Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Klaus-Peter Friedrich

 

Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.) Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 8: Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Płaszów, Kulmhof/Chełmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka. München: Beck, 2008. 576 S., 10 Ktn., 11 Abb. ISBN: 978-3-406-57237-1.

Die Reihe „Der Ort des Terrors“ bietet einen Gesamtüberblick über die Konzentrationslager im nationalsozialistischen Deutschen Reich und in den von ihm besetzten Gebieten. Sie geht auf die Initiative von Wolfgang Benz, langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, und Barbara Distel, der ehemaligen Leiterin der Gedenkstätte Dachau, zurück. Die vorherigen Bände befassten sich in einmal mehr, einmal weniger ausführlichen Einzeldarstellungen mit den Hauptlagern in der Aufeinanderfolge ihrer Entstehungszeit, und sie gaben einen Überblick über eine Unzahl von diesen untergeordneten Außenlagern. Im achten Band werden auch Lager berücksichtigt, die nicht der Inspektion der Konzentrationslager unterstanden: die Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ im Generalgouvernement, bei deren Einrichtung Himmler und seine regionalen Repräsentanten wie auch die Kanzlei des Führers führend beteiligt waren.

Der Aufbau der Beiträge ist ähnlich. Es geht um Gründung und Ausbau der Lager, ihre interne Organisation und das Handeln der Täter. Gleichgewichtig daneben stehen die verschiedenen Opfergruppen, deren Leidensgeschichte, Selbstbehauptungswille und Widerstand. Zudem wird der Standort der Lager im Gesamtzusammenhang des nationalsozialistischen Judenmords und der Besatzungspolitik in der Region untersucht. Den Anfang macht Franziska Jahn mit ihrer Darstellung des Stammlagers Riga-Kaiserwald (S. 17–63), das die deutschen Eroberer im März 1943 im Stadtteil Mežaparks einrichteten. In dem ehemals deutsch geprägten Villenvorort und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zentralverwaltung des „Reichskommissariats Ostland“ gelegen, war es Schauplatz der Endphase der Judenvernichtung im besetzten Lettland. Von August 1944 an deportierten die Besatzer die verbliebenen Insassen – nach einer abermaligen „Selektion“ – über die Ostsee nach Danzig in das Lager Stutthof, wo Tausende umkamen. Von den rund 70.000 Juden Lettlands entgingen nur etwa 1,5 % dem Judenmord, von den aus dem Reichsgebiet und dem Protektorat Verschleppten überlebten etwa 1100.

Mit dem Konzentrationslager Warschau befasst sich Andreas Mix, der auch die beachtliche polnische Forschungsliteratur einbezieht (S. 91–126). Es entstand im Juli 1943 in einem Gebäudekomplex an der Gęsia-Straße. Von 1941 bis 1943 war hier der Zentralarrest des jüdischen Ordnungsdienstes, von 1942 an waren auch Büros des Judenrats untergebracht. Da das Gefängnis für alle Gefangenen zu klein war, wurden im Herbst 1943 zusätzlich Baracken errichtet. Im Juni 1944 war das KZ fertig ausgebaut und konnte mehrere Tausend Personen aufnehmen (S. 101). Unter den Lagerkommandanten Wilhelm Göcke, Nikolaus Herbet und Friedrich Wilhelm Ruppert setzte sich das Wachpersonal zumeist aus sogenannten volksdeutschen SS-Männern aus Südosteuropa und aus osteuropäischen Hilfskräften zusammen (S. 105–106, 110–111). Ehe es beim Warschauer Aufstand im August 1944 von der Heimatarmee befreit wurde, war das Lager einige Wochen lang dem KZ Majdanek unterstellt.

Die Geschichte des KZ Vaivara im Nordosten des sogenannten Generalbezirks Estland schildert Ruth Bettina Birn (S. 131–147). Die Häftlinge wurden vor allem in der Ölschiefergewinnung eingesetzt. Bei der Evakuierung des Lagers wurden die Überlebenden im Winter 1944 teils zu Fuß nach Westen getrieben, teils auch per Schiff deportiert. Den Konzentrationslagerkomplex im sogenannten Generalbezirk Litauen beleuchtet Jürgen Matthäus (S. 189–208). Das KZ in Kaunas ging aus dem Getto hervor, dass – wie die Gettos im gesamten „Ostland“ – auf Befehl Himmlers Mitte 1943 aufgelöst werden musste. Der Übergang vollzog sich jedoch verzögert und in Etappen unter der Leitung des im September aus Warschau versetzten Kommandanten Göcke, dem bald darauf eine Wachmannschaft von 700 Personen unterstand. Etwa 15.000 Juden waren im Konzentrationslager Kaunas und seinen Außenlagern inhaftiert; nachdem die SS den Stadtteil niedergebrannt hatte, fand die Rote Armee bei ihrem Einmarsch nur noch 90 jüdische Personen vor. Wie andernorts wurden alte Menschen, Kranke, Kinder und als nicht arbeitsfähig Eingestufte ermordet. Das KZ bestand bis Mitte 1944, als die Häftlinge nach Stutthof verschleppt wurden. Einen Teil der Frauen und Kinder aus Kaunas deportierte die SS nach Auschwitz, die Männer – nach einer „Selektion“ – weiter in den Dachauer Außenlagerkomplex Kaufering; dort starb Mitte Oktober der ehemalige Judenrats-Vorsitzende Dr. Elchanan Elkes, den Matthäus als „Beschützer der Juden von Kaunas“ (S. 202) würdigt.

