Tat’jana A. Oparina Inozemcy v Rossii XVI–XVII vv. Očerki istoričeskoj biografii i genealogii [Ausländer in Russland im 16.–17. Jahrhundert. Skizzen zur historischen Biographie und Genealogie]. Izdat. Progress-Tradicija Moskva 2007. 384 S., s/w-Abb.

Die Autorin ist schon durch ihre im Jahre 1998 in Novosibirsk erschienene Monographie über den orthodoxen Geistlichen Ivan Nasedka (Ivan Na­sedka i polemičeskoe bogoslovie kievskoj mit­ropolii) und viele Aufsätze als Kennerin der russischen Kirche im 17. Jahrhundert aus­ge­wie­sen. Daneben hat sie sich zum Thema „Ausländer im Moskauer Staat“ einen Namen gemacht. In ihrer zweiten Monographie verknüpft sie die beiden Forschungsinteressen, denn als „Ausländer“ (ino­zemcy) wurden nicht nur Einwanderer aus anderen Ländern betrachtet, sondern alle, die nicht dem orthodoxen Glauben angehörten. Mehr noch: Sogar Angehörige der orthodoxen Kirche, die nicht dem Moskauer Patriarchat angehörten, mussten, um vollwertige Mitbürger zu werden, sich einer erneuten Taufe unterziehen. Hatte ein Untertan sich einmal zur Moskauer Orthodoxie bekannt und sich neu taufen lassen, so gab es im allgemeinen kein Zurück mehr; ein orthodox getaufter Einwanderer unterlag der russischen Rechtsprechung und hatte kein Recht mehr auf eine Rückkehr in seine Heimat. Die Religionszugehörigkeit von Oparinas „Helden“ spielt in den einzelnen Skizzen daher eine wichtigere Rolle als deren Nationalität.

In der Einleitung werden grundlegende Begriffe geklärt. Danach folgen, jeweils in separaten Kapiteln, die Bio­gra­phien von sieben „Ausländern“, die im 16.–17. Jahrhundert in den Moskauer Staat einwanderten, und zwar jeweils unter Einbeziehung der näheren und weiteren Verwandtschaft – Kinder, Schwiegersöhne und -töchter, Enkel usw. Dabei hat die Autorin bewusst wenig bekannte Personen ausgewählt. Im Einzelnen handeln diese Kapitel von dem aus England eingewanderten (vermutlich ursprünglich calvinistischen) Kaufmann John Barnsley und seinen Kindern Anna und William (S. 28–128); dem französischen Hugenotten Baron de Remont und seinen russischen Söhnen (S. 129–167); dem streitbaren Leibarzt von Zar Ivan IV., Johan Eyloff (aus den spanischen Niederlanden) und seinen Nachkommen in vier Generationen (S. 168–226); dem Kosaken Mikita Markuševskij und der Kontroverse um seine Religionszugehörigkeit (S. 227–267); dem Werdegang des Polen Stanislav Vol’skij vom Kriegsgefangenen zum Adligen (S. 268–283); dem Rittmeister griechischer Herkunft Jurij Trapezundskij (S. 284–315) und schließlich dem aus dem Balkan eingewanderten Juden Ivan Selunskij, der es nach seiner orthodoxen Taufe bis zum Dolmetscher am Gesandtschaftsamt brachte (S. 316–334). Bei den drei zuerst genannten Bio­gra­phien, die den größten Raum einnehmen, handelt es sich im Prinzip um Erstpublikationen, während die letzten vier schon vorher in ähnlicher Form veröffentlicht worden sind.

Außer Barnsley und Eyloff, bei denen erst die Kinder konvertiert sind, haben alle behandelten Ausländer in Russland den orthodoxen Glauben angenommen. Dabei bleibt meist offen, ob hinter dem Glaubenswechsel religiöse Überzeugung oder Karriereinteressen bzw. allgemein die Aussicht auf bessere Lebensbedingungen standen. In einem Falle wurde der Glaubenswechsel in der nächsten Generation wieder rückgängig gemacht: Alle vier Söhne des dem Conrad Bussow so sehr verhassten „verfluchten Wieder-Täufers“ Daniel Eyloff kehrten zum pro­testantischen Glauben des Großvaters (des Arztes Johan Eyloff) zurück. Das war jedoch, wie die Autorin mehrfach betont, nur in der Zeit der Wirren am Anfang des 17. Jahrhunderts mög­lich.

