Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Björn M. Felder

 

Bogdan Musial Sowjetische Partisanen 1941–1944. Mythos und Wirklichkeit. Paderborn [usw.]: Schöningh, 2009. 592 S. ISBN: 978-3-506-76687-8.

Historische Mythen sind langlebig. Noch heute umgibt die sowjetischen Partisanen des Zweiten Weltkrieges eine Aura vom opferbereiten Heldenmut einer antifaschistischen Volksbewegung, die spontan aus sich selbst heraus entstanden sei und entscheidend zum Ausgang des Krieges beigetragen habe. Vor allem in Russland und speziell in Weißrussland, wo sowjetische Mythen noch hoch im Kurs stehen, wird der Partisanenkult weiterhin betrieben.

Schaut man hinter den Schleier der Propaganda, kommt ein ganz anderes Bild zutage. Es sind apokalyptische Landschaften: Raub, Mord, Plünderungen, Vergewaltigung. Ganze Dörfer werden vernichtet, die Bewohner verschleppt oder massakriert. Die ländliche Bevölkerung wird ähnlich wie im Dreißigjährigen Krieg zur Geisel der kriegführenden Mächte und ist der marodierenden Soldateska beider Seiten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Bogdan Musial geht dem auf den Grund. Er schildert ausführlich die Partisanenbewegung in Weißrussland und die Folgen des Partisanenkrieges für die Bevölkerung. Dabei geht er zunächst auf den Aufbau der Partisaneneinheiten durch die Moskauer Führung ein und beschreibt chronologisch den Partisanenkrieg von 1941 bis 1944 vor allem aus der sowjetischen Perspektive. In einem weiteren, strukturellen Teil erörtert der Autor verschiedene Aspekte wie die Disziplin, die Propaganda, Feindbilder, die Versorgung mit Waffen und Ausrüstung etc. Besonders interessant sind seine Ausführungen zur Sozialstruktur, dem Alltag sowie zur Gewaltkultur. Ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchung gilt dem Thema „Ethnizität“, wodurch sich der Autor in eine noch sehr junge Forschungsrichtung einreiht, welche die Wichtigkeit dieses Aspekts in dieser Region betont, lebten doch im multi­ethnischen Weißrussland neben Weißrussen vor allem Polen und Juden. So gilt Mu­sials Interesse auch ethnischen Spannungen innerhalb der Partisanenbewegung. Besonders aufschlussreich sind seine Ausführungen zum Umgang der Partisanen mit den Juden in den eigenen Reihen, besonders mit den vor dem Holocaust geflüchteten Juden, sowie zum Kampf der sowjetischen Partisanen gegen polnische Partisanen in der Region.

Laut Musil sind die sowjetischen Partisanen nur insofern eine Erfolgsgeschichte, als es aufgrund ihrer mangelhaften Organisation und Ausrüstung erstaunt, dass sie überhaupt aktiv waren. Erfolge führt er vor allem auf die Leistung einzelner Führer zurück. Im Abgleich mit deutschen Quellen konstatiert der Autor, dass nach Stalins Befehl zur Bildung von Partisanenverbänden im Sommer 1941 deren Aufbau nur sehr schleppend vorankam. Einen tatsächlichen militärischen Erfolg sieht der Autor im „Schienenkrieg“ 1943, da erstmalig der deutsche Nachschub durch die Zerstörung von Bahnlinien und Zügen wirksam beeinträchtigt wurde. Dagegen hatten die Partisanen keinen Anteil am Zusammenbruch der deutschen Front im Sommer 1944. Gerade in dieser kritischen Phase waren die deutschen „Partisanenjäger“ besonders erfolgreich. So seien die geringen Erfolge der Partisanen nicht nur der recht wirkungsvoller Abwehr durch die Deutschen und der schlechter Ausrüstung geschuldet gewesen, sondern sie resultierten auch aus der mangelnden Motivation vieler Partisanen, waren doch viele in den Dörfern zwangsverpflichtet worden.

