Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 60 (2012) H. 3, S.  462-463

Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012) H. 3, S. 462-463

Verfasst von: Christian Noack

 

A. A. Aliev: Ideologija „Musul’manskogo nacionalizma“. Analitičeskij obzor. [Die Ideologie des „islamischen Nationalismus“. Ein analytischer Überblick.] Moskva: Izdat. INION RAN, 2008. 102 S. = Vseobščaja istorija. ISBN: 978-5-248-00464-5.

Mit dem 11. September 2001 scheint das Phänomen „muslimischer Nationalismus“ endgültig zu einem Anachronismus geworden zu sein. Auch im Bereich der ehemaligen Vielvölkerstaaten Sowjetunion und Jugoslawien sehen sich Staaten und Nationalbewegungen, die sich als „muslimisch“ definieren, durch radikale islamische Bewegungen herausgefordert.

Zeitlich deckt die vorliegende Studie historische Entwicklungen zwischen der Entstehung eines muslimischen Reformismus im 19. Jahrhundert und der Krise des arabischen Nationalismus in Folge der Nahostkriege 1967 und 1973 sowie der Iranischen Revolution von 1979 ab. Aliev diskutiert vor allem dogmatische Aspekte der Verbindung von Islam und Nationalismus vom Koran bis zu den Vordenkern eines muslimischen Nationalismus im 20. Jahrhundert. Versuche der politischen Umsetzung solcher Vorstellungen werden nur selten angesprochen. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt so eindeutig auf der Synthese muslimisch-reformistischen Denkens und nationaler Ideologie im Prozess der Dekolonisierung. Geographisch gesehen behandelt Aliev vor allem den arabischen Raum und Persien; er bezieht nur gelegentlich Beispiele aus dem süd- und südostasiatischen Raum ein.

Diese zeitliche und räumliche Beschränkung zu akzeptieren fiele leichter, würde der Autor entweder mit neuen Erkenntnissen oder originellen Interpretationen aufwarten oder die politische und gesellschaftliche Relevanz der Ideologie im historischen Kontext überzeugend diskutieren. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil paraphrasiert Aliev über weite Passagen Erkenntnisse der sowjetischen Orientalistik. Gelegentlich werden auch ältere westliche Studien zitiert. Neuere Arbeiten, allen voran solche, die sich mit der Entstehung konkurrierender islamischer Ideologien befassen, bleiben völlig unbeachtet.

Noch problematischer ist, dass Aliev den Begriff Nationalismus und seine Derivate nicht diskutiert beziehungsweise definiert und dass seine Ideologiegeschichte nur in Ausnahmefällen auf einer unmittelbaren und detaillierten Analyse der Schriften muslimischer Nationalisten beruht. Deswegen gewährt der kompakte Band eher einen Überblick über die Entwicklung von Orientalistik und Islamwissenschaft in der späten UdSSR. Als Einführung in die Thematik kann er nur sehr eingeschränkt empfohlen werden.

Christian Noack, Maynooth, Irland

Zitierweise: Christian Noack über: A. A. Aliev: Ideologija „Musul’manskogo nacionalizma“. Analitičeskij obzor. [Die Ideologie des „islamischen Nationalismus“. Ein analytischer Überblick.] Moskva: Izdat. INION RAN, 2008. 102 S. = Vseobščaja istorija. ISBN: 978-5-248-00464-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Noack_Aliev_Ideologija.html (Datum des Seitenbesuchs)

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