Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012), 1, S. 118-119

Verfasst von: Aleksandar Jakir

 

Katrin Boeckh: Serbien – Montenegro. Geschichte und Gegenwart. Regensburg: Friedrich Pustet, 2009. 256 S., Abb., Ktn. = Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker. ISBN: 978-3-7917-2169-9.

In 15 Abschnitten bzw. Kapiteln führt Katrin Boeckh ihre Leser, wie der Untertitel lautet, durch „Geschichte und Gegenwart“ von Serbien und Montenegro. Der Schwerpunkt des nüchtern und sachlich intonierten Bandes liegt auf Entwicklungen im 20. Jahrhundert und auf der Darstellung der Geschichte Serbiens, die auf eigenen Forschungsergebnissen der Verfasserin wie auf der Rezeption relevanter deutsch- und englischsprachiger Literatur beruht. Prägnant werden auf 256 Seiten (einschließlich eines Anhangs, der aus Zeittafel, Literaturauswahl und einem Personen- und Ortsregister besteht) die wichtigsten historischen Entwicklungslinien aufgezeigt. Die ersten 40 Seiten sind, in äußerster Verknappung, dem Mittelalter in den serbischen Herrschaftsgebieten und den „Serben unter osmanischer Herrschaft“ gewidmet. Die folgenden Kapitel behandeln zunächst die politische Formierung der montenegrinischen Stämme, anschließend die „nationale Wiedergeburt“ der Serben 18041878, um dann chronologisch die Entwicklungen in Serbien und Montenegro von der Zeit zwischen Berliner Kongress und Erstem Weltkrieg, über die jugoslawischen Staaten bis zum Zerfall Jugoslawiens 19902000 und schließlich zur Trennung Montenegros von Serbien darzustellen. Die beiden letzten Abschnitte geben einen, wiederum äußerst knappen, Überblick über die Lage in Serbien 20062008 und in Montenegro nach der Unabhängigkeitserklärung.

Vorliegende Synthese, bei allen Schwierigkeiten dieses Genres und natürlich immer möglichen anderen Schwerpunktsetzungen, ist solide und gut fundiert und bietet dem am Thema interessierten Leser einen guten Einstieg und nützliches historisches Wissen zu vielen Themen der vielschichtigen Geschichte Serbiens und Montenegros. Die Darstellung politischer Ereignisse und Konflikte nimmt dabei den weitaus größten Raum ein. Pointierte Beschreibungen der innenpolitischen „Konfliktszenerie“ (S. 69) – Regierungskrisen, gewaltsame Auseinandersetzungen, politisch motivierte Attentate – und von Kriegen entwerfen das Bild einer durch verschiedene Formen von Gewalt geprägten Geschichte, wobei sich die Verfasserin aber mit eigenen Wertungen sehr zurückhält. In Anbetracht der Tatsache, dass in der Zeitspanne zwischen 1876 und dem Beginn der Kriege der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts, also im Zeitraum von 114 Jahren, Serbien 8 (acht) Kriege geführt hat, ist so eine Schwerpunktsetzung, insbesondere im Rahmen solch einer Überblicksdarstellung, wahrscheinlich schwer zu umgehen. Die serbische Historikerin Latinka Perović postulierte unlängst, dass durch alle Formen moderner serbischer Staatlichkeit seit den Zeiten des Fürstentums Serbien 1833, große Teile der serbischen politischen, geistlichen und militärischen Eliten das national- und machtpolitisch motivierte Programm verfolgten, die „nationale Frage“ durch die Vereinigung aller Serben in einem Staat zu lösen. Vielleicht hätte man da auf die seit dem 19. Jahrhundert geführten nationalideologischen Debatten ausführlicher eingehen können?

