Valerij B. Perčavko Torgovyj mir srednevekovoj Rusi [Die Handelswelt der mittelalterlichen Rus’]. Izdat. Academia Moskva 2006. 607 S., 41 Abb. = Monografičeskie issledovanija: Istorija (Rossii); Izdatel’skij proekt „Kupečeskij mir staroj Rossii“.

Mit einem großen Aufwand und unter Hinzuziehung einer Fülle von archäologischen Funden, schriftlichen Quellen und Sekundärliteratur unternimmt Valerij B. Perčavko den sehr verdienstvollen Versuch, die mittelalterliche Geschichte des Handels und seiner Träger in der Kiever und Moskauer Rus’ vom 9. bis zum 16. Jahrhundert nachzuzeichnen und zu interpretieren. Das umfangreiche Buch ist in vier Teile eingeteilt. Geht es zunächst um das Entstehen einer Kaufmannschaft in der frühen Rus’ und um ihre Haupthandelswege, so folgt im zweiten Teil eine Darstellung der wichtigsten Handelswaren, Getreide und Pelzwerk, sowie eine Untersuchung der rätselhaften „Handels­plom­ben“ (droginskie plomby). Dem folgt drittens eine nähere Beschreibung des kirchlichen und klösterlichen Eigenhandels und seiner allgemeinen Bedeutung für die ökonomische und soziale Entwicklung der Rus’. Der abschließende vierte Teil ist der Entfaltung eines spezifisch russischen Unternehmertums vom 11. bis zum 16. Jahrhundert gewidmet. Zunächst geht es hierbei um die Welt des Handels und der Kaufmannschaft vom 11. bis zum 15. Jahrhundert, darauf folgt eine detaillierte Beschreibung des Handelsunternehmertums in der Mitte des 16. Jahrhunderts.

Perčavkos Darstellung des Handels und seiner Träger beginnt mit den multi-ethnischen Krieger-Händlern im 9./10. Jahrhundert, die insbesondere Träger eines weitverzweigten und über große Distanzen verlaufenden Fernhandels waren, während der Binnenhandel kaum eine große Rolle gespielt hat. Die Festigung der Fürstenherrschaft hat dafür gesorgt, dass dieser internationale Handel auch durch Kriegszüge nach Byzanz, Wolgabulgarien, Polen etc. mit entsprechenden Handelsverträgen zusätzlich abgesichert wurde. Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts hat sich dann in der Rus’ der Kaufmann als sozialer Typ herausgebildet. Indes war er zu allen Zeiten nicht ohne innere Konkurrenten geblieben, zu denen vor allem die Kirchen, Klöster und die Bauern gehörten.

Dabei geht es Perčavko nicht zuletzt um den Nachweis der Entwicklung feudaler Strukturen und eines Netzes von Städten als Handels- und Gewerbezentren als Folge einer immer weiter fortschreitenden Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land. So hat sich bereits im 11. bis 13. Jahrhundert ein umfangreicher Groß- und Einzelhandel entwickelt. Erwähnt wird indes nur der Handel mit Salz und Getreide über große Distanzen. Es waren aber die Fernhändler (gosti), die, im internationalen Handel tätig, für eine frühzeitige Akkumulation von Kapital sorgten. Ihre Handelreisen reichten vom Kaukasus und von Mittelasien, Byzanz, Ägypten bis nach England, Deutschland, Frankreich und Skandinavien. Zudem gab es in der Rus’ selbst eine bedeutende internationale Kaufmannschaft. Besonders hervorgehoben wird hierbei der Handel der Hanse mit Novgorod. Freilich erlaubt die dürftige Quellenlage keine eingehende Analyse der wirtschaftlichen Tätigkeit sowie der gesellschaftlichen Bedeutung der russischen Kaufmannschaft durch die Jahrhunderte. Was aber die Moskauer Kaufmannschaft im 14. bis 16. Jahrhundert betrifft, so lassen sich für Perčavko bereits verlässliche Aussagen über ihre Vermögensverhältnisse und ihre soziale Diffe­renzierung machen. Das gilt besonders für die „Krimgänger“ (gosti-surožane) im Schatten der Fürstenmacht, vor allem des Moskauer Großfürsten und späteren Zaren. Indes hat sich bereits damals mit zunehmender Deutlichkeit gezeigt, dass die russische Kaufmannschaft ihren Konkurrenten aus Westeuropa in jeglicher Hinsicht unterlegen war. Das galt nicht nur in Bezug auf die Organisation von Kapital und Kredit sowie auf sonstige Handelspraktiken, sondern vor allem auch im Hinblick auf das Fehlen einer eigenen Handelsflotte. Dazu kam, dass das Moskauer Reich weder politisch noch sozial einen Wandel nach westlichem Vorbild einleitete, der nicht zuletzt den Städten und ihrer Kaufmannschaft durch einen eigenen Rechtsstatus (Magdeburger Recht) einen größeren Spielraum gegeben hätte. Stattdessen blieben gerade die erstrangigen Kaufleute der unmittelbaren Gewalt des Zaren und seines Fiskus unterworfen. All diese trug dazu bei, dass sich kein freies und vor allem eigenverantwortliches Unternehmertum wie in anderen Teilen Europas zu entwickeln vermochte. Die wachsende bäuerliche Leibeigenschaft führte außerdem dazu, dass sich Unternehmertalente auf dem Lande nicht mehr in dem Maße entwickeln konnten wie zuvor. So blieb es bei einem Unternehmertum unter feudalen Bedingungen, das natürlich nicht zu einer Kapitalbildung vor allem auf dem Gebiet des Manufakturwesen gefunden hat. Dies aber verzögerte wiederum die Entwicklung bourgeoiser Verhältnisse in Russland entscheidend. Was blieb, waren deshalb zunächst nur einzelne privilegierte Kaufleutegruppierungen, deren Wohl und Wehe im Grunde von ihrer Nähe zur zarischen Herrschaft abhängig war und blieb. Im mittelalterlichen Russland vermochte sich jedenfalls kein vollständiger Kaufmannsstand mit eigenen Privilegien wie in Westeuropa zu entwickeln.

Die Darstellung überzeugt nicht zuletzt deshalb, weil Perčavko sich redlich bemüht, das ihm zur Verfügung stehende Material in eine Gesamtschau einzubringen. Natürlich fehlt es nicht an allzu idealtypischen Textteilen, aber sein Bestreben um eine möglichst sachgerechte Darstellung hebt das großenteils wieder auf. Ein reichhaltiges Glossar „mittelalterlicher Handels- und Gewerbeterminologie“ kann außerdem wert­volle Hinweise geben.

Klaus Heller Gießen/Fürth

Zitierweise: Klaus Heller über: Valerij B. Perčavko: Torgovyj mir srednevekovoj Rusi [Die Handelswelt der mittelalterlichen Rus’]. Izdat. Academia Moskva 2006. = Monografičeskie issledovanija: Istorija (Rossii); Izdatel’skij proekt „Kupečeskij mir staroj Rossii“. ISBN: 5-87444-240-5, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 427-428: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Heller_Percavko_Torgovyj_mir.html (Datum des Seitenbesuchs)