Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Jörn Happel

 

Gender Politics in Central Asia. Historical Perspectives and Current Living Conditions of Women. Edited by Christa Hämmerle, Nikola Langreiter, Margareth Lanzinger and Edith Saurer. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2008. 160 S., Tab., Graph. = L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft, 18. ISBN: 978-3-412-20140-1.

Ausgangspunkt des Buchs war das von Christa Hämmerle geleitete Projekt „Geschlechter-Politik in Zentralasien: Historische Perspektiven und aktuelle Lebenssituationen von Frauen in Kontexten von wirtschaftlicher und sozialer Prekarität, Armut und Gewalt“ (S. 4, 14–16). Daraus sind nebst der Einleitung der Herausgeberinnen weitere acht Beiträge entstanden, die in dem Sammelband zusammengeführt wurden. Thematisch untersuchen die Autorinnen und Autoren die aktuellen Geschlechterrollen in Uzbekistan (vier Artikel), Tadžikistan (drei Artikel) und Kazachstan (ein Artikel). In der Einleitung versuchen die Herausgeberinnen, besonders die historisch-wirtschaftliche Komponente von Geschlechterrollen in der Region zu erläutern (S. 12–14). Anschließend werden die Leser jedoch alleine gelassen mit den höchst unterschiedlichen Beträgen; außer der Zugehörigkeit zu dem gemeinsamen Projekt ist eine Kohärenz nicht ersichtlich, auch nicht ein verbindendes methodisch-theoretisches Konzept jenseits des Ziels, die Frauenrollen in Zentralasien zu beschreiben.

Untersucht werden in den acht Beiträgen die Klanstrukturen ebenso wie Massenbewegungen, Kampagnen gegen Bucharer Jüdinnen oder die politische Partizipation von Frauen. Damit ist der Hauptkritikpunkt bereits genannt: Der Sammelband möchte die Gender-Politik in Zentralasien beschreiben, dabei auch die historische Komponente berücksichtigen. Doch historisch fundiert sind die Beiträge größtenteils nicht. Und nicht einsichtig ist die einseitige Konzentration auf Uzbekistan und Tadžikistan. Hätte man bei der Großregion Zentralasien nicht auch stärker die Nomadenvölker wie Turkmenen, Kasachen und auch Kirgisen berücksichtigen müssen? Hätte man nicht den Zusammenbruch der Sowjetunion und die daraus folgenden massiven Veränderungen in der Staats-, Familien- und Frauenpolitik aus dem sowjetischen Erbe heraus beschreiben sollen? Letztlich war es doch die Sowjetpolitik gewesen, die versucht hatte, in der Region die traditionellen Frauenrollen aufzubrechen und zu modernisieren.

Das „L’Homme“-Heft lässt diese Fragen offen. Auffällig ist auch, dass sich die Autorinnen und Autoren teilweise auf alte Literatur aus der Sowjetzeit stützen. Dabei sind neue Untersuchungen gerade auch zu Geschlechterrollen in Zentralasien erschienen (etwa die Arbeiten von Douglas Northrop). Trotz dieser Schwächen, die zu teilweise allzu einfachen Schlussfolgerungen führen, haben die einzelnen Artikel doch auch Stärken, die vom Rezensenten betont werden müssen. Dann nämlich, wenn die Autorinnen und Autoren ihre empirischen Ergebnisse präsentieren: zu zwei kasachischen Frauenbiographien (S. 32–33), zur Veränderung des Selbstverständnisses von Männlichkeit in Tadžikistan (S. 45), zu den Frauenrechten, dem Einfluss des Islams und der Heiratsfrage (S. 53–55, 59), zur Gewalt gegen Frauen (S. 81–93) oder zu Gender-Stereotypen in Uzbekistan (S. 137–139, 143).

Wenn die Zusammenstellung der Beiträge und auch bei der historischen Tiefe zu wünschen übriglässt, liegt zweifelsohne das Verdienst des Bandes darin, die Gender-Politik in Zentralasien überhaupt zu thematisieren. Denn wir wissen wenig über die Veränderungen von Frauen- und Männerrollen in den postsowjetischen Staaten, und es erschreckt, dass es manchen Frauen aufgrund politischen und wirtschaftlichen Drucks nicht möglich war, sich an dem Projekt zu beteiligen (S. 16). So bleibt als kurzes Fazit festzuhalten, dass der L’Homme-Band zum Weiterforschen auffordert.

Jörn Happel, Basel

Zitierweise: Jörn Happel über: Gender Politics in Central Asia. Historical Perspectives and Current Living Conditions of Women. Edited by Christa Hämmerle, Nikola Langreiter, MArgareth Lanzinger and Edith Saurer. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2008. = L’Homme Schriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft, 18. ISBN: 978-3-412-20140-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Happel_Gender_Politics.html (Datum des Seitenbesuchs)

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