Die Lektüre von Katrin Boeckhs Darstellung zeigt die Probleme klar auf, welche die deutliche territoriale Expansion des serbischen Staates nach dem serbisch-osmanischen Krieg 1877/78, mit der darauf folgenden Anerkennung durch die europäischen Mächte während des Berliner Kongresses, und die Einverleibung der Gebiete des heutigen makedonischen Staates und des Kosovo nach dem Ersten Balkankrieg 1912 nach sich zogen. Im Falle des Kosovo sind diese noch immer nicht gelöst. Das serbisch-albanische Verhältnis wurde dauerhaft vergiftet durch die „verschiedene(n) Maßnahme(n)“ in den „neu errungenen Gebieten Serbiens“ nach 1912, die „einerseits auf Serbisierung, andererseits auf die Vertreibung von Nicht-Serben abzielten“ (81). Wie sich zeigen sollte, für die Dauer des gesamten 20. Jahrhunderts. Ein Ergebnis des Ersten Weltkriegs war die Schaffung des zentralistischen und durch Belgrad dominierten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, was wiederum zu großen Spannungen im serbisch-kroatischen Verhältnis führte. Der Zusammenbruch des ersten Jugoslawien im April 1941 machte deutlich, dass es dem ersten, serbisch dominierten Jugoslawien nicht gelungen war, den Nationalitätenkonflikt zu lösen, weder während der ersten Jahre des Parlamentarismus, noch zu Zeiten der Königsdisktatur, und auch nicht durch den kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs mit den Kroaten erzielten Kompromiss, der zur Schaffung einer weitgehend autonomen „Banschaft Kroatien“ geführt hatte. Auch das sozialistische Jugoslawien unter Tito, das ab 1945, nach vier blutigen Jahren Krieg und Bürgerkrieg, auf föderativer Grundlage entstand, vermochte es trotz zahlreicher Reformanstrengungen nicht, ein tragfähiges Gleichgewicht in dem in jeder Hinsicht heterogenen jugoslawischen Staat zu schaffen.

Die längste Friedenszeit Serbiens fällt zusammen mit der Zeit, als es Teil des zweiten, sozialistischen Jugoslawien war, zwischen 1945 und 1991. Die Einschätzung der Verfasserin, dass Serbien und Montenegro als sozialistische Republiken innerhalb Jugoslawiens „lange kaum die Möglichkeit“ hatten, „nationale Interessen durchzusetzen“ (S. 135) gilt wohl nur für die erste, stalinistische Phase nach der Machtübernahme der Tito-Partisanen. Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts prägten dann wiederum vier für Serbien verlorene Kriege im Zeichen des Milošević-Regimes. Im Abschnitt „Slobodan Milošević und der Zerfall Jugoslawiens 1990–2000“ (S. 183–211) gelingt es der Verfasserin wiederum auf knappstem Raum, klar und gut verständlich die wichtigsten Etappen zu beschreiben: vom Aufstieg Miloševićs über die Innenpolitik seines Regimes und den Krieg als Herrschaftsinstrument bis zu dessen Sturz und der politischen Wende im Oktober 2000. Die Darstellung umfasst die Entwicklungen in Serbien und Montenegro bis zum Jahr 2008, einschließlich eines Abschnitts über den Umgang mit serbischen Kriegsverbrechen. Der Rezensent hätte sich am Ende gewünscht, dass das Buch nicht mit den vier Seiten über Montenegro nach der Unabhängigkeitserklärung 2006–2008 geendet hätte, sondern dass die Verfasserin noch ein bilanzierendes und analytisches Kapitel hinzugefügt hätte, das den gelungenen historischen Rückblick mit dem Versuch einer Verortung der Geschichte Serbiens und Montenegros im Kontext der europäischen Geschichte abgerundet hätte.

Aleksandar Jakir, Split

Zitierweise: Aleksandar Jakir über: Katrin Boeckh: Serbien – Montenegro. Geschichte und Gegenwart. Regensburg: Friedrich Pustet, 2009. = Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker. ISBN: 978-3-7917-2169-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Jakir_Boeckh_Serbien_Montenegro.html (Datum des Seitenbesuchs)

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