofessor und Direktor der Abteilung für Osteuropäische Geschichte am Historischen Seminar. Von 1985 bis 1988 wirkte er zugleich als Geschäftsführender Herausgeber des in Münster beheimateten DFG-Projektes „Glossar zur frühmittelalterlichen Geschichte im östlichen Europa“. Von 1983 bis 2003 gehörte er dem Herausgeber-Kollegium dieser Zeitschrift an.

Über alle Schaffensjahre hinweg ist Frank Kämpfer der Geschichte Altrusslands treu geblieben. In einer Reihe von Aufsätzen ist er auf die Auswirkungen der Christianisierung auf Bildwelt und Bauerbe der Kiever Rus’ eingegangen. Auf der Grundlage von Vorarbeiten Günther Stökls hat er den umfangreichen Artikel über die Zeit Ivans IV. des Schrecklichen im „Handbuch der Geschichte Russlands“ verfasst, und immer wieder ist er zur Diskussion um das Ideologem vom „Dritten Rom“ und zu den frühneuzeitlichen Reiseberichten über Altrussland zurückgekehrt. Seiner Initiative und seinem Einsatz war es zu verdanken, dass 1999 anlässlich des 450. Jubiläums des Erscheinens von Herbersteins „Rerum Moscoviticarum commentarii“ eine große Tagung in Münster stattfand. In dem daraus hervorgegangenen Tagungsband kann man eine einstweilige Bilanz der internationalen Herberstein-Forschung sehen.

Es war auch Frank Kämpfers Idee, Herbersteins Werk in einer gegenüber allen bisherigen Publikationen viel handhabbareren Form zu präsentieren. Er veranlasste das Scannen und elektronische Einlesen der letzten lateinischen Ausgabe von 1556 und der von Herberstein selbst gefertigten deutschen Übersetzung von 1557 und begleitete die Erarbeitung eines Paralleldruckes beider Versionen. Wie weit die Texte sowohl im Bestand als auch in den einzelnen Formulierungen voneinander abweichen, ist erst auf diese Weise deutlich geworden. Aus diesem Projekt sind nicht nur eine online und als book on demand zugängliche deutsche Edition hervorgegangen, auch die von Anna Choroškevič betreute russische Edition von 2008 mit ergänzendem Paralleldruck der neurussischen Übersetzung baut hierauf auf.

Während der Münsteraner Jahre gewann das Thema der Bildpropaganda im 20. Jahrhundert das immer größere Interesse von Frank Kämpfer. Neben der Monographie „Der rote Keil“ über das frühsowjetische Plakat entstanden zahlreiche Fallstudien und Untersuchungen, die Bildpropaganda als universales Phänomen des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand haben.

In der Lehre entwickelte Frank Kämpfer zum einen ein vielfältiges und anspruchsvolles Angebot an Themen, das weite Bereiche der älteren Geschichte Osteuropas abdeckte. Zum anderen war es, vor allem in den letzten Jahren, sein Anliegen, auch die allgemeine historische Bildkunde in die Lehre einzubeziehen; dabei spannte er den Bogen von der Christianisierung der Bildwelt im Übergang von Spätantike zum Frühmittelalter bis zu den Medien der Bildpropaganda im 20. Jahrhundert. Auch noch nach seiner Pensionierung und Übersiedlung nach Hamburg 2003 hielt er an der dortigen Universität fast regelmäßig Vorlesungen zu diesem Themenkreis.

Es gelang Frank Kämpfer immer wieder, Studierende auch für ‚Exotisches‘ zu begeistern, sei es Holzbauarchitektur in Altrussland, sei es die religiöse Sonderbewegung der Bogomilen. Eines seiner Lieblingsthemen in der Lehre blieb die Geschichte der Adriastadt Dubrovnik. Auf Exkursionen nach Prag und Budapest, zu den mittelalterlichen serbischen Klöstern, nach Dalmatien, Istrien und Venedig profitierten die Studierenden auch von Frank Kämpfers kunstgeschichtlicher Kompetenz.

Unabhängig von der Vielfalt der Interessen in Forschung und Lehre gleichermaßen zieht sich durch das Wirken von Frank Kämpfer wie ein roter Faden das Anliegen, historische Fragestellungen mit Hilfe von Bildquellen zu beantworten, das Bild als historische Quelle aufzuwerten und das Handwerkszeug zur sachgerechten historischen Interpretation von Bildern bereitzustellen. Seine Forschungen zur Kulturgeschichte Altrusslands und des mittelalterlichen Südosteuropa wie auch zur modernen Propaganda sind vom methodischen Ansatz her über das Fach Osteuropäische Geschichte hinaus bahnbrechend geworden.

Jeder, der mit Frank Kämpfer zusammengearbeitet hat, erinnert sich an seine immensen Kenntnisse zu Quellen und Forschung wie auch an seine Kreativität und seinen Ideenreichtum. Zugleich war er offen für Interessen und Ideen anderer. Bürokratisch-hierarchische Strukturen waren ihm abhold. Den Freiraum, den er für sich beanspruchte, gewährte er gerne auch anderen. Zu vielen seiner Schülerinnen und Schüler bewahrte er ein freundschaftliches Verhältnis.

Die den Jahrbüchern für Geschichte Osteuropas als Herausgeber, Redakteure und Leser Verbundenen werden Frank Kämpfer ein ehrendes Gedenken bewahren.

Ludwig Steindorff, Kiel

Zitierweise: Ludwig Steindorff: Frank Kämpfer 1930–2010 in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. N.F. 59 (2011) H. 1, S. 148-150, http://www.oei-dokumente/JGO/Chronik/Steindorff_Nachruf_Kämpfer.html (Datum des Seitenbesuchs)

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