David M. Glantz Red Storm over the Balkans. The Failed Soviet Invasion of Romania, Spring 1944. University Press of Kansas Lawrence 2007. XIV, 448 S., Tab., Abb., Ktn. = Modern War Studies.

Die Bücher zum Zweiten Weltkrieg sind Legion, und doch gibt es noch immer Bereiche, über die praktisch gar nichts bekannt ist. Die Ostfront der Jahre 1943/45 ist in diesem Sinne Terra incognita. Wie der Hamburger Historiker Bernd Wegner einmal pointiert formulierte, wis­sen wir über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in den entlegensten deutschen Kleinstädten mehr als über die meisten militärischen Großereignisse in Russland, bei denen Hun­derttausende Soldaten starben. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich David M. Glantz in seiner neuesten Studie eines weitgehend unbekannten Ereignisses annimmt: Im April und Mai 1944 versuchte die Rote Armee von der Nordukraine aus nach Rumänien einzubrechen und scheiterte damit kläglich. Von russischer Seite hat man diesen wenig schmeichelhaften Fehlschlag stets zu unterschlagen versucht. In den offiziellen Darstellungen zum Großen Vaterländischen Krieg konzentrierte man sich lieber auf die erfolgreichen Offensiven, etwa die Operation Bagration, in deren Verlauf im Sommer 1944 die Heeresgruppe Mitte vernichtet wurde.

Auf der Grundlage der verfügbaren Quellen zeigt Glantz mit seiner operationsgeschichtlichen Studie, wie der in der Sowjetunion so hochgelobte Marschall Ivan Konev mit geschwächten Einheiten einen nur ungenügend vorbereiteten Angriff startete und es ihm nicht gelang, die zahlenmäßig weit unterlegenen deutschen und rumänischen Truppen zu schlagen. Obwohl die Wehrmacht im fünften Kriegsjahr bereits einen erheblichen personellen und materiellen Aderlass hatte hinnehmen müssen, zeigte sie sich hier operativ der Roten Armee überlegen, weil ihre Divisionen besser geführt wurden und sie noch immer das Gefecht der verbundenen Waffen beherrschten. Bei den sowjetischen Einheiten wurden die Panzerverbände hingegen oft von der kaum ausgebildeten Infanterie getrennt, was zu hohen Verlusten führte.

Glantz Studie ist für die Geschichte des Russ­landkrieges in mehrfacher Hinsicht interessant: Die Betrachtung der Operationen im Frühjahr 1944 gibt Aufschluss über die Stra­tegie Stalins, der sich in dieser Schlüsselphase des Krieges offenbar nicht dazu entschließen konnte, klare Schwerpunkte zu bilden, sondern seine Truppen auf breiter Front angreifen ließ, um irgendwo die deutschen Linien zu durchbrechen. War die zahlenmäßige Unterlegenheit der Wehrmacht nicht zu groß, konnte diese den Vor­marsch der Roten Armee immer wieder aufhalten.

Zudem weist Glantz auf ein Phänomen hin, das zuletzt von Karl-Heinz Frieser in seiner Darstellung über den Russlandkrieg im Band 8 des Reihenwerkes „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ beschrieben wurde: Erstaunlicherweise war die Wehrmacht in der beweglichen Kampfführung der Roten Armee bis zum Winter 1944/45 überlegen. drei Viertel der etwa 200.000 Soldaten, die im April und Mai 1944 bei den Kämpfen an der ukrainisch-rumänischen Grenze fielen oder verwundet wurden, waren Rotarmisten. Warum es den sowjetischen Streitkräften offenbar nicht gelang, in puncto Führungskompetenz mit der Wehrmacht gleichzuziehen, ist bislang ebenso wenig untersucht wie die Frage, warum es der Wehrmacht gelang, trotz der immensen Offiziersverluste ein so hohes Maß an Führungskompetenz zu bewahren.

Neben der Erforschung der Verbrechen der Wehrmacht wäre es daher dringend notwendig, das eigentliche Betätigungsfeld der Armee des Dritten Reiches zu untersuchen: die Kriegführung. Dies können operationsgeschichtliche Stu­dien leisten, wobei an dieser Stelle nicht verschwiegen werden darf, dass das vorliegende Buch methodisch nicht weiterführt. Über die Moral der Truppen, ihre Ideologisierung, ihre Wahrnehmung des Krieges und das Ausmaß der Gewalteskalation auf und hinter dem Schlachtfeld erfährt man nichts. Auch der Vergleich der hier kämpfenden Verbände der Waffen-SS und des Heeres hätte vertieft werden können, zumal ein solcher schon lange ein Desiderat ist.

Lobenswert ist, dass Glantz in großem Umfang sowjetische Literatur und – soweit zugänglich – auch Archivquellen ausgewertet hat. Neben den einschlägigen deutschen Akten musste sich Glantz aber in umfassender Weise auf unwissenschaftliche Literatur stützen und er vermochte leider auch keine bislang unbekannten Tagebücher auszuwerten. So bleibt das Fazit ge­teilt. Glantz hat eine interessante Operationsgeschichte einer beinahe vergessenen Offensive an der Ostfront vorgelegt, die methodisch allerdings kein Neuland zu erschließen vermag.

Sönke Neitzel, Mainz

Zitierweise: Sönke Neitzel über: David M. Glantz: Red Storm over the Balkans. The Failed Soviet Invasion of Romania, Spring 1944. University Press of Kansas Lawrence 2007. = Modern War Studies. ISBN: 978-0-7006-1465-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 463-464: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Neitzel_Glantz_Red_Storm.html (Datum des Seitenbesuchs)