Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 56 (2008) H. 4, S.  621-623

Werner Huber Moskau – Metropole im Wandel. Ein architektonischer Stadtführer. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2007. 286 S., Abb., ISBN-10: 3412235067, ISBN-13: 978-3412235062

„Metropole im Wandel“ ist ein Euphemismus: Die russische Kapitale im Taumel der Petrodollars ist wohl nach wie vor die größte Baustelle Europas, über deren Innenleben, ihren sozialen Umbau wir jedoch kaum etwas wissen. Einen Baustein zum besseren Verständnis der Mega-Stadt – man schätzt 15 Mio. Einwohner – bietet uns Werner Huber an. Er hat seinen 1998 erstmals im ETH-Verlag erschienenen Moskau-Führer gründlich überarbeitet, nachgeführt und im Böhlau-Verlag neu herausgebracht. Erhalten blieben das handliche Format und der vernünftige Umfang sowie das ansprechende Layout des Verfassers. Werner Huber ist selber ETH-Architekt, lebte zwei Jahre in Moskau und arbeitet heute als Redakteur der Schweizer Architekturzeitschrift „Hochparterre“. Die journalistische Gabe, auch komplexe Sachverhalte in einfachen Sätzen auf den Punkt zu bringen, kommt dem Ziel, einen Bogen zu spannen und große Entwicklungslinien der Moskauer Stadtentwicklung aufzuzeigen, sehr entgegen.

Das Buch ist sowohl thematisch wie auch chronologisch gegliedert: Der Autor „spannt den Bogen von den Anfängen der Stadt bis in die Gegenwart. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Geschehen seit 1935, als Stalin den Generalplan zur Rekonstruktion Moskaus verabschiedete“ (S. 5).

Die Neuausgabe beginnt mit einem Kapitel über die bauliche Entwicklung seit der Stadtgründung bis zur Wandlung vom „großen Dorf“ zum Industrie- und Handelszentrum, zur „kapitalistischen Kapitale“, die sich nach 1860 ein neues Zentrum aus repräsentativen steinernen Bauten gab. Nach der Oktoberrevolution war Moskau eines der Zentren der europäischen Avantgardearchitektur, deren bedeutende Bauten in den soziopolitischen Kontext der „Sowjetisierung“ eingebettet und erläutert werden. Über die städtebaulichen Debatten der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, was eine sozialistische Stadt sei, führt der Autor zum Generalplan Stalins für Moskau und zur schillernden Geschichte des Palastes der Sowjets. Anschließend geht es durch die ersten Straßenzüge des „Neuen Moskau“: Ochotnyj Rjad, Lubjanka, Gor’kij-Straße, rund um den Gartenring, zu den Kanalhäfen und unter die Erde in die Metro bis hin schließlich zur „neuen Silhouette“, welche die Hauptstadt nach dem Krieg durch die sieben Hochhäuser im Zuckerbäckerstil erhielt.

Der Architekturführer listet nicht Einzelobjekte auf, sondern versucht, Entstehungszusammenhänge von Stadtvierteln, Plätzen oder Straßenzügen verständlich zu machen. Dabei gelingt es dem Verfasser, das Stadtbild mit der Stadtgeschichte zu verknüpfen. Zu diesen historischen Zusammenhängen kommen die konstruktiven und architekturhistorischen Detailkenntnisse des Autors, die sich an den Hinweisen auf die Probleme und Eigenheiten einzelner Projekte und den für die Sowjetunion spezifischen, ökonomisch und ideologisch bedingten Standardisierungsversuchen, insbesondere beim Massenwohnungsbau, zeigen. Das Kapitel „Fassade einer Weltmacht“ präsentiert sowjetische „Kulissen“ wie etwa die Entwicklung der Allunions-Landwirtschaftsausstellung zur Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR (VDNCh) von den ersten Planungen in den dreißiger Jahren bis heute, gefolgt von der modernistischen Prachtachse der sechziger Jahre im Zentrum, dem Prospekt Kalinina/Novyj Arbat. Weiße, modernistische Verwaltungsbauten der sechziger und siebziger Jahre, der Zirkus und die großen Theater dienten der Repräsentation, der Unterhaltung und der Kultur, während mit dem Hotel Rossija neben dem Kreml’ (erbaut 1962–69) der Bau gigantischer Bettenburgen für ausländische Touristengruppen einsetzte. Einen massiven Bauboom (Wohnungen, Hotels, aber auch der „importierte“ Flughafen Šeremetjevo 2) lösten die Olympischen Spiele in Moskau 1980 aus.

Trotz des Überblickscharakters erstaunt es immer wieder, wie viele spannende Details und Anekdoten zu den Planungs- und Baugeschichten mancher Gebäude in dem kleinen Band enthalten sind. Einziger Wermutstropfen angesichts der vielen verwendeten Quellen und Pläne ist der in seiner Totalität doch ärgerliche Verzicht auf wissenschaftliche Nachweise. Verdankenswert ist hingegen die Weiterführung bis in die jüngste Gegenwart, wobei auch architektonische, politische und baurechtliche Absurditäten der Hauptstadtentwicklung berücksichtigt werden. Dabei geht es nicht nur um Bürgermeister Luškovs kitschige „Pyramiden“ oder um stilistisch fragwürdige Wohnobjekte für die ganz Reichen, sondern auch um die Orientierungslosigkeit der Architekten nach dem Wegfall der sozialistischen Richtlinien, die „Papierarchitekten“ der Perestrojka-Zeit, die Neuordnung des (Arbeits-)Marktes und die Schwierigkeiten, sich zu positionieren. Der Autor zeigt, dass trotz aller Hindernisse auch qualitätsvolle und nachhaltige Bauten entstehen – während auf der anderen Seite so prägende Altbestände wie etwa das Hotel Moskva nicht saniert, sondern abgerissen werden. In Moskau versteht man unter Denkmalschutz häufig Rückbau und „verbesserten“ Wiederaufbau. Eine öffentliche Diskussionskultur über die Stadtentwicklung gibt es nicht, „Planungswettbewerbe haben in Russland keine Tradition“ (S. 270). Für die künftige Stadtentwicklung zentral sind neben dem Umgang mit dem Stadtbild vor allem die Lösung der Verkehrsprobleme – vorderhand werden immer noch mehr Straßen gebaut – sowie der Hochhausboom. Ein neues Geschäftsviertel aus Wolken­kratzern mit 3 Mio. Quadratmetern Geschoss­fläche an der Moskva markiert augenfällig den Anspruch Moskaus, in die Liga der „Glo­bal Cities“ zu gehören.

Das Buch richtet sich an ein breites, an Moskau interessiertes Publikum, ist aber auch für Historiker und Architekten interessant. Es gefällt mit zahlreichen historischen und aktuellen Fotografien, die durch Pläne und Karten ergänzt werden.

Monica Rüthers, Konstanz/Basel

Zitierweise: Monika Rüthers über: Werner Huber Moskau – Metropole im Wandel. Ein architektonischer Stadtführer. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2007. ISBN-10: 3412235067 ISBN-13: 978-3412235062, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 56 (2008) H. 4, S. 621-623: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Ruethers_Huber_Moskau.html (Datum des Seitenbesuchs)