Der Autor zeichnet ein sehr gewalttätiges Bild der Partisanen. Laut Musial bestand ihre Hauptbetätigung darin, die lokale Bevölkerung zu terrorisieren, denn es war, zumal bei der schlechten Ausrüstung, viel einfacher, gegen unbewaffnete Bauern vorzugehen, als deutsche Truppen anzugreifen. Der Mangel an Lebensmitteln machte dies auch praktisch notwendig. Entgegen dem sowjetischen Mythos waren die Bauern im allgemeinen nicht „gern“ und „freiwillig“ zur Abgabe des von Partisanen Benötigten bereit, wie Aussagen von Zeitzeugen belegen. Selbst ehemalige Partisanen bezeichneten sich rückblickend als „Banditen“ und gestanden den ausgeübten Terror ein. Gleichwohl hatte dieser auch einen politische Zweck: Die deutschen Besatzer und die Partisanen kämpften gleichsam um die ländliche Bevölkerung. Im Unterschied zu den Polen wurden die Weißrussen von den Deutschen umworben; sie durften eigene Polizeikräfte und lokale Verwaltungen einrichten. Ziel der Partisanen hingegen war es, die durch die Deutschen geschaffenen Strukturen zu zerstören und durch extremen Terror jegliche Unterstützung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten für die Besatzer im Keim zu ersticken. Die deutschen Maßnahmen gegen die Partisanen und alle diejenigen, die deren Unterstützung verdächtigt wurden, waren extrem grausam: So wurden die gegen die Partisanen gerichteten Aktionen nicht als Tarnung zur Vernichtung lokaler jüdischer Ghettos genutzt. Die „Partisanenjäger“ gingen dazu über, „tote Zonen“ zu schaffen: Zunächst wurden die Bauern im Rahmen dieser Aktionen einfach ermordet, um den Partisanen jede mögliche Unterstützung zu nehmen, später verschleppten die Deutschen die Dorfbewohner zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Musial zufolge standen die Partisanen den Deutschen hinsichtlich Grausamkeit in nichts nach: Sie ermordeten gezielt ihre Gegner in den Dörfern, meist die ganzen Familien. Nicht selten wurden ganze Dörfer niedergebrannt und deren Einwohner vernichtet: Die Partisanen errichteten ein Terrorregime in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Wer nicht Folge leisten wollte, wurde kurzerhand erschossen oder war zum verhungern verurteilt, nachdem die Partisanen die Lebensmittel aus den Dörfern geraubt hatten.

Mit seinen Thesen steht Musial nicht allein. Die jüngsten Studien zu den sowjetischen Partisanen in der Ukraine (A. Gogun Stalinskie kommandos. Ukrainskie partizanskie formirovanija. Maloizučennye stranicy istorii 1941–1944. Moskva 2008.) und im baltischen Raum (B. Felder Lettland im Zweiten Weltkrieg. Zwischen sowjetischen und deutschen Besatzern 1940–1946. Paderborn 2009) kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Politischer Terror wurde auch gezielt gegen Partisanen bzw. Partisanenverbände anderer Ethnizität ausgeübt. Während Antisemitismus offensichtlich mehr ein – wenn auch weit verbreitetes – individuelles als ein strukturelles Phänomen unter den Partisanen war, so weist Musial nach, dass Moskau nach einer anfänglichen Phase der Kooperation bemüht war, systematisch die polnischen Partisanen, also die Mitglieder des nationalen Widerstandes (Armia Krajowa), auf weißrussischem Gebiet zu vernichten. Die Auseinandersetzungen mit dem sowjetischen Gegner führten gegen Ende des Krieges sogar zu Zweckbündnissen der polnischen Partisanen mit den Deutschen, so etwa 1944 im Raum Wilna. Was für die polnische Seite die einzige Möglichkeit war zu überleben, wurde später in der sowjetischen Historiographie als ‚Beweis‘ der faschistischen Gesinnung der Polen ausgelegt, ohne auf die Ursache für deren Kooperation mit den Deutschen einzugehen. Bis heute ist diese einseitige Darstellung selbst unter deutschen Historikern vertreten worden.

Musials Darstellung ist sehr umfassend und detailliert. Der Autor hat jahrelang Material in Archiven in Russland, Weißrussland, Deutschland, Litauen, Polen, den USA und Israel gesammelt. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die sich ebenfalls mit der Thematik beschäftigten, hat er auch Zeitzeugen vor Ort interviewt. Die breite Quellenbasis stellt eindeutig eine Stärke des Buches dar, verleiht sie doch dem Werk ein hohes Maß an Authentizität. Freilich hätte der Autor an der einen oder anderen Stelle auch weniger ausführlich aus den Quellen zitieren können. Das besondere Verdienst Musials ist es, die furchtbare Lage der einfachen Bevölkerung ausführlich dargestellt zu haben. Insgesamt hat Musial ein umfangreiches, quellengesättigtes und meinungsstarkes Standardwerk von bleibendem Wert zu den sowjetischen Partisanen, nicht nur in Weißrussland, geschaffen.

Björn M. Felder, Lüneburg

Zitierweise: Björn M. Felder über: Bogdan Musial Sowjetische Partisanen 1941–1944. Mythos und Wirklichkeit. Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn [usw.] 2009. ISBN: 978-3-506-76687-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Felder_Musial_Sowjetische_Partisanen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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