Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 3, S.  437-439

Sergej N. Iskjul’ Vnešnjaja politika Rossii i Germanskie gosudarstva (1801–1812). Izdat. Indrik Moskva 2007. 391 S. ISBN 978-5-85759-416-2.

Die spannungsvollen und wechselhaften russländisch-deutschen Beziehungen Anfang des 19. Jahrhunderts gehören zu den klassischen Themenkomplexen der europäischen Mächtegeschichte. Diese umfassen neben den dynastischen Verbindungen Russlands mit südwest- und nordostdeutschen Häusern die Politik der wechselnden Allianzen mit oder gegen Frankreich, die Gegensätze des deutschen Dualismus und die Frage nach der Tragfähigkeit einer Koalition deutscher Kleinstaaten als dritter Kraft in Deutschland. Sowohl Frankreich als auch Russland versuchten sich hier als Vermittler – mit durchaus unterschiedlichem Erfolg.

Mit der Druckfassung seiner Petersburger Habilitationsschrift von 1997 legt S. N. Iskjul’ zu diesem Thema eine klassische diplomatie- und politikgeschichtliche Darstellung vor. Damit knüpft er an die Darstellung von Ulrike Eich an, die sich auf die Jahre 1812–1814 konzentrierte (U. Eich Rußland und Europa. Studien zur russischen Deutschlandpolitik in der Zeit des Wiener Kongresses. Köln 1986). Auf gut 300 Seiten zeichnet Iskjul chronologisch die russische Deutschlandpolitik der ersten Hälfte der Regierungszeit Alexanders I. nach. Dazu bindet er die bilateralen Verhandlungen, die er detailliert referiert, in den internationalen Rahmen ein, indem er vor allem die beiderseitigen Beziehungen zu Frankreich konsequent mit einbezieht.

Er stützt sich dabei gleichermaßen auf die umfangreichen russischen, deutschen und französischen Quelleneditionen wie auf nichtedierte Dokumente aus Russland. Die unveröffentlichten Quellen stammen vornehmlich aus dem Archiv für Auswärtige Politik (AVP RI), ergänzt um Materialien aus dem Archiv der Petersburger Akademie der Wissenschaften, dem Staatsarchiv der Russländischen Föderation (GARF), dem Historischen Archiv (RGIA) und der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek in Petersburg (RNB). Ein Anhang mit acht erstmals veröffentlichten Dokumenten (inklusive russischer Übersetzung der zum Teil französischsprachigen Originale), eine französische Zusammenfassung und ein Personenindex runden den Band ab.

Iskjul’, der bereits durch russisch- und deutschsprachige Beiträge zum Thema ausgewiesen ist, misst der „deutschen Frage“ eine „prioritäre“ Bedeutung für Russland zu (S. 10) und kommt damit zu einer anderen Einschätzung als Ulrike Eich für die Jahre 1812–1814. Ihrer Meinung nach spielte die Deutschlandpolitik innerhalb der Außenpolitik Alexanders I. nur eine untergeordnete Rolle (Eich Rußland und Europa, S. 420). Innerhalb der europäischen Mächtekonstellation am Anfang des 19. Jahrhunderts sieht Iskjul’ die russisch-deutschen Beziehungen als eines der wichtigsten Glieder der europäischen Diplomatie (S. 11). Dass das Thema nach Iskjul’s Aussage bislang kaum erforscht ist (S. 11), scheint dieser Einschätzung zu widersprechen, zumal er selbst in seiner Einleitung ausführlich die Historiographie zum Thema referiert. Tatsächlich sind trotz einiger Ansätze die Möglichkeiten, russische Ar­chivdokumente in die Forschung einzubeziehen, noch kaum hinreichend ausgeschöpft, so dass Iskjul’s Arbeit mit ihrem Schwerpunkt auf der russländischen Seite durchaus neue Details zu bieten hat.

Das gilt insbesondere für Kernfragen des russländisch-deutschen Verhältnisses wie die Wechsel der Koalitionspartner sowie die Versuche Alexanders I., seiner Minister, Diplomaten, außenpolitischen Berater und Unterhändler, auf die deutschen Territorien Einfluss zu nehmen. Die großen Linien hingegen vom französisch-russländischen Einvernehmen in Bezug auf die Stärkung der Kleinstaaten gegenüber Österreich und Preußen 1801, das preußisch-russische Bündnis, erweitert um Österreich bis zur Dreikaiserschlacht, die erneuerte französisch-russische Allianz 1807 bis zum Krieg 1812 sind bekannt und werden von Iskjul’ mit ausführlichen Berichten über die russländischen Strategien angereichert.

Diese Detailschilderungen werden im Schluss­kapitel leider kaum zusammengeführt oder bewertet. Hier fehlt insbesondere auch eine Einschätzung der Informations- und Entscheidungsabläufe für die russländische Politik. Gerade bei einer Arbeit, die auf neue Konzepte und Fragestellungen etwa der Kulturgeschichte vollständig verzichtet, wäre es wünschenswert gewesen, dass zumindest die Ergebnisse der Grundlagenarbeit im Sinne der traditionellen Diplomatiegeschichte analytisch gebündelt worden wären. Verdienstvoll ist, dass Iskjul’ Details aus unveröffentlichten Dokumenten zur russländischen Seite in die Diskussion einspeist, obwohl auch er feststellen muss, dass selbst ihm zu diesem Thema nicht alle vorhandenen Dokumente zugänglich gemacht wurden (S. 17).

Ragna Boden, Bochum

Zitierweise: Ragna Boden über: Sergej N. Iskjul’: Vnešnjaja politika Rossii i Germanskie gosudarstva (1801–1812). Izdat. Indrik Moskva 2007. ISBN 978-5-85759-416-2, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 437-439: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Boden_Iskjul_Vnesnjaja_politika.html (Datum des Seitenbesuchs)