Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 59 (2011) H.4

Verfasst von: Diana Ordubadi

 

Erich Donnert: Russlands Ausgreifen nach Amerika. Ein Beitrag zur eurasisch-amerikanischen Ent­deckungsgeschichte im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Frankfurt / Main [u. a.]: Peter Lang, 2009. 175 S., 7 Abb. ISBN: 978-3-631-58362-3.

In seinem neuen Buch liefert Erich Donnert einen konzisen chronologischen Überblick über die Geschichte der russischen Erkundungs- und Entdeckungsfahrten im 18. und beginnenden 19. Jahr­hundert. Das Werk bietet interessante Einblicke in die Unterfangen derjenigen Forschungsreisenden, die im russischen Auftrag – und geleitet von dem Geist der Aufklärung – die wenig erforschten ostsibirischen Territorien sowie die Gebiete von Russisch-Amerika zu erkunden und zu beschreiben suchten. Bewusst distanziert sich der Verfasser von den Ansätzen der nordamerikanischen und sowjetischen Forschungsliteratur, die vornehmlich die wirtschaftlichen Gesichtspunkte der Erkundungsexpeditionen unter die Lupe nimmt, und konzentriert sich bei seinen Schilderungen auf die kulturellen und wissenschaftsgeschichtlichen As­pekte. Das in einer stilistisch ausgereiften Sprache verfasste Buch behandelt die Spanne von den Kamčatka-Expeditionen unter Vitus Bering (1681–1741) bis zu den Weltreisen von Ferdinand von Wrangell und Friedrich Benjamin von Lütke am Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Die ersten, dem entdeckungsreichen 18. Jahrhundert gewidmeten Kapitel stellen nicht nur die einschlägigen Erkundungsfahrten in den russischen Norden vor, sondern bringen in gekonnter Kürze das komplizierte Gemisch von politisch-strategischen und wissenschaftlichen Interessen des Zarenreiches in Bezug auf Russisch-Amerika zum Vorschein. Russische Weltumsegelungen des 19. Jahrhunderts werden anschließend in personalisierter Darstellung zusammengefasst, wobei vor allem die Beiträge der Kapitäne und ihrer Naturforscher zu dem Gesamterfolg der Unternehmungen in den Vordergrund rücken. Immer wieder werden sachliche Erläuterungen des Verfassers durch amüsante Zitate aus den Werken der Reisenden unterbrochen, was dem Leser die Atmosphäre auf den Schiffen näherbringt und einige Einblicke in die Gedankenwelt tüchtiger, aber auch ehrgeiziger Gelehrter in jener Epoche erlaubt.

Da unter den herausragenden Figuren der russischen Entdeckungsgeschichte viele deutsche Namen auffallen, leistet das Buch somit auch einen weiteren Beitrag zu der Auseinandersetzung mit der seit dem 18. Jahrhundert etablierten Tradition der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen. Diese erwuchs aus dem ursprünglichen Mangel an akademischem Nach­wuchs im Zarenreich und der ausgeprägten Bereitschaft der russischen Regierung, talentierte ausländische Spezialisten aus allen Gebieten für sich zu verpflichten, um den sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt im Lande zu beschleunigen. Im Vorwort gibt Erich Donnert an, „das vorstehende Thema ausgehend von der wissenschaftlich-menschlichen Grundhaltung der Aufklärung“ behandeln zu wollen, „die den Weg zu einem neuen Verständnis der Kulturen und Lebensgemeinschaften der Völker der Welt eröffnete.“ (S. 8) Wenn es darum geht, die Annäherung zwischen den russischen und westeuropäischen akademischen Kreisen vor dem Hintergrund der unbekannten fernöstlichen Kulturen aufzuzeigen, so erreicht der Verfasser sein Ziel völlig. Authentisch vermittelt er auch das idealistische Prinzip damaliger Forscher, die „neue fremde“ Welt allseitig und vorurteilslos zu studieren, um „nicht allein das Naturreich mitsamt den Menschen und ihrer Kultur“ zu erfassen, sondern „ebenso, die Gründe für das Werden der verschiedenen Naturformen zu erforschen.“ (S. 10). Kaum eingegangen wird jedoch auf die konkreten Formen der Kontakte und Beziehungen der Europäer mit der indigenen Bevölkerung. Mentalitätsschwierigkeiten der Reisenden bei ihrer Wahrnehmung der ‚fremden‘ Kulturen und die Auswirkungen der exotischen Erfahrungen auf das eurozentrische Selbstverständnis bleiben bei der Betrachtung ethnographischer Expeditionsquellen beinahe stets ausgeklammert. So kommt die zweifellos bestehende Kontinuität der Methoden der Völkerbeschreibung bei den verschiedenen Naturforschern der beschriebenen Erkundungsreisen kaum zur Sprache. Dafür werden die kolonialistischen Einflüsse der größten russischen Handelsgesellschaft – der Russisch-Amerikanischen Kompanie (RAK) – auf die Organisation und Zielsetzung der Weltumseglungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts erläutert, was zu einem Verständnis des breiten Spektrums an Hoffnungen, Erwartungen und Ängsten beiträgt, die Russland mit dem Ausgreifen nach Amerika verband.

Auf knappem Raum bearbeitet Erich Donnert einen sehr umfassenden Teil der eurasisch-amerikanischen Entdeckungsgeschichte. Leider fehlt ein Literaturverzeichnis, aber der Endnotenapparat macht deutlich, welch großes Forschungspotenzial noch in allen Bereichen dieser Thematik steckt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Verfasser nicht alle Aspekte berücksichtigen konnte. Bei seiner Arbeit handelt es sich vielmehr um eine systematische Einführung in das Thema, die viele Forschungsanregungen gibt, selbst jedoch nicht beansprucht, mehr als eine Überblicksstudie zu sein.

Diana Ordubadi, Bonn

Zitierweise: Diana Ordubadi über: Erich Donnert Russlands Ausgreifen nach Amerika. Ein Beitrag zur eurasisch-amerikanischen Entdeckungsgeschichte im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Peter Lang, Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt/Main [usw.] 2009. ISBN: 978-3-631-58362-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Ordubadi_Donnert_Russlands_Ausgreifen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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