Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012) H. 2, S. 302-304

Verfasst von: Klaus-Peter Friedrich

 

Marek Jan Chodakiewicz: Po Zagładzie. Stosunki polsko-żydowskie 1944–1947 [Nach der Vernichtung. Die polnisch-jüdischen Beziehungen 1944–1947]. Przedmowa Wojciech Roszkowski. Przekład Anna Madej. Warszawa: Instytut Pamięci Narodowej (IPN), 2008. 252 S., 8 Tab. = Monografie, 38. ISBN: 978-83-60464-64-9.

Fünf Jahre nach der US-amerikanischen Originalausgabe (After the Holocaust. Polish-Jewish Conflict in the Wake of World War II. Boulder 2003) hat das Institut für das Nationale Gedenken (IPN) eine Übersetzung der Dissertation von Marek Jan Chodakiewicz veröffentlicht. Wie Wojciech Roszkowski, Zeithistoriker und Politiker der Kaczyński-Partei Prawo i Sprawiedliwość, in seinem Vorwort ankündigt, erwartet den Leser eine mit aller Sorgfalt recherchierte und auf umfassende Quellenkenntnis gestützte Untersuchung über das Verhältnis zwischen Polen und Juden in den ersten drei Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Zugleich stellt er fest, dass man für diese Phase der polnischen Geschichte nur noch in den USA größeres Interesse habe; im nachkommunistischen Polen dagegen hätten Juden und Nicht-Juden über die Bewertung damaliger kollektiver Verhaltensmuster bereits bestes Einvernehmen erzielt – eine Behauptung, die angesichts der teils sehr heftigen Debatten von 2000/2001, 2006 und 2011 um drei Bücher von Jan Tomasz Gross überrascht.

Chodakiewicz macht den Leser zunächst mit der Lage Polens in den betreffenden Jahren und mit dem nationalistischen, rechtsradikalen Teil der dortigen Widerstandsbewegung vertraut. Sodann blickt er auf „die jüdische Gemeinschaft und die Kommunisten“ und auf die „Propaganda der Kämpfer für die Unabhängigkeit Polens (niepodległościowcy)“. In weiteren Kapiteln analysiert er kollektive Verhaltensweisen auf Seiten der Juden und befasst sich mit deren Wahrnehmung durch ihre Gegner unter den polnischen Nationalisten – und umgekehrt. Danach erläutert er, dass er beim Großteil der antijüdischen Gewaltakte keinen antisemitischen Hintergrund erkennen könne bzw. die Umstände nicht geklärt seien. Das vorletzte Kapitel enthält Angaben über Fälle, in denen Juden als Helfer von Polen auftraten. Schließlich folgen eine statistische Ergebniszusammenstellung, aus der hervorgeht, dass „Juden“ eine weit größere Zahl von Polen umgebracht hätten als umgekehrt, und eine Zusammenfassung.

Der Verfasser stellt die von Polen ausgeübte antijüdische Gewalt als einen Nationalitätenkonflikt dar, an dessen Verschärfung sich sowohl Polen als auch Juden beteiligt hätten. Zudem beruhe sie auf antikommunistischen Einstellungen – statt, wie besonders außerhalb Polens festgestellt wurde, auf einem verbreiteten Antisemitismus. Immer wieder ist es ihm um eine moralische Rehabilitierung der sog. Nationalen Streitkräfte (Narodowe Siły Zbrojne, NSZ) zu tun, des bewaffneten Armes der rechtsgerichteten Widerstandsgruppen. Dies schlägt sich nieder in einem schwarz-weiß gezeichneten Bild der Verhältnisse, wobei sowjetische Eroberer und ihre vom Verfasser zu Verrätern gestempelten, angeblich überwiegend jüdischen Helfer den von Glorienschein umgebenen Antikommunisten den Garaus machten. Er übersieht, dass manche Polen während der kommunistischen Machtübernahme (teils mehrfach) die Seiten wechselten und dass sich auch zahlreiche Nichtkommunisten und Nicht-Juden dem neuen Regime anpassten (also: kollaborierten).