Eines der größten Lager im Westen des Generalgouvernements betrachtet Angelina Awtuszewska-Ettrich in ihrem Beitrag zum Lager Płaszów in Krakau (S. 235–287). Es entstand Ende 1942 teils auf dem Gelände zweier Jüdischer Friedhöfe und sollte 15.000 Juden aus dem Distrikt Krakau aufnehmen (S. 238). Später war es eine Zeitlang dem KZ Majdanek unterstellt, ehe es im April 1944 unter dem Kommandanten Amon Göth selbstständig wurde; ein halbes Jahr danach musste dieser sich in einem SS-internen Verfahren wegen Amtsanmaßung und Korruption verantworten, wegen seiner Schreckensherrschaft wurde er jedoch erst in einem polnischen Verfahren belangt und 1946 abgeurteilt und hingerichtet. Die Verfasserin reißt hier einen bislang kaum bekannten Aspekt an, indem sie die Verpflichtung jüdischer Wissenschaftler zu naturwissenschaftlichen Arbeitsvorhaben des Instituts für Deutsche Ostarbeit anspricht (S. 259–260).

Darstellungen von jeweils 30–40 Seiten gelten den Tötungsanstalten der „Aktion Reinhardt“ und dem Vernichtungslager im Warthegau in Chełmno/Kulmhof (S. 301–328). Das Geschehen dort hat auf der Grundlage einer bestechenden Kenntnis der deutschen Aktenlage Peter Klein untersucht. Die größte Tötungsanstalt im Distrikt Lublin behandelt Robert Kuwałek, der auch eine neue Darstellung zu Bełżec vorgelegt hat (Robert Kuwałek Obóz zagłady w Bełżcu. Lublin 2005). Den Wissensstand zu Sobibór legt Barbara Distel und den zu Treblinka Wolfgang Benz aufgrund der bekannten Literatur dar. Letzterer beendet seinen Beitrag mit einer sehr persönlichen, anrührenden Erinnerung an Richard Glazar, die zum Abschluss des Bandes einen der letzten jüdischen Zeitzeugen in den Mittelpunkt rückt. Allein Kuwałek hat die polnische Forschung und polnischsprachige Zeugenberichte einbezogen, und nur er kann für das mittlerweile etwas veraltete Standardwerk zu den Vernichtungslagern im Generalgouvernement, das nie ins Deutsche übersetzt wurde (Yitzhak Arad Belzec, Sobibor, Treblinka. The Operation Reinhard Death Camps. Bloomington, IN 1987), einen aktualisierten Ersatz bieten.

Die Autor(inn)en hatten infolge der systematischen Vernichtung der Lagerdokumentation meist mit einer dürftigen Aktenlage zu tun. Besonders die Beiträge, die Zusammenfassungen von Erkenntnissen bieten, welche im Zuge von Dissertationsprojekten auf breiter Quellengrundlage erarbeitet wurden, bieten Neues. Ansonsten sind solide Resümees des derzeitigen Wissens entstanden. Zu begrüßen ist, dass die Beiträge stets auch die Nachgeschichte der Lager in den Blick nehmen, über die vollzogene oder unterlassene strafrechtliche Ahndung der Täter berichten und auch knapp den Status des jeweiligen Lagers in der nationalen Erinnerungskultur, die Formen des Nachkriegsgedenkens und politische Instrumentalisierungen betrachten. Literaturhinweise am Ende der einzelnen Beiträge laden zur weitergehenden Lektüre ein.

Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.) Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 8: Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Płaszów, Kulmhof/Chełmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka. Verlag C. H. Beck München 2008. ISBN: 978-3-406-57237-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Benz_Ort_des_Terrors_8.html (Datum des Seitenbesuchs)

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