Pamiętnik Rutki Laskier [Ruta Laskiers Tagebuch]. Red. Stanisław Bubin. Wydaw. Polska­presse Katowice 2006. 136 S., zahlr. Abb.

Ruta Laskier Rutka’s Notebook. January – April 1943. Ed. by Daniella Zaidman-Mauer. Yad Vashem Publisher Jerusalem 2007. 71 S., Abb.

Das Notizheft von Ruta Laskier (1929–1943) enthält Tagebucheinträge aus der Zeit zwischen dem 19. Januar und dem 24. April 1943 in Będzin. Außerdem hinterließ die Jugendliche hier zwei literarische Versuche, die vermutlich beide aus dem Jahr 1942 stammen: die ferne Erinnerung an einen Aufenthalt in den Bergen vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und triste Impressionen vom „Winter im Getto“. Laskiers Aufzeichnungen überdauerten die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, die im April 1943 in ein Gettoviertel hineingezwängt und im August nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Eine polnische Bekannte der Verf. fand das Notizheft nach dem Abzug der Deutschen und bewahrte es über 60 Jahre hinweg auf. Nachdem die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis gesetzt worden war, erschien zunächst eine polnische Ausgabe, dann eine englische Übersetzung.

Die polnische Ausgabe bietet Faksimile-Abbildungen der 51 Heftseiten und eine Transkription des Originals. Vorwort, Einleitung und editorische Notiz stehen in Polnisch und Englisch, Anmerkungen zur Übertragung des handschriftlichen Texts sowie ein kurzes Familienporträt nur auf Polnisch. Die Eltern stammten aus Będzin (im damals russischen Teilungsgebiet Polens). Zur Familie des Vaters Jakub Laskier (1900–1986) gehörten der Arzt Berthold Lasker, der erste Ehemann der Dichterin Else Lasker-Schüler, und der einzige deutsche Schachweltmeister Emanuel Lasker. Jakub Laskier lebte als junger Mann einige Jahre in Palästina, kehrte aber aus gesundheitlichen Gründen nach Europa zurück. In den zwanziger Jahren war er als Bankier in Danzig tätig, wo die Tochter Ruta geboren wurde, 1937 kam noch ein Sohn hinzu. 1945 war er der einzige Überlebende der Familie: Zur Arbeit selektiert, hatten ihn die Nationalsozialisten zuletzt im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesperrt, wo er Geldscheine fälschen musste. Nach der Befreiung wanderte er abermals aus und gründete in Israel eine neue Familie.

In Rutas Tagebuch wird das ganz normale Gefühlserleben einer pubertierenden 14jährigen mit Grauen und Todesängsten konfrontiert, die unter den Insassen der jüdischen Zwangswohnviertel in Polen um sich griffen. 1943 war ihnen schon klar, dass hinter der Deportation nach Auschwitz der Tod im Gas drohte (S. 53); auch von den „Ausrottungskommissionen“ hatte man gehört, welche die Jüdischen Gemeinden in der Umgebung vernichtet hatten (S. 77). Kernstück des Bändchens ist der Eintrag vom 6. Februar 1943, in dem Ruta auf den 12. August des Vorjahrs zurückblickt, als die mit dem gelben Stern Gebrandmarkten zu Tausenden in ein Stadion getrieben wurden. Die „Selektion“ zog sich über quälende Stunden und Tage hin. Ruta gelang schließlich die nächtliche Flucht nach Hause.

Wie viele jüdische Jugendliche in dieser Zeit setzte sie ihre Hoffnung auf Überleben in den Kommunismus. Doch ist ihre politische Bindung weniger ausgeprägt als bei anderen (nahezu) gleichaltrigen Tagebuchschreiberinnen; dies zeigt ein Vergleich etwa mit den Aufzeichnungen von Miriam Chaszczewacka in Radomsko (Yad Vashem Archiv, O-3/3382) oder von Ruta Lieblich (Ruthka Lieblich A Diary of War. Brooklyn 1993). Den schmalen Band beschließt ein Überblick von Aleksandra Namysło über „Leben und Vernichtung der Będziner Juden“ (S. 128–134).

Die englische Ausgabe enthält einen Beitrag der in Israel geborenen Stiefschwester von Ruta, Zahava (Laskier) Scherz, und einen Begleittext von Bella Gutterman über den Holocaust in Będzin (S. 59–65). Manchmal ergeben sich in beiden Fassungen abweichende Lesarten (vgl. S. 85/46). Die korrekte Transkription des Originals ist in der englischen Ausgabe besonders bei den auf Deutsch eingeschobenen Wörtern ein Problem (S. 47); beide Male wird jedoch „Arbeitsamt“ wiedergegeben (S. 81/45), obwohl es hier darum geht, dass Gerüchte umliefen, die Besatzer wollten einen allgemeinen Arbeitseinsatz für die männliche und weibliche Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 50 Jahren durchsetzen. Tatsächlich gehörte Ruta schon Ende März 1943 zu den Arbeitssklaven der deutschen Kriegsindustrie.

Die Herausgabe des Originaltexts macht nicht nur ein bedeutendes Selbstzeugnis aus der Zeit des nationalsozialistischen Judenmords in Ost-Oberschlesien (bzw. im Regierungsbezirk Kattowitz) zugänglich. In Będzin, wo noch im März 1941 über 25.000 Juden gelebt hatten, wurde die Präsentation der Buchausgabe 2006 zu einem Ereignis, das der Geschichtsvergessenheit der Nachkriegsjahre nachhaltig entgegenwirkte. Die Publikation trug so dazu bei, das öffentliche Bewusstsein dafür zu schärfen, welch großen Anteil die jüdische Bevölkerung an der Einwohnerschaft der Stadt und an der Entwicklung der ganzen Region einst hatte.

Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Pamiętnik Rutki Laskier [Ruta Laskiers Tagebuch]. Red. Stanisław Bubin. Wydaw. Polskapresse Katowice 2006. 136 S., zahlr. Abb. ISBN: 83-89956-42-X / Ruta Laskier Rutka’s Notebook. January–April 1943. Ed. by Daniella Zaidman-Mauer. Yad Vashem Publisher Jerusalem 2007. ISBN: 978-0976442578 , in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Laskier_Rutkas_Notebook.html (Datum des Seitenbesuchs)