Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 59 (2001) H.4

Verfasst von: Stefan Rohdewald

 

A. B. Mazurov, A. Ju. Nikandrov: Russkij udel ėpochi sozdanija edinogo gosudarstva. Serpuchovskoe knjaženie v seredine XIV – pervoj polovine XV vv. Moskva: Izdat. Inlajt, 2008. 275 S., Ktn., Tab., Abb. ISBN: 978-5-98492-064-3.

Die Monographie schildert die Landesgeschichte eines kleinen udel (Teilfürstentums) südlich Moskaus vom Zeitpunkt des Übergangs des Gebiets aus Rjazaner in Moskauer Besitz und seiner Umwandlung in ein Teilfürstentum im Jahr 1340 bis zur Auflösung im Verband des Moskauer Großfürstentums im Jahr 1456. Heute bekannter als der frühere Fürstensitz ist die ehemals zu diesem Gebiet gehörende Stadt Radonež. Alle weiteren udely des Moskauer Fürstentums existierten kürzer und mit bedeutenden zeitlichen Unterbrechungen (S. 6). Einer Übersicht über die Quellen und Historiographie zum Fürstentum folgen eine Skizze seiner räumlichen Gliederung, ein Überblick über seine Vorgeschichte vom Beginn der ostslavischen Besiedlung im 11. Jahrhundert an sowie Abrisse der politischen Geschichte und der Geschichte des „geistigen Lebens“ des Fürstentums. Der methodisch-theoretische Rahmen bleibt mit der Rede von der „feudalen Zersplitterung“ in alten Diskursen verhaftet (S. 5). Davon nicht beeinträchtigt und verdienstvoll ist jedoch die Absicht, mit der Mikrostudie der Konzentration des Forschungsinteresses auf Moskau entgegenzuwirken (S. 6). Am Beispiel von Serpuchov sollen Eigenheiten des Teilfürstensystems im Rahmen des Moskauer Herrschaftsbereiches herausgearbeitet werden, so etwa Versuche der Großfürsten, mit den Teilfürsten aus dem Moskauer Herrscherhaus beschränkte Bündnisse einzugehen.

Die Skizze der historischen Geographie des Teilfürstentums folgt in ihrer Gliederung strikt dessen einzelnen Untergebieten und ist sehr enzyklopädisch gehalten. Nur eine knappe Zwischenbilanz stellt die Entwicklung übergreifend dar. Das 1340 eingerichtete Teilfürstentum gewann erst nach der Mitte des 14. Jahrhunderts an Bedeutung, als sich seine ‚innere Kolonisierung‘ bzw. Besiedlung verstärkte. Erst 1374 wurde die Burgstadt Serpuchov ausgebaut (S. 31). Zudem erweiterte sich das Fürstentum durch Verleihungen des Moskauer Großfürsten etwa um die wichtige Stadt Ržev sowie um Radonež. Das Fürstentum erlangte nach 1400 eine mit den Fürstentümern von Tver’ und Rjazan’ vergleichbare Ausdehnung (S. 64). Es war damit das älteste und größte Teilfürstentum im Moskauer Großfürstentum.

Von überregionalem Interesse ist nicht nur die Verortung des politischen Handelns der Fürsten im Verhältnis zu den Großfürsten von Moskau und jenen von Tver’, sondern auch die Aufarbeitung der Beziehungen der Fürsten von Serpuchov zu den Großfürsten Litauens: Als Dmitrij Ivanovič von Moskau 1370 gegen das mit Litauen verbundene Tver’ vorging, heiratete Vladimir Andreevič von Serpuchov im selben Jahr eine Tochter von Ol’gerd (Algirdas) (S. 77). Die Autoren legen ausführlich dar, wie die Rolle Vladimirs in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld 1380 erst in der späteren Moskauer Chronistik geschmälert dargestellt wurde. Im Rahmen der politischen Geschichte haben auch eingehende Urkundeninterpretationen Platz, so die des Testaments Vladimirs aus dem Jahr 1410 (S. 124–125). Die darin angelegte Teilung des Fürstentums in sechs kleinere Gebiete war folgenschwer: Serpuchov verlor stark an Einfluss. War es zuvor hinsichtlich seiner Größe mit den eigenständigen Fürstentümern der nordöstlichen Rus’ vergleichbar gewesen, wurde der Fürst nun zu einem kleineren Gefolgsmann herabgestuft (S. 147). Dennoch spielte Vasilij Jaroslavič in den innermoskovitischen Kriegen im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Primogenitur gegenüber dem Seniorat eine wichtige Rolle. Nach der Blendung des Großfürsten Vasilij II. flüchtete er 1446 nach Litauen, wo er von Kasimir IV. bedeutende Gebiete, u.a. Brjansk, Gomel’, Starodub und Mstislavl’, verliehen bekam (S. 158). Der Sieg Vasilijs II. hing nicht nur vom großfürstlichen Hof ab, so die Autoren, sondern auch von den Teilfürsten und unter ihnen insbesondere von Vasilij Jaroslavič. Dennoch verhaftete Vasilij II. 1456 Vasilij Jaroslavič von Serpuchov und löste dessen Fürstentum wie die übrigen Teilfürstentümer auf (S. 169). Im Kapitel zur geistlichen Kultur ist die Darstellung der Geschichte des Troice-Sergiev-Klosters hervorzuheben, des „bekanntesten der russischen Klöster“, sowie seines Begründers Sergij.

Eine abschließende Zusammenfassung ordnet die Befunde in den übergreifenden Rahmen ein. So erweisen sich die Beziehungen zwischen den Moskauer Großfürsten und den Fürsten von Serpuchov als sehr aufschlussreich für das Verstehen der ‚inneren Logik‘ des Herrschaftsgebietes (S. 214). Der Vertrag des Serpuchover Fürsten Vladimir Andreevič, den dieser für Dmitrij Ivanovič mit dem als Großfürst von Polock auftretenden Andrej Ol’gerdovič im August 1378 abschloss, bestätigt als Ausnahme die Regel, dass die Teilfürsten nicht ohne Anordnung des Moskauer Großfürsten Verträge mit anderen Fürsten eingehen durften. Im übrigen waren die Teilfürstentümer aber autonome Herrschaftsgebiete, wobei die Rede vom „Staat im Staate“ eine noch nicht bestehende moderne Staatlichkeit unterstellt (S. 215). Mehrere mit dem Band einhergehende Aufsätze der Autoren widmen sich weiteren Spezialfragen der Geschichte des Fürstentums. Dem Buch gelingt es insgesamt, durch seine vom Rande ausgehende Perspektive ertragreiche Einblicke in eine entscheidende Phase der Festigung des Moskauer Machtanspruches zu gewinnen.

Stefan Rohdewald, Passau

Zitierweise: Stefan Rohdewald über: A. B. Mazurov, A. Ju. Nikandrov: Russkij udel ėpochi sozdanija edinogo gosudarstva. Serpuchovskoe knjaženie v seredine XIV – pervoj polovine XV vv. Izdat. Inlajt Moskva 2008. 275 S., Ktn., Tab., Abb. ISBN: 978-5-98492-064-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Rohdewald_Mazurov_Russkij_udel.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2011 by Osteuropa-Institut Regensburg and Stefan Rohdewald. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de

Zitierweise: Stefan Rohdewald über: A. B. Mazurov, A. Ju. Nikandrov: Russkij udel ėpochi sozdanija edinogo gosudarstva. Serpuchovskoe knjaženie v seredine XIV – pervoj polovine XV vv. Izdat. Inlajt Moskva 2008. 275 S., Ktn., Tab., Abb. ISBN: 978-5-98492-064-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 59 (2001) H.4, S. 595-596: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Rohdewald_Mazurov_Russkij_udel.html (Datum des Seitenbesuchs)