Die ausführlichen Skizzen machen deutlich, dass der Moskauer Staat insofern tolerant war, als Einwanderer normalerweise nicht zur Annah­me des orthodoxen Glaubens gezwungen wurden. Da jedoch „Mischehen“ zwischen Orthodoxen und Angehörigen einer Westkirche prin­zipiell nicht erlaubt waren, ergaben sich notgedrungen ernste Folgen, wenn ein Ehemann den neuen Glauben annahm, die Ehefrau sich jedoch weigerte, wie das aus dem Schicksal von Anna Barnsley (John Barnsleys Tochter, verheiratet mit Baron de Remont) sehr anschaulich hervorgeht: Man versuchte, sie zum Religionswechsel zu zwingen, und als sie sich dennoch nicht von ihrem protestantischen Glauben trennen wollte, wurde sie ins Kloster geschickt, bis sie nachgab. Noch übler erging es ihrem in Russland geborenen Bruder William, der nach Sibirien verwiesen wurde und erst ein normales Leben aufbauen (und heiraten) konnte, als er sich – nach 10 Jahren hartnäckiger Weigerung – orthodox taufen ließ. Der „Fall“ Anna Barnsley war übrigens schon Adam Olearius bekannt, der Anna bei einem seiner Aufenthalte in Moskau persönlich traf, nachdem sie von ihrem langen Zwangsaufenthalt im Kloster Belozersk wieder nach Moskau zurückgekehrt war.

T. Oparina hat zu jedem ihrer Protagonisten eine Menge neuer Quellen ausgewertet, und zwar – was als besonders positiv hervorgehoben werden soll – nicht nur in russischen Archiven, sondern z.B. auch im Londoner Public Record Office. Ebenso erfreulich ist es, dass sie bei wei­tem nicht nur russische Sekundärliteratur benutzt hat (wie das leider bei russischen Historikern immer noch üblich ist), sondern auch sehr viele in englischer und deutscher Sprache gedruckte Arbeiten. Bei der sehr gründlichen Arbeit kann man allenfalls kritisch anmerken, dass relativ viele unnötige Wiederholungen vorkommen und die Zahl der Druckfehler recht hoch ist.

Am Ende des Buches findet sich eine Zusammenfassung und ein Namensindex, der sowohl historische Persönlichkeiten als auch Autoren von wissenschaftlichen Arbeiten umfasst. Leider fehlt eine zusammenfassende Literaturliste, die es – neben dem Vorteil größerer Übersichtlichkeit – ermöglicht hätte, die in den Anmerkungen vielfach wiederholten ausführlichen Literaturhinweise abzukürzen. So kostet es z.B. trotz Index einige Mühe, sich über alle Publikationen der Autorin, die in vielen, auf 27 Seiten verteilten Anmerkungen genannt werden, einen Überblick zu verschaffen. Die von der Autorin (oder vom Verlag?) gewählte Darstellungsweise mit Literaturhinweisen in Endnoten nach jedem einzelnen Kapitel verlangt außerdem vom Leser ein ständiges mühsames Hin- und Herblättern, zumal die Endnoten zuweilen durchaus auch inhaltlich wichtige Informationen enthalten, nicht nur Fundstellen von Archivalien und bibliographische Hinweise. Diese Kritik mindert jedoch kaum den Wert dieser gewissenhaften, interessanten und teilweise sogar spannenden Untersuchung.

Ingrid Maier, Uppsala

Zitierweise: Ingrid Maier über: Tat’jana A. Oparina: Inozemcy v Rossii XVI–XVII vv. Očerki istoričeskoj biografii i genealogii [Ausländer in Russland im 16.–17. Jahrhundert. Skizzen zur historischen Biographie und Genealogie]. Izdat. Progress-Tradicija Moskva 2007, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Maier_Oparina_Inozemcy.html (Datum des Seitenbesuchs)