Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 3, S. 445‒446

Verfasst von: Hans-Christian Dahlmann, Hamburg

 

Jan Tomasz Gross / Irena Grudzińska-Gross: Złote żniwa. Rzecz o tym, co się działo na obrzeżach zagłady Żydow [Goldene Ernte. Was sich am Rande des Judenmords ereignete]. Kraków: Wydawnictwo Znak, 2011. 203 S. ISBN 978-83-240-1523-8.

Zeitschriften „Znak“ 3/2011 (159 Seiten, ISSN 0044-488X) und „Więż“ 7/2011 (166 Seiten, ISSN 0511-9405).

Ausgangspunkt des Buches „Goldene Ernte“ ist ein Foto, auf dem knapp 40 Personen zu sehen sind, die sich in zwei Reihen zu einem Gruppenbild aufgestellt haben. Einige halten Schaufeln in der Hand, andere sind uniformiert und tragen Gewehre. Vor ihnen liegen über ein Dutzend menschlicher Schädel und mehrere Knochen. Das Bild wurde in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre aufgenommen und zeigt Personen, die das Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Treblinka nach Gold und Wertsachen umgegraben haben.

Innerhalb von zehn Jahren veröffentlicht Jan Tomasz Gross hiermit sein drittes Buch zum polnisch-jüdischen Verhältnis während des Zweiten Weltkrieges und danach. Ähnlich wie seine Publikationen „Nachbarn“ über den Pogrom in Jedwabne (2001) und „Fear“ über den Antisemitismus im Polen der Nachkriegszeit (2006) entfachte auch sein neuestes, mit Irena Grudzińska verfasstes Werk in Polen eine emotionale Debatte. Mehrere qualifizierte Beiträge aus dieser Diskussion finden sich in den Periodika „Więż“ und „Znak“, die jeweils in einem Heft ihren Schwerpunkt auf das Buch von Gross legten.

Der Autor betont gleich zu Beginn, keine neuen Forschungsergebnisse vorzulegen, sondern sich auf die Veröffentlichungen zumeist polnischer Historiker zu beziehen, die er mit seinem Buch einem breiteren Publikum näher bringen wolle. Dennoch verdienen es einige seiner wie üblich zugespitzt formulierten Thesen, auch in der wissenschaftlichen Debatte beachtet zu werden. Gross und Grudzińska beschreiben, wie zahlreiche Menschen in verschiedenen Ländern Europas vom Judenmord profitierten; sie behandeln die Aufbewahrung jüdischen Eigentums durch gewöhnliche Bürger, den Mord an Juden durch die lokale Bevölkerung und die Aktivitäten der „Goldgräber“ in den Vernichtungslagern nach dem Krieg. Sie berichten beispielsweise von Menschen, die bei Beginn eines Pogroms zu ihren jüdischen Nachbarn gingen und diesen vorschlugen, ihnen ihre Wertgegenstände zu überlassen, da sie ohnehin gleich umkommen und die Dinge dann ihren Mördern in die Hände fallen würden (S. 125126).

In dem Buch „Goldene Ernte“ findet der Leser zahlreiche Argumente für die These, dass die Einwohner verschiedener Länder im Zweiten Weltkrieg unter teils aktiver, teils passiver deutscher Beteiligung einen Raubzug gegen die Juden durchführten. Diese ökonomistische Sichtweise ist vereinfachend. Sie wird aber bei Gross und Grudzińska wiederum an den Aspekt der Ideologie rückgekoppelt. Das Profitstreben der nichtjüdischen Bevölkerung habe nämlich im Zusammenhang mit dem Stereotyp vom reichen Juden gestanden.

So fragen die Autoren, was der Grund dafür gewesen sei, dass viele Polen, die während der Okkupation Juden versteckten, dies auch nach dem Krieg noch verschwiegen hätten. Ihre Antwort lautet, es habe daran gelegen, dass die lokale Bevölkerung vermutete, die Judenretter hätten durch ihr Handeln gut verdient und bei ihnen sei nun Geld zu holen. Damit sei das Risiko von Raubüberfällen gestiegen (S. 158). Diese These mag man als streitbar ansehen; nicht nachvollziehbar ist dagegen die direkt darauf folgende Argumentation, die Rettung von Juden gegen Geld setze ein Fragezeichen hinter die Behauptung, die Hilfe für Juden sei im besetzten Polen lebensgefährlich gewesen (S. 159). Gross und Grudzińska können sich nicht vorstellen, dass jemand sein Leben für Geld aufs Spiel setze; das tue man nur für seine Überzeugung oder aus prinzipiellen Beweggründen.

Es sind diese Art von Thesen, mit denen Gross seine Gegner in Polen erzürnt. Zu Recht wird ihm dann Vereinfachung vorgeworfen, wobei viele seiner Kritiker nicht selten anschließend auf noch weniger nachvollziehbare Argumentationswege abgleiten. Aber Gross hat auch seriöse Kritiker, wie die Beiträge in „Więż“ und „Znak“ zeigen. Doch auch deren Argumentationen sind manchmal vereinfachend. Władysław Bar­to­szew­ski widerspricht Gross beispielsweise in einem Interview in „Więż“. Seine zentrale Aussage lautet, während des Zweiten Weltkrieges seien viele Personen von gewöhnlichen Menschen ausgeraubt worden, weil sich die Möglichkeit dazu ergab und ohne dass dem eine feindliche Einstellung zu Grunde gelegen habe. Damit vernachlässigt Bartoszewski die Ideologie des Antisemitismus jedoch noch in einem stärkeren Maße als Gross und Grudzińska in ihrem jüngsten Buch.

Hans-Christian Dahlmann, Hamburg

Zitierweise: Hans-Christian Dahlmann, Hamburg über: Jan Tomasz Gross / Irena Grudzińska-Gross: Złote żniwa. Rzecz o tym, co się działo na obrzeżach zagłady Żydow [Goldene Ernte. Was sich am Rande des Judenmords ereignete]. Kraków: Wydawnictwo Znak, 2011. 203 S. ISBN 978-83-240-1523-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Dahlmann_Gross_Zlote_zniwa.html (Datum des Seitenbesuchs)

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