Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Jörg Heeskens

 

Sabina Ferhadbegović Prekäre Integration. Serbisches Staatsmodell und regionale Selbstverwaltung in Sarajevo und Zagreb 1918–1929. München: Oldenbourg, 2008. 352. S. = Südosteuropäische Arbeiten, 134. ISBN: 978-3-486-58479-0.

Die Rolle, Funktion und Leistung von lokaler Selbstverwaltung im historischen Entwicklungs­prozess südosteuropäischer Gesellschaften ist ein vielfach angesprochenes, jedoch bisher eher partiell wissenschaftlich behandeltes Thema. „Prekäre Integration“ von Sabina Ferhadbegović bringt nun reichlich Licht in das weite Feld der lokalen Selbstverwaltung im ehemaligen Jugoslawien.

In ihrer Dissertation „Die Selbstverwaltung der Distrikte im Jugoslawien der Zwischenkriegszeit. Serbisches Staatsmodell und habsburgische Tradition in Sarajevo und Zagreb 1918–1929“, welche im Sommer 2005 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau angenommen wurde, analysierte, selektierte und interpretierte Sabina Ferhadbegović Theorie und Praxis der Selbstverwaltung in den Distrikten Zagreb und Sarajevo. Unter dem treffenden Titel „Prekäre Integration“ liegt nun eine auf der Dissertation aufbauende, 350 Seiten umfassende Buch­ausgabe vor.

Ferhadbegović führt die Leser zu Beginn des ersten Teils in die unterschiedlichen historischen Ausprägungen und Aufgaben von Selbstverwaltung in Serbien, Kroatien sowie dem habsburgischen Bosnien vor der jugoslawischen Staatsgründung ein. Besonders die Unterschiede zwischen dem traditionellen Selbstverwaltungsprinzip der christlich-orthodoxen Südslawen unter osmanischer Herrschaft und der Selbstverwaltung der katholischen Slawen werden dabei charakterisiert. Anschließend wird das Prinzip der Selbstverwaltung und dessen Verankerung in der Vidovdan-Verfassung des ersten Jugoslawiens aufgezeigt. Diese werden von der Autorin nachvollziehbar als nicht ausreichend bzw. als sich stets der Zentralgewalt unterordnend diagnostiziert, was dem ursprünglichen Staatsideal „demokratische Monarchie mit Selbstverwaltung“ bereits konstitutionell im Wege stand. Das Zwischenfazit der Autorin: Eine „verhinderte Selbstverwaltung“ bereits durch die Verfassung.

Der zweite Teil des Buches befasst sich mit der konkreten Umsetzung der Selbstverwaltung. An den Beispielen der außerserbischen Distrikte Zagreb und Sarajevo werden detailliert und faktenbasiert weite selbstverwaltete Handlungsfelder beleuchtet, von der Bildungspolitik über die Haushaltsführung bis zur Gesundheits- und Sozialpolitik. Während man in Zagreb auf bereits bestehenden Selbstverwaltungsmechanismen aufbauen konnte, mussten ebensolche in Sarajevo erst geschaffen werden. In beiden Distrikten gelang es, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen, Erfolge zu erzielen, wie die Autorin anerkennend in ihrer zusammenfassenden Bilanz anmerkt.

In einem abschließenden Fazit geht Ferhadbegović auf die in der Einleitung gestellte Frage nach dem „Staats- und Selbstverwaltungsverständnis der Verfassungsväter“ und damit letztendlich auf die Kernfrage ein, wie viel „Eigenverantwortung“ den Bürgern denn wirklich zugetraut wurde. Da bereits die konstitutionelle Konstruktion der Selbstverwaltung als in sich widersprüchlich charakterisiert wurde und „jede[r] Gefahr, dass sich durch die Selbstverwaltung zentrifugale Kräfte freisetzen könnten“, durch „gut ausgebaute staatliche Kontrollmechanismen“ entgegengewirkt wurde, so fällt auch die abschließende Betrachtung der Selbstverwaltungsumsetzung – trotz punktueller Erfolge – negativ aus.

Prekäre Integration liefert einen tiefen und detaillierten Blick in das Innere des Staats- bzw. Stadtaufbaus des Ersten Jugoslawiens. Besonders die Einführung in die Selbstverwaltungstradition der südslawischen Völker sowie die regelmäßigen Zwischenfazite machen die 350 Seiten zu einem auch für nicht ausgewiesene Südosteuropakenner gut lesbaren Werk.

Die strikte Unterscheidung bzw. das Gegeneinanderstellen von serbischem und kroatischem Staatsmodell erscheint inhaltlich logisch und wissenschaftlich fundiert, wirft aber beiläufig die Frage auf, wieso sich die deutschsprachige Geschichtsschreibung so gerne den trennenden und weniger den sich ergänzenden Dimensionen der südosteuropäischen Gesellschaften widmet.

Jörg Heeskens, Zürich

Zitierweise: Jörg Heeskens über: Sabina Ferhadbegović Prekäre Integration. Serbisches Staatsmodell und regionale Selbstverwaltung in Sarajevo und Zagreb 1918–1929. R. Oldenbourg Verlag München 2008. = Südosteuropäische Arbeiten, 134. ISBN: 978-3-486-58479-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Heeskens_Ferhadbegovic_Prekaere_Integration.html (Datum des Seitenbesuchs)

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