Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 66 (2018), 1, S. 160-161
Verfasst von: Klaus-Peter Friedrich
Michaël Prazan: Einsatzgruppen. Les commandos de la mort nazis. Paris: Points, 2015. 626 S., 2 Ktn., Abb. = Points Histoire, H464. ISBN: 978-2-7578-2871-7.
Das Taschenbuch des Journalisten und zeithistorischen Themen verpflichteten Dokumentarfilmers Michaël Prazan (*1970) über die Einsatzgruppen bietet einen Überblick über das antijüdische Vernichtungswerk der SS-Einheiten in den besetzten Gebieten. Es entstand im Zuge eines Filmprojekts, das mit der Ausstrahlung von zwei Folgen à 90 Minuten im Sender France 2 im April 2009 seinen Abschluss fand. Die Schilderung stützt sich auf eine Reihe von Studien aus der französisch- und englischsprachigen Sekundärliteratur, auf ausgewählte Gespräche mit Zeitzeugen und bezieht punktuell auch die Belletristik mit ein. Vorbilder für die NS-Verbrechen erkennt Prazan in dem Völkermord an den Einheimischen in der deutschen Kolonie Südwestafrika sowie im Massaker von Nanjing, das japanische Truppen 1937 an chinesischen Zivilisten begangen hatten. Außer um Russland geht es vor allem um Vorgänge in Polen, Rumänien, Weißrussland, den baltischen Republiken und der Ukraine.
Der Verfasser versucht, die mannigfaltigen Aspekte der im Sommer 1941 beginnenden Massenmorde mithilfe einer kleinteiligen Gliederung einzufangen. Der erste Hauptteil mit 19 Kapiteln umfasst den Zeitraum von Juni bis Dezember 1941, der zweite mit 16 Kapiteln die Jahre von 1942 bis 1945. Somit geht es um die antijüdischen Pogrome beim Einmarsch der Wehrmachtstruppen, die Beteiligung der örtlichen Bevölkerung, die ersten Massenerschießungen und deren Ausweitung, die Berichte von Tätern, von Zeugen und Überlebenden, deren Aussagen der Filmemacher zu Rate zog, die er teils auch vor der Kamera befragte. Er blickt auf verschiedene Stationen des sich ständig steigernden Vernichtungswerks: Ponary, Kamenec Podolsk, Babi Yar, Lubny, die Morde in den Gaswagen, im Wald von Rumbula, im Lager Kaiserwald, bei Liebau. Der erste Teil endet mit der Anfang 1942 in deutschen Berichten niedergeschriebenen Behauptung, das Baltikum sei „judenfrei“.
Der zweite Teil setzt mit dem Porträt eines Täters ein, eines Litauers, der nach 1945 zwanzig Jahre in Sibirien verbringen musste. Prazan fragt nach den Auswirkungen der Mordtaten auf die Mörder, die teils depressiv wurden und dann um ihre Versetzung oder therapeutische Behandlung nachsuchten. Immerhin ermordeten die Einsatzgruppen in einigen Monaten mindestens 600.000, nach anderen Schätzungen rund eineinhalb Millionen Menschen.
Der Autor geht ein auf die „Aktion Reinhardt“ im besetzten Polen, die Fortsetzung des Judenmords 1942 in Weißrussland, Transnistrien, der Ukraine, betrachtet die sowjetischen Morde an Polen in Katyn. Ein „gigantisches Unternehmen“ wurde ins Werk gesetzt (S. 435) – die an zahllosen Orten hastig in Massengräbern Verscharrten mussten Zwangsarbeiter wieder ausgraben und auf riesigen Scheiterhaufen verbrennen, um die Spuren des millionenfachen Mordes zu verwischen. Das Vernichtungswerk dauerte bis in die Endphase des Dritten Reichs an. Die danach unternommenen Versuche zu einer justiziellen Ahndung bedeuteten wenig angesichts der Katastrophe der europäischen Judenheit.
Auch die in Osteuropa bis heute sicht- und spürbaren Nachwirkungen der unter den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen, die ein „Chaos“ zurückließen (S. 526), bezieht der Verfasser kurz mit ein. Einige Fotos zeigen Porträts von Haupttätern des Judenmords, und Prazan erinnert daran, dass der letzte von ihnen, Martin Sandberger, erst 2010 in biblischem Alter „in seinem Bett“ verstarb (S. 318), was all seinen Opfern nicht vergönnt war. Auf weiteren Bildern sind die Zeitzeugen zu sehen, mit denen der Autor sich getroffen hatte – und zeitgenössische, von Fotokameras festgehaltene Szenen der ungezählten Mordaktionen mit Aufnahmen, die schon andernorts publiziert wurden.
Nach Gesprächen mit einem in Tel Aviv lebenden Schulfreund stellt Prazan fest, der Genozid sei letztlich darauf zurückzuführen, dass die Nazis mit der Umsetzung ihrer rassistisch unterlegten Lebensraum-Ideologie einen „absurden und kindischen Traum verwirklichen“ wollten (S. 84). Daher verschlägt es einem noch heute die Sprache, wenn deutlich wird, dass nicht nur ganz gewöhnliche Deutsche und Österreicher, sondern ungezählte Spezialisten mit Hochschulbildung daran mitwirkten. Ohne ihre Begeisterung, ihren Eifer und ihr Pflichtbewusstsein wäre die Opferbilanz nicht dermaßen verheerend ausgefallen.
Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Michaël Prazan: Einsatzgruppen. Les commandos de la mort nazis. Paris: Points, 2015. 626 S., 2 Ktn., Abb. = Points Histoire, H464. ISBN: 978-2-7578-2871-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Prazan_Einsatzgruppen.html (Datum des Seitenbesuchs)
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