Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Helmut Braun

 

Gaps in the Iron Curtain. Economic Relations Between Neutral and Socialist Countries in Cold War Europe. Edited by Gertrude Enderle-Burcel, Piotr Franaszek, Dieter Stiefel and Alice Teichova. Kraków: Wydawn. Uniwersytetu Jagiellońskiego, 2009. XVI, 293 S., Tab. ISBN 978-83-233-2532-1.

Eine Analyse der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den neutralen westlichen Staaten und den (europäischen) Mitgliedstaaten des COMECON (CMEA/RGW) während der Zeit des kalten Krieges stellte bisher ein Forschungsdesiderat dar. Im vorliegenden Sammelband, hervorgegangen aus Konferenzen in Wien und Bratislava sowie aus Session 101 auf der Internationalen Wirtschaftshistorischen Konferenz in Helsinki (2006), präsentieren 20 Beiträger aus 12 Staaten in 16 eher kurzen Aufsätzen – plus einer Einleitung durch die Herausgeber – ihre Forschungsergebnisse in vier Themenblöcken:

In Block I liegt der Schwerpunkt auf der Analyse der allgemeinen Außenwirtschaftspolitik ausgewählter neutraler Staaten (Österreich, Schweiz, Irland, Schweden, Finnland) gegenüber den sozialistischen Staaten. Die im Handel mit den sozialistischen Staaten dominante Form des bilateralen – oder nur wenige weitere Teilnehmer umfassenden – Warenaustausches wird besonders deutlich im Fall des sowjetisch-finnischen Handels bzw. der damit verbundenen besonderen Beziehungen beider Länder. Einen sehr interessanten Aspekt bringt die Untersuchung der Ost-West-Außenwirtschaftspolitik des neutralen Irland zwischen 1945 und 1955 an den Tag: Obwohl der irische Ost-West-Handel ohnehin wenig bedeutend war, forcierten die in Irland einflussreichen katholischen Kreise eine Reduktion dieses Handels auf ein Minimum.

Block II widmet sich mit vier Beiträgen speziell den Handelsbeziehungen Österreichs und deren Wirkungen auch im Hinblick auf eine politische und technologische Kontaktbrücke zwischen den beiden Militärblöcken. Dieser Schwerpunkt ist wesentlich der Tatsache geschuldet, dass das neutrale Österreich und die nun sozialistischen Nachfolgestaaten der früheren Habsburgermonarchie auch nach der Errichtung des „Eisernen Vorhangs“ weiterhin in nicht geringem Umfang Außenhandel miteinander pflegten. Jedoch werden in diesen „delicate relationships“ die ebenfalls historisch geprägten Verbindungen zu Jugoslawien, insbesondere zu den dortigen kroatischen und bosnischen Landesteilen als früheren k.&k.-Gebieten, ausgeklammert.

In Block III werden dann konkrete Handelsbeziehungen einer Analyse unterzogen. Hier wird, neben den Schwerpunktländern Schweiz, Schweden und Österreich auf Seiten der marktwirtschaftlich verfassten Staaten und den Zentralplanwirtschaften der Tschechoslowakei, der DDR und Polens kurz auch Jugoslawien mit seinem System der „Arbeiterselbstverwaltung“, und seine Position als gleichsam „zwischen beiden“ Polen liegend, behandelt. Die Wirkmächtigkeit historisch gewachsener Beziehungen wird exemplarisch gezeigt am Beispiel des Imports schwedischen Eisenerzes durch die Tschechoslowakei: Bereits zur Habsburgerzeit und dann in der Zwischenkriegszeit bezog die tschechische Schwerindustrie schwedisches Eisenerz; daran änderte auch der „Eiserne Vorhang“ grundsätzlich wenig – trotz US-amerikanischer Missfallensbekundungen.

Block IV stellt dann vertiefend die Geschäftsbeziehungen zwischen einzelnen Branchen und Firmen sozialistischer Staaten und ihren Partnern in den neutralen westlichen Staaten dar, so in Fallstudien zu den tschechischen Škoda-Werken, zur Eisen- und Stahlbranche sowie zu slowakischen Firmen.

Quer durch die Aufsätze in allen vier Blöcken ist erkennbar, dass die hier behandelten Wirtschaftsbeziehungen der neutralen westlichen Staaten von den nicht-neutralen Staaten, insbesondere von den USA, nicht gerne gesehen wurden, wenn auch mit im Laufe der Zeit wechselnden Gründen. So sollte bereits zu Beginn der fünfziger Jahre der Transfer von Hochtechnologien in den Osten durch die COCOM-Liste unterbunden werden, wobei sich auch neutrale westliche Staaten wie Österreich oder Schweden an die COCOM-Liste hielten. Damit wurde insbesondere in den achtziger Jahren eine Modernisierung der östlichen Volkswirtschaften erschwert, was mit zum bekannten Zusammenbruch des Ostblocks beitrug. Erläutert wird, wenn auch etwas verstreut in einzelnen Beiträgen, die Rolle der neutralen westlichen Staaten bei der Kreditierung östlicher Volkswirtschaften und bei der Gründung von Joint-ventures.

Insgesamt liegt hier eine erste, aber dennoch tiefgehende Bestandsaufnahme zu den noch weitgehend unerforschten Wirtschaftsbeziehungen neutraler westlicher Staaten mit den Mitgliedern des COMECON vor. Dabei wird eine Fülle an Literatur und Archivmaterial, welches nur in der jeweiligen Landessprache des betrachteten Staates vorliegt, erschlossen. Zudem verdeutlicht dieser sorgfältig redigierte Sammelband, dass zur näheren Durchleuchtung dieses Themenfeldes noch enorme Forschungsarbeit zu leisten ist, die aber ohne ein weiteres Zusammenwirken der jeweiligen Länderexperten in dafür speziell organisierten Forschungsnetzwerken schwerlich bewerkstelligt werden kann.

Helmut Braun, Regensburg

Zitierweise: Helmut Braun über: Gaps in the Iron Curtain. Economic Relations Between Neutral and Socialist Countries in Cold War Europe. Edited by Gertrude Enderle-Burcel, Piotr Franaszek, Dieter Stiefel and Alice Teichova. Wydawn. Uniwersytetu Jagiellońskiego Kraków 2009. ISBN 978-83-233-2532-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Braun_Gaps_in_the_Iron_Curtain.html (Datum des Seitenbesuchs)

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Zitierweise: Helmut Braun über: Gaps in the Iron Curtain. Economic Relations Between Neutral and Socialist Countries in Cold War Europe. Edited by Gertrude Enderle-Burcel, Piotr Franaszek, Dieter Stiefel and Alice Teichova. Wydawn. Uniwersytetu Jagiellońskiego Kraków 2009. ISBN 978-83-233-2532-1, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 59 (2011) H. 2, S. : http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Braun_Gaps_in_the_Iron_Curtain.html (Datum des Seitenbesuchs)