Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 65 (2017), H. 2, S. 340-341
Verfasst von: Udo Arnold
Anti Selart: Livonia, Rus’ and the Baltic Crusades in the Thirteenth Century. Leiden: Brill, 2015. 385 S., 2 Ktn. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 29. ISBN: 978-90-04-28474-6.
Diese bereits als Dissertation auf Estnisch und dann 2007 in deutscher Sprache in Köln unter dem Titel Livland und die Rus’ im 13. Jahrhundert veröffentlichte Arbeit wurde leicht ergänzt und aktualisiert, die Bibliographie ist „anglisiert“, und Rezensionshinweise wurden berücksichtigt; in der Grundstruktur erfuhr sie aber keine Änderungen. Insofern kann auf die seinerzeitige generell positive Besprechung in dieser Zeitschrift (56 [2008], S. 587–589) verwiesen werden. Die damals nicht aufgeschlüsselte inhaltliche Struktur sei kurz aufgezeigt. Nach einer einleitenden Vorstellung der Konfessionsverhältnisse, der westlichen Missionsansätze für den Raum und der päpstlichen Position folgen zwei Hauptteile, chronologisch getrennt durch den Amtsantritt des Rigaer Erzbischofs Albert Suerbeer 1245. Auch diese Teile werden zeitlich gegliedert in einen Zeitraum bis etwa 1230 sowie die dreißiger und vierziger Jahre des 13. Jahrhunderts mit einem abschließenden Quellenkapitel in Teil 1, in Teil 2 mit einer Zäsur etwa 1260 sowie einem erneuten Blick auf die russischen Territorien in den osteuropäischen Quellen von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Ein Anhang bringt Personallisten der wichtigsten Herrscher, genealogische Tafeln, Karten sowie eine Ortsnamenskonkordanz. Eine sehr ausführliche Bibliographie und ein Register beschließen den Band.
Zu betonen bleibt die konsequente Sicht von Livland nach Osten, auf die Rus’, die bei der Betrachtung der livländischen Auseinandersetzungen, d. h. als die Region in westliches Bewusstsein trat, auch in der westlich orientierten Historiographie normalerweise zu kurz kommt. Die Form ist ausgesprochen kleinschrittig narrativ und daher gut nachzuvollziehen. Selarts wichtigstes Ergebnis sei nochmals festgehalten: In seiner Untersuchungszeit von ca. 1180 bis 1330 habe es keine Kreuzzugsplanung gegen die Rus’ gegeben, es habe also kein genereller West-Ost-Gegensatz geherrscht. Gerade die situativ wechselnden Bündnisse, von ihm detailliert verfolgt, verdeutlichen diese Hauptthese in einleuchtender Art.
Beeindruckend ist die Breite der Quellen- und Literatursichtung, auch in sprachlicher Hinsicht. Dabei bemüht sich der Autor, ideologisch verfestigte Meinungen anhand intensiver Quellenanalyse zu relativieren. Typisches Beispiel ist seine Bewertung der Schlacht auf dem Eis des Peipussees 1242 zwischen Alexander von Novgorod („Nevskij“) und dem Deutschen Orden. Wenn noch im Jahr 2016 eine russische Karikatur Präsident Obama und Kanzlerin Merkel in Nachfolge des Ordens gegen Russland ziehen lässt, während Außenminister Steinmeier sich in Kenntnis jener Schlacht und ihres Ausgangs für die Angreifer rechtzeitig abseilt (siehe Spiegel Online v. 22.6.2016 nach einer Veröffentlichung der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti), wird die immer noch existente ideologische Bedeutung im 20./21. Jahrhundert sichtbar. Selart dagegen stellt die Schlacht für das 13. Jahrhundert „in the contest of local struggles for power“; ihr Charakter „as a significant event in the world history is based on purely ideological concerns and has little to do with the historical evidence“ (S. 168). Andererseits akzeptiert er die Tatsache, dass das Ergebnis die mittelalterliche Grenze zwischen Orthodoxie und römisch-katholischer Welt bildete. Hinzuzufügen wäre, dass diese Grenze auch politisch eine der stabilsten in Europa wurde, bis in die Gegenwart. Gleichzeitig gab die Schlacht das unmittelbare Signal zum Aufstand der Prußen gegen den Deutschen Orden, der erst sieben Jahre später mit einem Vertrag beendet wurde, in dem die Prußen mit dem Orden als Vertragspartner auf Augenhöhe standen. Damit hatte das mittelalterlich-lokale Ereignis doch weiterreichende Folgen, als zum Zeitpunkt des Ereignisses absehbar war. Hier wird die Schwierigkeit einer Bewertung nur aus dem Geschehen selber erkennbar, als allgemeines Problem bei Auslassung von Folgeerscheinungen und der Rezeptionsaufarbeitung.
Dieser an einem Einzelbeispiel verdeutlichte, jedoch zu generalisierende Einwand schmälert allerdings nicht die Bedeutung des Werkes für die thematische Aufarbeitung wie auch der neuerlichen Herausgabe für die Vermittlung in den englischen Sprachraum, in dem bereits die Region weitgehend unbekannt ist.
Zitierweise: Udo Arnold über: Anti Selart: Livonia, Rus’ and the Baltic Crusades in the Thirteenth Century. Leiden: Brill, 2015. 385 S., 2 Ktn. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 29. ISBN: 978-90-04-28474-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Arnold_Selart_Livonia_Rus_and_the_Baltic_Crusades.html (Datum des Seitenbesuchs)
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