Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 66 (2018), 1, S. 154-156

Verfasst von: Claus Scharf

 

Konstantin D. Bugrov: Monarchija i reformy. Političeskie vzgljady N. I. Panina. Ekaterinburg: Bank kulturnoj informacii, 2015. 271 S. = Iz istorii Rossii. ISBN: 978-5-9906258-7-7.

Diese Monographie verdient die Aufmerksamkeit aller, die sich für die Geschichte politischer Ideen und Projekte in Russland im 18. Jahrhundert interessieren. Mit einem solchen thematischen Schwerpunkt muss man es nicht von vornherein als Nachteil ansehen, dass die Biographie Nikita Ivanovič Panins (1718–1783) und sein Agieren als Hofmeister des Großfürsten Paul Petrovič und als Leiter der Außenpolitik unter der Kaiserin Katharina II. bis 1780 nur beiläufig erwähnt werden. Eher vorausgesetzt wird auch die Geschichte der Regierung und Zentralverwaltung des Russischen Reiches seit Peter dem Großen, auf deren Reform Panins Projekte zielten. Hauptsächlich handelt das Buch von vier Texten, die zwar schon früher gedruckt worden waren und seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Forschung eine Rolle spielen, hier aber (S. 225–270) nach den originalen Handschriften aus dem Russländischen Staatsarchiv der alten Akten in Moskau (RGADA) quellenkritisch gewissenhaft neu ediert werden, so dass ihre Entstehung nun genauer zu verfolgen ist. Erstens geht es um das bekannte Projekt Nikita Panins über die Einrichtung eines Kaiserlichen Rates von 1762, zweitens um seine in der Handschrift des Schriftstellers Denis Fonvizin überlieferte Abhandlung über die sogenannten Fundamentalgesetze vom Ende der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts, drittens um eine Ergänzung zu dieser Abhandlung aus Nikita Panins Todesjahr 1783, verfasst von seinem Bruder General Peter Panin, und viertens um eine eigenhändige Aufzeichnung von Paul Petrovič, datiert auf den 28. März 1783, nachdem der Thronfolger seinen sterbenden Mentor letztmals besucht hatte. Gerade wegen dieser verdienstvollen Edition ist allerdings unbegreiflich, dass der Autor selbst sie nicht in seiner intensiven Interpretation der Dokumente zitiert, sondern in seinen Fußnoten jeweils auf die Paginierung der Handschriften im Archiv hinweist.

Das Buch basiert auf Konstantin Bugrovs Kandidatendissertation von 2010 an der Föderalen Ural-Universität Ekaterinburg. Zwischen einer Einleitung und einem Nachwort, das die Ergebnisse prägnant zusammenfasst, gliedert sich die Untersuchung in drei Hauptteile. Das konventionelle Verfahren, im ersten Hauptteil die umfangreiche Historiographie zum Thema abzuhandeln, hat allerdings den Nachteil, dass der Leser aus dem kritischen Report Bugrovs zuerst indirekt erfährt, welche seiner Erkenntnisse er bei russischen und nichtrussischen Autoren von Sergej Solov’ev bis zur Gegenwart vermisst oder zu welchen Fehlurteilen sie sich seines Erachtens verleiten ließen. Insofern sind viele Wiederholungen unvermeidlich, weil im zweiten Hauptteil oft die gleiche Kritik im Rahmen der Textinterpretationen nochmals zur Sprache kommt.

Der zweite und der dritte Hauptteil bilden das Herzstück der Untersuchung. In einer überwiegend ideen- und begriffsgeschichtlichen Analyse der genannten Dokumente der Brüder Panin orientiert sich Bugrov explizit an den Forschungsansätzen der Cambridge School, vor allem am „contextualism“ von J. G. A. Pocock und an Quentin Skinners Empfehlung, im historischen Kommunikationsprozess die Intentionen der Autoren historischer Texte zu beachten. Mit dieser Methodologie kommt der Verfasser zu einem Schluss, der die in der Geschichtsschreibung innerhalb und außerhalb Russlands fest etablierte Meinung überzeugend widerlegt, Panin habe die absolute monarchische Herrschaft durch eine Verlagerung ihrer Prärogativen an kollektive und repräsentative Organe im eigenen Interesse oder im Interesse seiner aristokratischen Hofpartei beschränken wollen. Erst recht, so Bugrov, sei Panin nicht mit den oligarchischen Tendenzen des Obersten Geheimen Rates von 1730 in eine Kontinuitätslinie zu bringen. Vielmehr habe er mit seinem Projekt eines Kaiserlichen Rates allein das Ziel verfolgt, die Autokratie in ihrer uneingeschränkten Machtfülle zu stabilisieren und den Rat nur mit der Kontrolle der Realisierung bereits entschiedener politischer Fragen zu befassen. Auch in seiner Abhandlung vom Ende der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts habe Panin nicht für rechtliche Begrenzungen der kaiserlichen Macht plädiert, wohl aber dazu geraten, dass sich die Monarchen aus eigener freier Entscheidung in der realen Machtausübung Mäßigung auferlegen, Willkürakte meiden, die Gesetze achten und ihre Untertanen lieben sollten. Zu den Fundamentalgesetzen, die per definitionem die Umwandlung der Monarchie in eine Despotie und Staatsstreiche ausschlossen, gehörten nach Panin eine gesetzliche Thronfolge, die Gesetzlichkeit des Handelns der Staatsorgane, rechtliche Garantien für die Untertanen und eine relative Autonomie der Gerichtsbarkeit mit dem Senat als oberster Berufungsinstanz. Für einen guten Herrscher seien ihm jedoch Moral, persönliche Tugenden und eine öffentliche Anerkennung über die Lebenszeit hinaus sogar wichtigere Kriterien gewesen als Recht und Gesetz. Als eine Hauptquelle der politischen Ideen Panins sieht Bugrov Montesquieu, als ein historisches Vorbild für Russland also nicht die schwedische Monarchie, wie viele Historiker annahmen, sondern erstaunlicherweise die französische Monarchie mit ihren Konsultativorganen vor den absolutistischen Veränderungen durch Ludwig XIV.

Dass die bekanntesten Deutungen der Reformprojekte Panins bis heute mit seiner angeblichen oppositionellen Haltung zur Regierung Katharinas II. scheinbar in Einklang gebracht werden, führt der Autor darauf zurück, dass diese Auffassungen statt von einer konsequenten Interpretation der maßgeblichen Texte vielmehr von Quellen zweiten Ranges inspiriert wurden. Als solche wertet Bugrov zum einen die Berichte ausländischer Diplomaten aus St. Petersburg, die auf der Suche nach Rissen im Fundament der Herrschaft Katharinas II. waren. Doch zum anderen hätten auch die einflussreichen Erinnerungen der Fürstin Ekaterina Daškova Nikita Panin zum Sympathisanten einer beschränkten Monarchie nach dem Muster der schwedischen „Freiheitszeit“ stilisiert. Und letztlich auf Denis Fonvizin gehe die von dessen Neffen, dem Dekabristen Michail Aleksandrovič Fonvizin (1787–1854), überlieferte Darstellung zurück, