Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 122-123
Verfasst von: Eduard Mühle
Mikołaj Gładysz: The Forgotten Crusaders. Poland and the Crusader Movement in the Twelfth and Thirteenth Centuries. Leiden: Brill, 2012. XXV, 433 S., 5 Ktn., Graph. = The Northern World, 56. ISBN: 978-90-04-18551-7.
Die (trotz zahlreicher Druckfehler) gut lesbare englische Übersetzung der 2002 im polnischen Original erschienenen Danziger Dissertation aus dem Jahr 2000 bietet eine umfassende monographische Zusammenschau der Rezeption des Kreuzzugsgedankens im piastischen Polen und der daraus rührenden mehr oder weniger aktiven polnischen Beteiligung an einzelnen Kreuzzügen zwischen 1095 und 1291. Als „Kreuzzug“ wird dabei nicht nur die militärische Expedition ins Heilige Land verstanden, sondern „any initiative which on the basis of a papal licence was endowed with such a status“ (S. 3). Die Untersuchung schließt damit jene Kampagnen ein, die bei Ablegung der gleichen Gelübde, Verwendung der gleichen Zeichen und Gewährung der gleichen Sündennachlässe bzw. Privilegien, wie sie bei Expeditionen ins Heilige Land galten, gegen pagane Elbslawen, Pomoranen, Pruzzen, Balten oder Mongolen, ja später mitunter selbst gegen christliche Papst- oder Kirchengegner unternommen wurden. Als entscheidend erachtet der Autor, dass die Teilnehmer der ostmitteleuropäischen Kreuzzüge mit den gleichen kirchenrechtlichen und ‚ideologischen‘ Argumenten rekrutiert wurden wie die levantinischen Kreuzfahrer und sich – auch wenn sie um die Unterschiede zwischen ihrem europäischen Kreuzzug und dem Kampf um die Befreiung oder Verteidigung Jerusalems wussten – letztlich als Teil der gleichen elitären militia Dei verstanden haben. Diese Definition des Gegenstandes macht Sinn. Zum einen ermöglicht sie überhaupt erst, das Thema mit Blick auf das mittelalterliche Polen monographisch zu behandeln (die dürftigen, zum Teil unsicheren Hinweise auf zwei, drei polnische Kreuzfahrer ins Heilige Land wären in einem Aufsatz rasch abgehandelt). Zum anderen bietet sie die Chance, die bestehenden inhaltlichen Verbindungen und strukturellen Verflechtungen zwischen den levantinischen Kreuzzügen und den ostmitteleuropäischen Kampagnen gegen die benachbarten „Ungläubigen“ herauszuarbeiten und vor diesem Hintergrund den spezifischen Anteil des piastischen Polen an dem gesamteuropäischen Phänomen des päpstlich legitimierten „Heidenkampfes“ zu ermitteln.
Dazu trägt der Autor in zwölf – der Chronologie der Ereignisse folgenden – Kapiteln minutiös das gesamte verfügbare Quellenmaterial zusammen und diskutiert eingehend und in intensiver Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung die zum Teil sehr unterschiedlichen Möglichkeiten seiner Auslegung. Die Spärlichkeit und Begrenztheit der Quellen zwingen ihn dabei häufig zu – mitunter kühnen – Hypothesen, so dass das Buch über weite Strecken eher mögliche oder denkbare Handlungs- und Ereignisvarianten durchspielt als gesicherte Erkenntnisse präsentiert. Dennoch entsteht am Ende ein durchaus plausibles Bild, das eine gewisse Beteiligung des piastischen Polen am Kreuzzugsgeschehen und – seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts – auch eine gewisse Verbreitung des Kreuzzugsgedankens innerhalb seiner Eliten erkennen lässt. Allein für neun Piastenherzöge kann eine aktive Teilnahme an Kreuzzügen nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (einige von ihnen brachen auch mehrmals auf), während zwei weitere ein entsprechendes Gelübde ablegten, ohne dieses letztlich einzulösen. Nicht zu Unrecht vermutet Gładysz, dass ein solches herzogliches Engagement von einem breiteren analogen Engagement weltlicher Großer begleitet gewesen sein dürfte, das in den Quellen freilich keinen oder kaum Niederschlag gefunden hat. Erkennbar wird jedoch auch, dass die Aufnahme der Kreuzzugsidee mit einer Rezeption höfisch-ritterlicher Kultur und einem Engagement für kirchliche Stiftungen einherging. Eine Auswirkung der Kreuzzugsbewegung war in Polen schließlich die Ansiedlung von Ritterorden – Grabwächtern, Johannitern, Templern, am Ende nicht zuletzt auch des Deutschen Ordens, der im 13. Jahrhundert im übrigen die organisatorische Führung der von Polen ausgehenden „nördlichen Kreuzzüge“ übernahm. Insgesamt zeigt die Studie, dass die Kreuzzugsbewegung das piastische Polen als ein integrales Element eines umfassenderen lateinisch-christlichen Kulturmodells erreichte und dass die piastischen Teilfürstentümer an diesem Modell – wenn auch mit einer gewissen Verspätung und geringeren Intensität – partizipiert und zu dessen Ausgestaltung aktiv beigetragen haben.
Zitierweise: Eduard Mühle über: Mikołaj Gładysz: The Forgotten Crusaders. Poland and the Crusader Movement in the Twelfth and Thirteenth Centuries. Leiden: Brill, 2012. XXV, 433 S., 5 Ktn., Graph. = The Northern World, 56. ISBN: 978-90-04-18551-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Muehle_Gladysz_The_Forgotten_Crusaders.html (Datum des Seitenbesuchs)
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