Stefan Fleischmann Szymon Budny. Ein theologisches Portrait des polnisch-weißrussischen Humanisten und Unitariers (ca. 1530–1593). Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2006. VII, 278 S. = Bausteine zur Slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Reihe A: Slavistische Forschungen, 53. ISBN: 978-3-412-04306-3.
Stefan Fleischmann legt mit seinem „theologischen Portrait“ einen wichtigen Beitrag zur frühneuzeitlichen Religionsgeschichte im Überlagerungsgebiet Ostmitteleuropas und Osteuropas im engeren Sinne vor. Er setzt sich als Aufgabe, mit dem slavistischen Rüstzeug als Grundlage die theologischen Aspekte des Schaffens Budnys systematisch zu untersuchen. Allerdings wird die damit umrissene Fragestellung nur äußerst knapp in dem einleitenden Vorwort festgehalten. Eine Einbettung des Vorhabens in neuere Konzepte wie das der konfessionellen Kultur hätte aus der Sicht des Historikers naheliegen können.
Zunächst skizziert der Autor den geistesgeschichtlichen Kontext des Schaffens Budnys. Anstatt seine Schriften einseitig durch westlichen oder östlichen Einfluss geprägt zu sehen, wie es in der polnischen und weißrussischen Forschung gängig geblieben ist, habe sich Budny „im Grenz- und Übergangsbereich zwischen der Kultur des Westens und des Ostens“ mit den Werken der hervorragendsten Vertreter beider Traditionen eigenständig auseinandergesetzt (S. 66). Dabei unterstreicht Fleischmann, Budnys Werk sei nicht als „völlig isolierte Einzelleistung“, sondern „eher als Kulmination verschiedener geistiger Aufbrüche“ in Polen-Litauen anzusehen (S. 66). Nicht nur der hohe Status humanistischer Bildung in Polen-Litauen während des „Goldenen Zeitalters“, sondern auch die politische Verfassung der Adelsrepublik hätten den außergewöhnlichen „religiöse[n] Individualismus und wissenschaftliche[n] Alleingang“ des Kleinadligen begünstigt. Keine Inquisition, höchstens seine Glaubensbrüder setzten ihn zuweilen unter Druck (S. 66).
Der Frage nach einer polnischen oder weißrussischen Identität Budnys, die im Teil „Leben und Werk“ angeschnitten wird, hätte mit dem Konzept situativer Identität die Statik einer – wie Fleischmann schreibt (S. 86) – unzeitgemäß eindeutigen Zuschreibung zu einer „Nation“ genommen werden können. Mit David Frick hält der Autor fest, Budnys Betonung der Textüberlieferungsprobleme habe die überregionale Bibelphilologie unabhängig von ihrer Konfession in eine neue Ära geleitet (S. 113). Ein Element dieses Prozesses, das man als transkulturell charakterisieren könnte, stellt die Übernahme der in den orthodoxen Übersetzungen üblichen Kapiteleinteilungen (načala) dar, was nicht nur den ruthenischen Lesegewohnheiten entgegenkam, sondern von polnischen Gelehrten aufgenommen wurde, wie David Frick herausgearbeitet hat (S. 114). Auch der bereits vom russischen Forscher V. Pliss 1914 beobachtete „heterodoxe“ Charakter von Werken Budnys (S. 115–116) könnte womöglich gewinnbringend als Phänomen der Transkonfessionalität diskutiert werden.
Aspekte der antitrinitarischen Theologie Budnys bzw. seine Lehre der Zeugung Christi standen so quer zu jeder Tradition, dass sie selbst im Kreis der ecclesia minor kaum akzeptiert wurden (S. 131). Während sich Budny gegen den Verdacht wehrte, zu den „Judaisierenden“ zu zählen, stand er im direkten Austausch mit örtlichen jüdischen Gelehrten und wurde durch seine vom Alten Testament ausgehende Argumentation in der polnischen ecclesia minor zum „Fremdkörper“ (S. 134–135). Budnys „antidogmatische Argumentation“ führte ihn zur Kritik an „Spekulationen“ bzw. Dogmen über Jesus Christus, mit denen schon die Kirchenväter die Ungereimtheiten in der Schrift aufzulösen versuchten, die aber keineswegs selbst durch explizite Schriftstellen untermauert sind (S. 176–177). Dank seiner ausgezeichneten Latein-, Griechisch- und Hebräischkenntnisse und dem Austausch mit Juden konnte Budny bei der ausgiebigen Kritik von Übersetzungen des Neuen wie auch des Alten Testaments grundlegend argumentieren und etwa Hebraismen im Neuen Testament erkennen (S. 208). In einigen Fällen wurde Budny von Juden bzw. „Judaisierenden“ auf Widersprüche hingewiesen, wie er selbst vermerkte (S. 230). Letztlich kam dabei „das westlich-humanistische Instrument der Textkritik in der jüdischen Polemik mit dem Christentum“ zum Einsatz (S. 240). Mit seiner Kritik der Schrift brachte er überdies die protestantische Auffassung von der Bibel als dem einzig wahren Glaubenszeugnis ins Wanken – ein Schritt, den die theologische Zunft erst einige Jahrhunderte später nachzuvollziehen bereit war.
Stefan Fleischmann gelingt es eindrücklich und differenziert darzulegen, wie sich im 16. Jahrhundert in dem aus westeuropäischer Perspektive vermeintlich abgeschiedenen ruthenischen Teil des Großfürstentums Litauen im Einzelfall ein individualistischer Intellekt zu entfalten vermochte, der an Innovativität und Radikalität des Denkens demjenigen seiner westlichen Kollegen in nichts nachstand und vom plurikonfessionellen kulturellen Zusammenhang des Raumes bereichert sowie vom Fehlen einer starken stadt- oder landeskirchlichen Herrschaft begünstigt war.
Stefan Rohdewald, Passau
Zitierweise: Stefan Rohdewald über: Stefan Fleischmann Szymon Budny. Ein theologisches Portrait des polnisch-weißrussischen Humanisten und Unitariers (ca. 1530–1593). Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2006. = Bausteine zur Slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Reihe A: Slavistische Forschungen, 53. ISBN: 978-3-412-04306-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 4, S. 607-609: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Rohdewald_Fleischmann_Szymon_Budny.html (Datum des Seitenbesuchs)