Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 3, S. 493-495

Verfasst von: Hans-Christian Maner

 

Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hrsg. von Holm Sundhaussen / Konrad Clewing. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2016. 1102 S., 10 Ktn. ISBN: 978-3-205-78667-2.

Eine zweite oder weitere Auflagen von Publikationen erscheinen in der Regel ohne gesonderte Beachtung durch Rezensionsorgane – zu Recht, zumal die neue Auflage vielfach ohne grundlegende Änderungen erscheint. Dies ist bei der zweiten Auflage des Lexikons zur Geschichte Südosteuropas nicht der Fall, weswegen sie aus mehreren Gründen Aufmerksamkeit verdient. Die erste, 2004 erschienene Auflage ist seit einigen Jahren vergriffen. Dies deutet auf die positive Resonanz des Werkes und das Bedürfnis der Leser nach einem vertieften Verständnis der historischen und aktuellen Verhältnisse in Südosteuropa hin. Der Wunsch nach einem besseren Verständnis der Region, auch angesichts der aktuellen Entwicklungen (europäische Integration, Migration), hat sich gerade in den letzten Jahren noch verstärkt, so dass die Notwendigkeit eines solchen Werkes noch größer geworden ist.

Die neue Auflage ist der Grundkonzeption der ersten Auflage treu geblieben. Auch das neue Lexikon reduziert und komprimiert den Stoff, ohne jedoch die Komplexität der historischen Wirklichkeit zu vernachlässigen. Darüber hinaus nimmt es auch durch die Neuerungen, über die gleich zu sprechen sein wird, nach wie vor einen zentralen Platz in der Südosteuropaforschung ein. Gleich geblieben ist auch, dass sich in dem Werk keine personenbezogenen Artikel finden. Dafür steht das mittlerweile auch online verfügbare Biographische Lexikon zur Geschichte Südosteuropas.

Grundlegende Veränderungen betreffen die Herausgeber sowie den Umfang des Werkes. Neben dem während der Arbeiten am Lexikon verstorbenen Doyen der Südosteuropaforschung in Deutschland, Holm Sundhaussen, fungiert als treibende Kraft Konrad Clewing, der bei der ersten Auflage die redaktionelle Betreuung innehatte. Rein optisch ist das Buch um fast das Doppelte angewachsen: von 770 auf 1102 Seiten. Neben der Aktualisierung der Texte und der Literatur, wobei letztere noch ergänzt wurde, sind zehn Karten und ein Sachregister neu. Den größten Teil der Neuerungen nehmen die 61 hinzugekommenen Lemmata ein, die in überwiegender Anzahl aus der Feder von Holm Sundhaussen stammen und sich nahtlos in das Grundkonzept des Bandes einfügen.

Die Beiträge befassen sich mit Raumbegriffen, zentralen Termini der gesamten Region sowie mit einzelnen Ländern, Bevölkerungsgruppen und Staaten. Zeitlich umfassen die Artikel die Spanne vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart, von den Imperien Byzanz, dem Reich der Osmanen und der Habsburger bis hin zu den modernen Nationalstaaten.

In dem Nachschlagewerk geht es also nicht allein um die geraffte Darstellung der Geschichte von politischen Gemeinwesen von Albanien bis Zypern. Im Lexikon finden Interessierte darüber hinaus Ausführungen zu Stichworten übergeordneter Natur, die auf ihre Bedeutung für Südosteuropa hin abgefragt werden. Zu den bisherigen Lemmata dieser Kategorie wie beispielsweise „Adel“, „Akademien“, „Arbeiter“, „Alphabet(e)“, „Bevölkerungsbewegung“, „Bildungswesen“, „Bürgertum“, „Ethnische Säuberung“, „Holocaust“, „Modernisierung“, „Parteien“, „Verfassung“, „Volkskultur“ kommen hinzu „Bevölkerung“, „Bodenrecht“, „Eliten“, „Erinnerungskultur“, „Ethnie, ethnische Gruppe“, „Kommunismus“, „Korruption“, „Nation“ u. a. Daneben finden sich Artikel zu spezifisch südosteuropäischen Begriffen, z. B. Amts- und Begriffsbezeichnungen (neu hierzu „Ägypter, Ashkali“, „Bogomoljci“, „Torbeschen“ u. a.), zu kulturellen, politischen und sozialen Bewegungen oder Erscheinungen.

