Norbert Conrads (Hrsg.) Die tolerierte Universität. 300 Jahre Universität Breslau 1702–2002. Katalogbuch zur Ausstellung „Die tolerierte Universität“. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2004. 254 S., zahlr. Abb.
Zum 300-jährigen Bestehen der Universität Breslau hat der Stuttgarter Frühneuzeitler und Schlesien-Spezialist Norbert Conrads mit seinem Schülerkreis, mit dem er schon des Längeren über diese Universität geforscht und publiziert hat, eine Ausstellung konzipiert, die (in nicht ganz identischen Fassungen) an drei Orten gezeigt wurde. Der vorliegende Band dokumentiert diese Ausstellung, die allerdings – anders, als der Untertitel suggeriert – nicht dem gesamten Zeitraum gewidmet war, sondern nur dem ersten ‚langen‘ Jahrhundert: zwischen der kaiserlichen Privilegierung, die das seit Jahrzehnten bestehende Jesuitenkolleg 1702 zu einer Universität (allerdings nur mit Philosophischer und Theologischer Fakultät) machte, und der Vereinigung mit der Universität Frankfurt/Oder 1811. Der Obertitel verweist auf die Vorbehalte, auf welche die Jesuiten-Universität im protestantischen Breslau von Anfang an stieß. Nach der preußischen Eroberung Schlesiens wurden sie noch verstärkt. Auf den Katalogteil (S. 16–83) mit mustergültigen Texten zu den einzelnen Exponaten, die Kontext und Bedeutung jedes einzelnen erläutern und es, wo nötig, auch interpretieren, folgt eine Auswahl von Quellen (S. 85–111), die sich nur minimal mit dem (ebenfalls von Conrads und zwei Schülern) im Jahr 2003 herausgegebenen „Quellenbuch zur Geschichte der Universität Breslau 1702 bis 1811‟ überschneiden. Mehr als die Hälfte des ganzen Bandes nehmen die wissenschaftlichen Beiträge (S. 113–254) zu bestimmten Phasen und Aspekten der Geschichte der Leopoldina ein. Conrads’ Überblick über das erste Jahrhundert (genauer: die ersten 80 Jahre) stellt Universitätsgeschichte im besten Sinne dar: nicht als Sonderdisziplin, zu der sie sich immer wieder zu entwickeln droht, sondern als Teil der allgemeinen Geschichte; denn Conrads stellt die Hochschule in den Kontext der Stadt- und der schlesischen Geschichte, der preußischen Geschichte unter Friedrich II. und der Bildungsgeschichte. Dagegen zeichnet Arno Herzig zum Abschluss des Bandes die Entstehung der 1811 „im Kern neu errichteten Universität“ (S. 251) zu eng an den Quellen entlang nach. Markus Müller beweist, dass sich die Beschränkung auf zwei Fakultäten nicht nur aus der ratio studiorum (1599) der Societas Jesu ergab (die Medizin und Jura in deren Lehre faktisch ausschloss), sondern es – entsprechend den im Lande herrschenden Kräfteverhältnissen – den Protestanten ermöglichte, die Oberaufsicht über das Medizinalwesen zu verteidigen und den Zugang katholischer Juristen zu öffentlichen Funktionen zu verhindern. Zugleich belegt er, wie durch zwei Einzelprofessuren phasenweise doch Grundkenntnisse dieser Fächer zu erwerben waren, auf denen dann ein Auslandsstudium aufbauen konnte, und welche weiteren Kompensationsmöglichkeiten und Versuche des Ausbaus zur Volluniversität es gab. Allgemein- und Bildungshistoriker werden außerdem noch zu dem Artikel über den (später in Österreich und mit Ausstrahlungen bis nach Russland) so bedeutsamen Schulreformer Johann Ignaz Felbiger greifen, dessen Kritik am Lehrbetrieb und Überlegungen zur Schulreform Karen Lambrecht untersucht. Für Kirchen- wie Allgemeinhistoriker von Interesse ist Joachim Köhlers Analyse der aus der Leopoldina hervorgegangenen katholischen Bischöfe, mit der er die traditionelle „‚ultramontane‘“ (S. 130, d. h. vorrangig aus kirchlicher Perspektive formulierte) Bewertung einer „Revision“ (S. 142) unterzieht. Als Ergänzung dazu bietet sich Roland Gehrkes Untersuchung zur Aufhebung des Jesuitenordens und zur Verstaatlichung des Bildungswesens an. Da die Einrichtungen weiterhin in der Hand der (Ex-) Jesuiten blieben, bewahrte auch die Leopoldina „ihren Charakter als Jesuitenuniversität bis in das Jahr 1800 hinein“ (S. 243). Weitere Beiträge gelten dem auditorium comicum und dem Repertoire des Breslauer Jesuitentheaters (Detlef Haberland), dem Bilderzyklus im Universitätsgebäude (Angelika Marsch) und der Musikpflege der Leopoldina (Rudolf Walter). Insgesamt handelt es sich um eine willkommene Ergänzung der Literatur zur Breslauer Universitätsgeschichte.
Trude Maurer, Göttingen
Zitierweise: Trude Maurer über: Norbert Conrads (Hrsg.): Die tolerierte Universitaet. 300 Jahre Universitaet Breslau 1702–2002. Katalogbuch zur Ausstellung „Die tolerierte Universitaet“. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2004. ISBN: 3-515-08249-2, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 4, S. 626-627: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Maurer_Conrads_Die_tolerierte_Universitaet.html (Datum des Seitenbesuchs)