Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Ausgabe: 59 (2011) H. 3
Verfasst von: Pavel A. Pavlov
Mergen S. Ulanov: Buddizm v russkoj kul’ture konca XIX – pervoj poloviny XX veka [Der Buddhismus in der russischen Kultur vom Ende des 19. bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts]. Ėlista: Izdat. Kalmyckogo gosudarstvennogo universiteta, 2006. 115 S. ISBN: 5-230-20272-6.
Der erste Teil dieses Bändchens, das dem Einfluss des Buddhismus auf die russische Kultur gegen Ende der Zarenherrschaft und zu Beginn der Sowjetmacht gewidmet ist und dem die Analyse von Werken von Wissenschaftlern, Philosophen und Literaten zugrunde liegt, hat die wissenschaftliche Erforschung des Buddhismus im Russländischen Reich zum Gegenstand, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine erste Blüte erlebte. Der Autor untersucht die Werke von etwa zehn Wissenschaftlern, von denen die meisten der St. Petersburger Schule der Orientalistik – einer der bedeutendsten der Welt – angehörten. Der zutreffenden Bemerkung des Autors zufolge besteht ein wichtiger Beitrag dieser Schule darin, den so genannten Palizentrismus, die fast ausschließliche Konzentration des akademischen Interesses auf die Theravada-Tradition, also den südlichen Buddhismus, überwunden zu haben. So wurden nun in Russland die tibetisch-mongolischen buddhistischen Traditionen gründlich erforscht, was in engem Zusammenhang mit den intensiven russisch-mongolischen Kulturbeziehungen und den geopolitischen Interessen Russlands in Zentralasien stand. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor der so genannten orthodoxen Ergründung der Buddha-Lehre, d.h. den Bemühungen christlich-orthodoxer Geistlicher, auf ihre ganz eigene Weise die Buddha-Lehre zu erfassen. Ulanov betont deren ungenügende Sachkenntnis und einseitiges Herangehen an diese Frage.
In der zweiten Abteilung gilt das Interesse des Autors der Rolle des Buddhismus in den religionsphilosophischen Konzeptionen der bekanntesten „geistig Suchenden“ im Russländischen Reich der späten Zarenzeit (L. Tolstoj, V. Solov’ev, E. Blavatskaja, N. und E. Rerich). So werden zahlreiche Belege für das ausgeprägte Interesse Lev Tolstojs am Buddhismus – z.B. seine Übersetzungen buddhistischer Gleichnisse sowie die Existenz einer großen Bibliothek zum Thema Buddhismus in seinem Haus – präsentiert. Auch schildert der Autor, wie sich Tolstojs Bild vom Buddhismus im Laufe der Zeit entwickelte und welche Ideen er aus der buddhistischen Gedankenwelt übernahm. Beispielhaft zeigt Ulanov dies am Prinzip der Gewaltlosigkeit. Vladimir Solov’ev hat die westliche und hier wiederum in erster Linie die positivistische Philosophie kritisiert und ihr seine eigene Philosophie der All-Einheit entgegenstellte, die seiner Überzeugung zufolge dem Buddhismus wesensverwandt war. Insgesamt konstatiert Ulanov im philosophischen Denken von Solov’ev und Tolstoj einen Christianozentrismus, der unter anderem an der Charakterisierung des Buddhismus als Philosophie des „Lebensverzichts“, der „Lebensverschmähung“ zu erkennen sei. (S. 47, 57) Dank dem Engagement von Elena Blavatskaja hätten viele Menschen sowohl in Russland als auch im „Westen“ etwas über so wichtige Begriffe des Buddhismus wie Reinkarnation, Karma und Nirwana erfahren können, schreibt Ulanov. (S. 68) In dieser Frage kann dem Autor allerdings nicht zugestimmt werden, haben doch Blavatskajas Texte die Leser in dieser Hinsicht eher in die Irre geführt als informiert.
Im dritten und abschließenden Teil, welcher der Poesie gewidmet ist, geht der Autor der Rezeption und Verarbeitung verschiedener Aspekte des Buddhismus in den Gedichten von I. Annenskij, S. Nadson und D. Merežkovskij nach. Ideen der Buddha-Philosophie wie „der Schein“ findet der Autor in der Poesie von K. Balmont. Ulanov wird auf der Suche nach buddhistischen und quasi-buddhistischen Ideen auch bei manchen Prosaschriftstellern wie beispielsweise I. Bunin und G. Gasdanov fündig.
Zu den Stärken der Arbeit kann die Analyse der Wirkung des Buddhismus auf die russische Kultur jenseits von Religionswissenschaft, Philosophie und Literatur gezählt werden, führte doch die allgemein starke Fokussierung auf die genannten, auf Texten basierenden Wirkungsfelder dazu, dass der Einfluss des Buddhismus auf andere Gebiete der russischen Kultur bisher eher zu wenig Beachtung fand. So würdigt Ulanov den buddhistischen Lama Agvan Dordžiev, den Arzt und Kenner der tibetischen Medizin Petr A. Badmaev sowie den Chambo-Lama Daši Doržo Itigėlov, die erheblich zur Verbreitung des Buddhismus vor allem in den gebildeten Schichten der russischen Gesellschaft beigetragen hätten. Die Einflüsse des Buddhismus auf die russische Kunst, z. B. auf die sowjetische Malerei der zwanziger Jahre, die russische Architektur und die angewandte Kunst des Jugendstils werden dagegen von Ulanov nicht abgehandelt. So bleibt nur die Hoffnung, dass der Autor diese Lücken in weiteren Untersuchungen füllen wird, damit das Bild des Einflusses des Buddhismus auf die russische Kultur die wünschenswerte Vervollständigung erfährt.
Pavel A. Pavlov, Krasnojarsk
Zitierweise: Pavel A. Pavlov über: Mergen S. Ulanov Buddizm v russkoj kul'ture konca XIX – pervoj poloviny XX veka [Der Buddhismus in der russischen Kultur vom Ende des 19. bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts]. Ėlista: Izdat. Kalmyckogo gosudarstvennogo universiteta, 2006. ISBN: 5-230-20272-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Pavlov_Ulanov_Buddizm.html (Datum des Seitenbesuchs)
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