Diese speziellen wie übergreifenden Termini bilden eigentlich einen Schwerpunkt des Nachschlagewerkes, der allein schon aus dem Umfang der jeweiligen Artikel auszumachen ist, wie u. a. die Beiträge zu „Kolonisation, Kolonistenrechte“, „Liberalismus“, „Min­derheiten, Minderheitenschutz“, „Nationalstaatsbildung“, „Nationsbildung“, „Spra­chen“, „Sprachenkodifizierung“ verdeutlichen. Die Untergliederung einzelner Stichworte in einzelne Abschnitte z. B. „Feudalismus“ in „Feudalismus (Byzanz u. mittelalterlicher Balkan)“, „Feudalismus (Osmanisches Reich)“, „Feudalismus (Ungarn)“ oder „Revolution v. 1848/49“ in Donaufürstentümer, Kroaten, Serben, Siebenbürgen, Slowaken, Slowenen, Ungarn – belegt eine differenzierte chronologische, regionale wie systematische Vorgehensweise. In der Neuauflage sind einzelne Lemmata in einen allgemeineren oder auch spezifischeren Kontext gestellt worden. So ist das Stichwort „Frau“ um die Spezifizierung „Frau (Osmanisches Reich)“ und der Begriff „Stadt“ um „Stadt, Stadttypen (allgemein)“ ergänzt worden.

Es sind gerade diese Beiträge, die zwar einerseits die Besonderheiten der Geschichtsregion Südosteuropa herausarbeiten, die aber andererseits auch die Affinität zu den anderen Regionen Europas aufleuchten lassen. Darüber hinaus bieten sie dem Leser auch ein buntes Bild, eine Vielfalt sowie zahlreiche Gemeinsamkeiten und Überschneidungen mit anderen Großregionen Europas. Die ausgewählten Stichworte sowie die Ausführungen dazu liefern Antworten auf Fragen wie: Was macht Südosteuropa im Kern aus? Warum lohnt die Beschäftigung mit Südosteuropa als besonderer Geschichtsregion? Wo sind Anknüpfungspunkte, Verbindungen, Verflechtungen mit, aber auch Unterschiede zur europäischen und globalen Geschichte?

Das Nachschlagewerk, das unter der Ägide des 2012 neu entstandenen Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg erschienen ist und dessen 603 Einträge von einem internationalen renommierten Kollegium von 72 Forschern verfasst wurden, ist nicht allein dafür geeignet, das Spezifische an sich aufzuzeigen, sondern es kann auch dazu dienen, dies im Fluss einer allgemeinen europäischen und globalen Entwicklung zu sehen. Eine besondere Schwierigkeit, dem Lexika im Allgemeinen begegnen, ist die Verdichtung von immer mehr zur Verfügung stehendem Wissen auf einem begrenzten Raum. Der sehr viel größere Umfang der zweiten Auflage des vorliegenden Lexikons verdeutlicht dies. Dabei müssen Herausgeber sich auch mit einer grundlegenden Frage auseinandersetzen: Wie kann in einer solchen Konzentration der „Sehepunkt“ des jeweiligen Autors deutlich werden? Durch die Nennung der Verfasser hat der kritische Nutzer zumindest die Möglichkeit, sich den Kontext des einzelnen Lemmata-Verfassers selbst zu erschließen.

Betont werden muss allerdings, dass die einzelnen Artikel nicht allein darauf ausgerichtet sind, dem Leser einen Überblick zu bieten, sondern problemorientiert in das Thema einzuführen. Sehr hilfreich für eine Vertiefung der erworbenen Kenntnisse bzw. ein Weiterarbeiten ist ein Literaturverzeichnis im Anschluss an jeden abgehandelten Begriff. Gleich zu Beginn des Bandes erweist sich zudem ein Verzeichnis der im Band behandelten Stichworte als sehr sinnvoll.

Eine Sammelpublikation im Allgemeinen und ein Nachschlagewerk im Besonderen sind stets anspruchsvolle Unternehmen, die bei Benutzern besondere Erwartungen wecken. Das vorliegende Lexikon kann von einem breiten Leserkreis gewinnbringend nicht nur für eine erste Information, sondern auch zur vertiefenden Lektüre genutzt werden. In ihrem Vorwort haben die Herausgeber bereits angemerkt, „dass es bei der Arbeit an einem Lexikon nie ein wirkliches Ende gibt“. Für eine dritte Auflage stünden bereits eine „Vielzahl an Desiderata“ an. Diese Fortsetzung ist dem redaktionell akribisch bearbeiteten Werk im Sinn der interessierten Laien sowie der Forschung zu wünschen.

Hans-Christian Maner, Mainz

Zitierweise: Hans-Christian Maner über: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hrsg. von Holm Sundhaussen / Konrad Clewing. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2016. 1102 S., 10 Ktn. ISBN: 978-3-205-78667-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Maner_Sundhaussen_Lexikon_zur_Geschichte_Suedosteuropas.html (Datum des Seitenbesuchs)

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