Matthias Beer, Gerhard Seewann (Hrsg.) Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches. Institutionen – Inhalte – Personen. R. Oldenburg Verlag München 2004. 288 S. = Südosteuropäische Arbeiten, 119. ISBN: 3-486-57564-3.

Die vorliegende Aufsatzsammlung enthält die Ergebnisse der Tagung „Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches (1920–1960), wobei es nicht nur um Institutionen und wissenschaftlich-ideologische Inhalte, sondern vor allem auch um personenbezogene Beiträge geht. Veranstaltet wurde die Tagung von der „Südost­deutschen Historischen Kommission“ mit Sitz in Tübingen und Marburg/Lahn in Verbindung mit dem „Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ (Oldenburg), dem „Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde“ (Tübingen), dem „Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas“ (München) sowie dem „Südost-Institut“ (München), das, 1930 gegründet, auf eine wechselvolle Geschichte zurückblickt, die vor allem im Mittelpunkt des Beitrages von Gerhard Seewann stand.

Bereits während der vom 24. bis 26. Oktober 2002 in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung durchgeführten Tagung in München war es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, die in einer Leserbriefkampagne in der „Süddeutschen Zeitung“ bis Ende 2002 noch ihre Fortsetzung fanden, u.a. mit einem Beitrag unter dem Titel „Unbewiesene Verdächtigungen“. In journalistischen Stellungnahmen zu dem vorliegenden Sammelband war von „Kämpfenden Köpfen“ die Rede, versehen mit dem Untertitel “Die politisierte Südosteuropaforschung der Zeit des Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik“, so in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 20. Januar 2005 oder es wurde getitelt „Im Augiasstall“ mit der Unterüberschrift „Die Südostforschung arbeitet ihre NS-Vergangenheit auf“; so in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 13. August 2004.

In der Tat erhielt die deutsche Südostforschung nach 1933 ihre Motivation durch eine besondere Art von Bewusstsein von der Bedrohung des Deutschtums in Südosteuropa, wodurch ihr Forschungsinteresse insbesondere auf die südostdeutschen Volksgruppen und ihre Leistungen in den betreffenden Länder gelenkt wurde. Ein Aspekt wurde aber in dem vorliegenden Sammelband so gut wie ganz außer acht gelassen, nämlich die Frage nach heute noch greifbaren und daher auch zitierbaren wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dies scheint wohl der Hauptmangel dieser Aufsatzsammlung zu sein. Als Beispiel hierfür können die Jahrbücher der früheren Deutsch-Bulgarischen Gesellschaft angeführt werden, die einleitend mit Bildern und Grußworten von NS-Größen besetzt waren und in den Einzelbeiträgen meist namhafte Autoren nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Bulgarien zu Wort kommen ließen. Man hätte auch für die von Fritz Valjavec herausgegebenen „Südost-Forschungen“ eine Sichtung vornehmen müssen und wäre dann vielleicht zu ähnlichen Feststellungen gekommen.

Im Mittelpunkt stehen in dem Sammelband die Geschichte von Instituten und die Biografien von Personen. Was die deutsche Südostforschung in der fraglichen Zeit doch geleistet haben könnte, bleibt weitgehend unbeachtet. Südostforschung ist nämlich keineswegs nur die Beschäftigung mit dem im Südosten früher ansässigen Deutschtum, sondern auch mit den dort lebenden Völkern, ihren Sprachen, Literaturen und Volkskulturen. In diesen Bereich gehört eine ganze Anzahl von seinerzeitigen Veröffentlichungen und Reihen. Zu erwähnen wären u. a. auch Übersetzungen bulgarischer Schriftsteller in das Deutsche. Interessant wäre auch die Frage gewesen, inwieweit Autoren anderer südosteuropäischer Länder in dieser Zeit ebenfalls ins Deutsche übertragen und veröffentlicht wurden.

Der vorliegende Band umfasst 13 Beiträge, eingeleitet mit der Darstellung Matthias Beers über die Wege der Historisierung der Südostforschung. Abgeschlossen und abgerundet wird der Band von Edgar Hösch mit der Darstellung der Südostforschung vor und nach 1945 mit dem Untertitel: „Eine historiographische Heraus­forderung“, womit auch Aspekte zukünftiger Arbeiten in diesem Bereich aufgezeigt werden. Regionalismus und historische Volkstumsforschung für den größeren Zeitraum von 1890 bis 1960 werden von Willi Oberkrome behandelt. Das Münchener  Südost-Institut in den Jahrzehnten von 1930 bis 1960 macht Gerhard Seewann zu einem der zentralen Themen des Bandes. Das Südostdeutsche Institut für Heimatforschung, das in Käsmark/Slowakei für den kurzen Zeitraum von 1941 bis 1944 bestand, wird von Christoph Promnitzer behandelt. Ha­rald Roth spannt den Bogen vom Nationalsozialismus zum Stalinismus, indem er die Entwicklung eines Forschungsinstitutes der deutschen Volksgruppe in Rumänien auf seinem Weg bis hin zu einem Forschungsinstitut für Gesellschaftswissenschaf­ten der Rumänischen Akademie der Wissenschaften darstellt. Isabel Heinemann behandelt die Rolle der Rassenexperten der SS und die beabsichtigte bevölkerungspolitische Neuordnung Südosteuropas. In denselben Bereich gehört Christian Töchterles Darstellung des europäischen Südostens in den rassentheoretischen Abhandlungen vor und wäh­rend der Zeit des Dritten Reiches. Ethno­poli­tische Berater als Tathelfer für Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden unter dem sei­nerzeitigen Aspekt eines Dienstes am Deutsch­tum im damaligen Südosteuropa von Michael Fahlbusch betrachtet.

Drei Beiträge sind Fritz Valjavec gewidmet, der über lange Jahre hin nicht nur das Südost-Institut geprägt, sondern auch Zeitschriften und Publikationsreihen herausgegeben hat. An erster Stelle ist hier der Aufsatz von Norbert Span­nen­ber­ger zu nennen, der die Korrespondenz von Valjavec in den Jahren 1934 bis 1939 behandelt. Gerhard Grimm unternimmt einen Vergleich zwischen Fritz Valjavec und Georg Stadtmüller, und Krista Zach schildert Fritz Val­javec auf der Grundlage seiner privaten Tage­buchaufzeichnungen der Jahre 1934 bis 1946. Gerade hier ist noch so manche Frage offen geblieben, wie vor allem die weitere Auseinandersetzung in Form von Leserbriefen gezeigt hat.

Mit diesen Beiträgen ist eine ganze Reihe von Problemfeldern der deutschen Südostforschung vor 1933 und nach 1945 angeschnitten worden, die aber noch einer weitergehenden Klärung bedürfen. Dies gilt insbesondere auch für die Rolle einzelner herausragender Persönlichkeiten der deutschen Südostforschung.

Dem Band fehlt leider ein Personenregister, das für den Leser eine große Hilfe gewesen wäre.

Helmut W. Schaller, Marburg/Lahn

Zitierweise: Helmut W. Schaller über: Matthias Beer, Gerhard Seewann (Hrsg.): Suedostforschung im Schatten des Dritten Reiches. Institutionen – Inhalte – Personen. R. Oldenburg Verlag Muenchen 2004. = Suedosteuropaeische Arbeiten, 119. ISBN: 3-486-57564-3313, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 313: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schaller_Beer_Suedostforschung.html (Datum des Seitenbesuchs)