D. Ju. Arapov (Sost.) Imperatorskaja Rossija i musul’manskij mir (konec XVIII – načalo XX v.). Sbornik materialov [Das kaiserliche Russland und die muslimische Welt (Ende des 18. bis Beginn des 20. Jahrhunderts). Materialiensammlung]. Izdat. Natalis Moskva 2006. 480 S.

Anders als es der Titel nahelegt, spiegeln die in die­sem Materialienband vorgestellten Dokumen­te vor allem das Verhältnis des offiziellen Russ­lands zu den Muslimen innerhalb des Zarenreichs. Die Auswahl umfasst Gesetzestexte, daneben Rapporte, Memoranden und Projektentwürfe, in einzelnen Fällen auch private Schrei­ben oftmals berühmter Verantwortlicher wie A. P. Ermolov, D. A. Miljutin, P. A. Stolypin u.a. Der Zeitrahmen reicht von 1783 (Eingliederung der Krim) bis 1917, wobei das späte 19. Jahrhundert und besonders die letzten zwölf Jahre des Zarenreichs quantitativ stark dominieren.

Nach einem kurzen Exposé des Herausgebers, welches hauptsächlich die Entwicklung der zarischen Islampolitik und der mit den Muslimen befassten staatlichen Institutionen skizziert, sind die in chronologischer Folge geordneten Einzeleditionen jeweils dreigeteilt: Auf eine individuelle Einführung folgt das Dokument oder die Dokumentengruppe, ergänzt durch Anmerkungen und die wichtigste Literatur zum Thema. So ist jede Texteinheit in sich geschlossen. Dies wirkt leserfreundlich, hat aber seine Tücken, weil ein Personenregister fehlt und weil sich manche Texte, die nach Autor und Chronologie verschiedenen Einheiten zugeordnet sind, zwar explizit aufeinander beziehen, die Kommentare aber keinerlei Querverweise enthalten.

Thematische Schwerpunkte der Dokumente sind die Administration eroberter Muslim-Territorien und die Schaffung „geistlicher Verwaltungen“, um die fremde Religion ins Reich einzubinden; ferner die Behandlung von Muslimen in der zarischen Armee und das Aufkommen der Reformbewegung des Dschadidismus, der von den Regierungsorganen anfangs oft mit Jungtürkentum oder Panislamismus verwechselt wurde. Reflektiert werden zudem die internationale Dimension des Islams und deren Rückwirkungen – wiederkehrende Stichworte sind z.B. das osmanische Kalifat, die (unerwünschte) Pilgerfahrt nach Mekka, ab 1900 auch das politische Erwachen der muslimischen Welt. Selbst wenn viele der Texte nicht zum ersten Mal publiziert werden oder nur gekürzt erscheinen, bietet die Auswahl ein informatives Panorama zum allmählichen Wandel der Muslimpolitik des Zarenreichs. Erstaunlicherweise nahm der Wille, die­se zu liberalisieren, besonders unter Alek­sandr III. stark zu; die Furcht vor Islamismus und Panturkismus bewirkte allerdings, dass sich pragmatische Denker bis zur Februarrevolution nie wirklich durchsetzten. Gerade in der Sicht­bar­machung der hierbei wirkenden internen Diskurse liegt nun die Stärke des Bandes.

Clemens P. Sidorko, Schopfheim

Zitierweise: Clemens Sidorko über: D. Ju. Arapov (Sost.) Imperatorskaja Rossija i musul’manskij mir (konec XVIII – načalo XX v.) Sbornik materialov [Das kaiserliche Russland und die muslimische Welt (Ende des 18. bis Beginn des 20. Jahrhunderts). Materialiensammlung]. Izdat. Natalis Moskva 2006. 480 S. ISBN: 5-8062-0228-3, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Clemens-Sidorko-Arapov-Imperatorskaja-Rossija.html (Datum des Seitenbesuchs)