Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Band 57 (2009) H. 3, S. 455-456
Andrej Angrick, Peter Klein Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941–1944. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2006. 520 S., 11 Abb. = Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, 6. ISBN: 3-534-19149-8
Eines der weniger bekannten Zentren der Judenvernichtung war Riga. Nach den ersten Massenexekutionen gleich nach dem deutschen Überfall 1941, der Errichtung des Ghettos und der nachfolgenden Ermordung der lettischen Juden – bis Mitte Oktober 1941 waren diesem Terror in ganz Lettland schon 30.025 Juden zum Opfer gefallen – wurden in dieses Ghetto Juden vor allem aus Deutschland, dem angeschlossenen Österreich und aus Böhmen zur wirtschaftlichen Ausbeutung und anschließenden Vernichtung transportiert. Riga hat daher über den regionalen Rahmen hinaus eine Bedeutung auch für die gesamteuropäische Dimension des Holocaust. Mit großer Detailkenntnis und gestützt auf ein immenses Quellenmaterial aus zahlreichen deutschen und ausländischen Archiven, Justizakten und Erinnerungsberichten können Angrick und Klein die unterschiedlichen Etappen und Aspekte der “Endlösung” in Riga rekonstruieren. Die Herrschaftsstrukturen, die Täterkreise und die Konkurrenz der verschiedenen Wehrmachtsteile, von SS und Zivilverwaltung um die Arbeitskräfte werden klar herausgearbeitet. Ausbeutung und Vernichtung wurden in häufig wechselnder Gewichtung gleichzeitig praktiziert. Ein klares Gesamtkonzept der „Endlösung“ gab es nicht, und selbst in der SS wurden anfänglich unterschiedliche Wege beschritten. Einzelne SS-Führer wie Jeckeln und andere oder lettische Kollaborateure wie Arajs konnten daher dem grausigen Geschehen ihren Stempel aufdrücken. Entsprechend gab es unter den Juden sehr verschiedene Opfergruppen: die gleich als Arbeitsunfähige zur Vernichtung Ausgesonderten, die im Ghetto, später in den KZs Salaspils und Kaiserwald Zwangsarbeit Leistenden und schließlich die Angehörigen von Arbeitskommandos außerhalb der Lager. Neben Ghettoleben und Zwangsarbeit wird auch die Verwertung des jüdischen Vermögens untersucht und die „Blechplatzaktion“ behandelt, die sich gegen den jüdischen Widerstand richtete. Ein Exkurs über die Teilnahme des SS-Sturmbannführers Lange an der Wannsee-Konferenz, des einzigen „Praktikers des Massenmordes“ unter den Anwesenden, kommt zu dem Schluss, dass eine Ausweitung der Reichweite der mörderischen „Endlösung“ zwischen dem 30. November 1941 und dem 20. Januar 1942 stattgefunden haben muss. Ein zweiter Exkurs behandelt die unglaubliche Geschichte des jüdischen SS-Untersturmführers Scherwitz, der als Leiter eines Betriebes einigen Juden das Leben rettete. Angesichts der vordringenden Roten Armee versuchte man im Herbst 1944 noch die Spuren der Mordtaten zu beseitigen und evakuierte die KZ-Insassen nach Stutthoff bei Danzig und weiter. Dankenswerterweise haben die Autoren der Geschichte der „Endlösung“ in Riga noch ein Kapitel über die Suche nach Gerechtigkeit hinzugefügt. Die bundesdeutsche Justiz hat aufgrund von Quellenmangel, Schutzbehauptungen Betroffener und von Falschaussagen diese Aufgabe nur unzulänglich bewältigt.
Das Kapitel über den Molotov-Ribbentrop-Pakt hätte erheblich gekürzt, der Anmerkungsapparat an vielen Stellen entschlackt werden können. Warum Archivsignaturen bei veröffentlichten Dokumenten, warum eine umfängliche Dokumentation des Forschungsganges, wenn das für die Argumentation unerheblich ist? Von Rauch heißt natürlich „Georg“ und nicht „Gregor“. Personen- und Ortsregister berücksichtigen leider nicht die Fußnoten. Diese Kritikpunkte schmälern nicht das Verdienst der Autoren, einen bedeutenden Beitrag zur Erforschung des Holocaust in Riga geliefert zu haben, dem weitere zu anderen Regionen Lettlands, insbesondere zu Latgale, folgen sollten.
Uwe Liszkowski, Kiel
Zitierweise: Uwe Liszkowski über: Andrej Angrick, Peter Klein: Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941–1944. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2006. = Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, 6, ISBN: 3-534-19149-8, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 455-456: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Liszkowski_Angrick_Klein_Endloesung.html (Datum des Seitenbesuchs)