Die Vorgehensweise von Chodakiewicz ist weitgehend selektiv und impressionistisch. So führt er zahlreiche seiner Beweisführung zuträgliche Aussagen aus jüdischen Erinnerungsberichten an, ohne sich die Mühe zu machen, sie auf der Grundlage anderer Quellen zu verifizieren. Aussagen über Geschehnisse, in denen ethnische Polen an der Ermordung von Juden beteiligt waren, werden dagegen als ungenügend aufgeklärt zurückgewiesen; zugleich wird gefordert, sie anhand weiterer Quellen zu überprüfen (S. 20). Zwar gesteht der Verfasser zu, dass die rechten Gruppierungen eine rabiate antijüdische Propaganda gegen die „Judenkommune (żydokomuna)“ betrieben hätten und nennt Beispiele für diese Hasspropaganda. Dass sie sich in verbrecherisches Handeln umgesetzt habe, stellt er ungeprüft in Abrede. Interne Dokumente mit Aussagen der NSZ-Organisation über an Juden vollstreckte Todesurteile werden daher − mit wenig Überzeugungskraft − als angebliche Fälschungen seitens der kommunistischen Verfolgungsorgane in Zweifel gezogen und zurückgewiesen (S. 21). Nationaldemokratischen ideologischen Versatzstücken entspricht es auch, der jüdischen Bevölkerung einen tiefverwurzelten „Antipolonismus“ zu unterstellen (S. 71). Eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem nationaldemokratischen Erbe der polnischen Nationalideologie findet nicht statt.

Der Verfasser verstrickt sich in zahlreiche Widersprüche. Beispielsweise macht er mehrfach deutlich, dass jüdische Mitarbeiter der neuen Machthaber sich durch Namenswechsel und ähnliche Anpassungsmaßnahmen als ethnische Polen zu tarnen pflegten. Ein andermal suggeriert er (wenig glaubwürdig), sie hätten ihre jüdischen religiösen Bräuche auch als Kommunisten offen und ungeniert weiter gepflegt. Über den Anteil von Juden in der polnischen Volksarmee und in den kommunistischen Sicherheitsorganen kolportiert Chodakiewicz geradezu fantastische Zahlen – obwohl er zuvor selbst festgestellt hat, dass die Volksarmee von Sowjets kommandiert worden sei. Für Chodakiewicz verkörpert sich das neue Regime in den Sowjetorganen und deren „polnischen kommunistischen Stellvertretern“, die hier stets nur als anonymer Sammelbegriff auftauchen. Zudem legt Chodakiewicz keine empirisch nachvollziehbare (und für Polen bis heute überfällige) Untersuchung zum Umgang mit der Restitution jüdischen Besitzes an die unter der NS-Okkupation Enteigneten oder an ihre Erben vor. Und da wir es in diesem Band mehrheitlich mit (weitgehend) akkulturierten Juden zu tun haben, erweist es sich als gravierender Mangel, dass die verwickelte Problematik der Assimilierung völlig unberücksichtigt bleibt. Hinter der auf S. 101 genannten „Bande Wasilewskis [sic]“ verbirgt sich übrigens die polnische Volksarmee, bei deren Gründung 1943 die polnische (nichtjüdische) Kommunistin Wanda Wasilewska eine wichtige Rolle gespielt hatte.

Das Ganze erweckt den Eindruck, hier seien viel Fleiß und Eifer in eine Untersuchung eingeflossen, die einen offensichtlichen vergangenheitspolitischen Zweck verfolgt, während die Grundannahmen unzutreffend sind und nur dank einer ausgesprochen tendenziösen Herangehensweise überhaupt den Anschein erwecken können, stimmig zu sein. Sie passt sich daher gut ein in die programmatische Ausrichtung des IPN. Hatte das Institut zu Beginn des Jahrzehnts bedeutende Forschungsarbeiten zu den polnisch-jüdischen Beziehungen in den Jahren der NS-Okkupation durchgeführt, so konzentrierte sich das Interesse danach auf zwei Aspekte – den Märtyrer-Status der ethnisch polnischen Bevölkerung und ein eher randständiges Phänomen: die Hilfe von Polen für Juden.

Doch ungeachtet solch konzertierter Bemühungen, dem Vorwurf des Antisemitismus die Grundlage zu entziehen, waren die Verbrechen, die Polen damals an Juden begingen, ganz überwiegend mit antisemitischen Stimmungen und Einstellungen verbunden. Und diese prägten auch die antijüdische Wahrnehmung der Geschehnisse sowohl durch die rechten Untergrundgruppen wie durch weite Teile – wenn nicht gar die Mehrheit – der Bevölkerung.

Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Marek Jan Chodakiewicz Po Zagładzie. Stosunki polsko-żydowskie 1944–1947 [Nach der Vernichtung. Die polnisch-jüdischen Beziehungen 1944–1947]. Przedmowa Wojciech Roszkowski. Przekład Anna Madej. Warszawa: Instytut Pamięci Narodowej (IPN), 2008. 252 S., 8 Tab. = Monografie, 38. ISBN: 978-83-60464-64-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Chodakiewicz_Po_zagladzie.html (Datum des Seitenbesuchs)

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