Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012), H. 3, S. 454-455

Verfasst von: Peter Oliver Loew

 

Beata Dorota Lakeberg: Die deutsche Minderheitenpresse in Polen 1918–1939 und ihr Polen- und Judenbild. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2010. 562 S., Tab. = Die Deutschen und das östliche Europa. Studien und Quellen, 6. ISBN: 978-3-631-60048-1.

Zwischen den Weltkriegen erschienen für die deutsche Minderheit im neuen polnischen Staat zwischen 100 und 200 Periodika, darunter eine ganze Reihe von Tageszeitungen. Beata Dorota Lakeberg stellt diese große Quellengruppe in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, in der sie Minderheiten-, Presse- und Stereotypengeschichte miteinander verbinden möchte. Ihr Ziel ist es, „die Rolle von Stereotypen im Selbstkonstruktionsprozess der deutschen Minderheit in Polen“ (S. 29) zwischen den beiden Weltkriegen zu untersuchen.

Auf eine knappe methodische Einleitung folgt ein hilfreicher Überblick über verschiedene Aspekte der Geschichte der deutschen Minderheit, die nach polnischer Volkszählung von 1931 rund 740.000 Personen, nach deutschen Schätzungen mehr als 1,1 Mio. Menschen umfasste. Der erste Teil der Presseanalyse trägt den Titel „Das Verhältnis zwischen dem Erscheinungsort der Zeitungen und den präsentierten Bildern“. Anders als zu vermuten wäre, handelt es sich hier jedoch nicht um eine systematisch nach Regionen gegliederte Darstellung; vielmehr werden einzelne Stereotype mit ausführlichen Zitaten aus den Presseerzeugnissen illustriert. Eine regionale Differenzierung wird nur in Ansätzen deutlich, etwa durch die immer wieder hervorgehobene polenfreundlichere Haltung der deutschen Zeitungen in Lodz.

Das anschließende Kapitel nennt die Autorin „Der Einfluss der Weltanschauung der deutschen Minderheitenpresse auf die verwendeten Polen- und Judenbilder“. Erst hier folgt ein – allerdings wenig übersichtlicher – Überblick über die deutschsprachige Zeitungslandschaft in Polen, den man eigentlich schon zu Beginn der Arbeit erwartet hätte. Gezeigt wird im Folgenden, wie die Zeitungen etwa polnischen Nationalismus, Adel, Religion und Kirche oder Juden behandelten. Allerdings steht der große Rechercheaufwand in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen, die oft so banal lauten wie im folgenden Beispiel: „Trotz gewisser Ähnlichkeiten in der Darstellung und Verwendung des Bildes der Polen als Nationalisten sind in der konservativen, jungdeutschen und sozialistischen deutschen Minderheitenpresse auch deutliche Unterschiede zu bemerken.“ (S. 168) Davon hatte man eigentlich ausgehen können. Stellenweise wird das historische Material auch unreflektiert eingesetzt, etwa wenn von einer Speisefett-Reklame auf das „Judenbild“ einer Zeitung geschlossen wird (S. 191192). Wer sagt denn, dass ein Inserent stets die Meinung der Redaktion vertritt?

Der letzte Hauptteil gilt der „Entwicklung des Polen- und Judenbildes in der deutschen Minderheitenpresse in den 1920er und 1930er Jahren“, im Grunde eine Wiederholung des bereits Gesagten in neuer Reihenfolge. Wieder führt die Analyse zu banalen Schlüssen, beispielsweise: „Ein zweiter Faktor, der die Intensität der in der deutschen Minderheitenpresse verwendeten Polenbilder beeinflusste, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen.“ (S. 241) Auch der Schluss verrät nicht, welche Ergebnisse die Untersuchung eigentlich zeitigt, abgesehen von der Aussage, dass die Art der Verwendung von Polenbildern „und damit auch der Vermittlung von Emotionen durch diese Bilder“ unterschiedlich gewesen sei (S. 291). Es ist wahrscheinlich schlechthin nicht möglich, auf der alleinigen Grundlage der Presse auf den „Selbstkonstruktionsprozess“ der Minderheit zu schließen: Zu divergent waren die verschiedenen regionalen und sozialen Milieus der Deutschen in Polen, und zu fragmentarisch sind letztlich die in den Zeitungen transportierten Bilder.

So bleibt nur Respekt vor den durch eine Fülle von Zitaten dokumentierten Rechercheleistungen. Nach methodisch anregenden Ansätzen sucht man vergebens, selbst die Grundlagen der Diskursanalyse sind der Autorin unbekannt; die Verwendung des Begriffs der „Stereotype“ (die Autorin verwendet hartnäckig den falschen Plural „Stereotypen“) alleine ist noch nicht als innovativ zu werten. Irritierend sind die bei jeder Nennung wiederholten doppelten Versionen von Ortsnamen und Regionen, beim zehnten Mal weiß man eigentlich schon, dass Lodz auf Polnisch Łódź heißt, beim hundertsten Mal ärgert man sich nur noch. Ein zweisprachiges Ortsnamensregister wäre hier sinnvoller gewesen; übrigens fehlt auch ein Namensregister. Dafür gibt es über 30 Seiten unterschiedlich lange und nur bedingt nützliche Biogramme; man hätte sie gut in ein (nicht vorhandenes) Personenregister integrieren können, oder aber in Fußnoten. Doch auch Fußnoten gibt es nicht, dafür mit zahlreichen Exkursen und Zitaten angereicherte Endnoten, was den Leser zu einem ständigen Hin- und Herblättern zwänge, würde er es nicht nach Kurzem ohnehin lassen. Kurzum: Der Nutzen dieser Arbeit für die Wissenschaft ist verhältnismäßig gering.

Peter Oliver Loew, Darmstadt

Zitierweise: Peter Oliver Loew über: Beata Dorota Lakeberg: Die deutsche Minderheitenpresse in Polen 1918–1939 und ihr Polen- und Judenbild. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2010. 562 S., Tab. = Die Deutschen und das östliche Europa. Studien und Quellen, 6. ISBN: 978-3-631-60048-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Loew_Lakeberg_Deutsche_Minderheitenpresse.html (Datum des Seitenbesuchs)

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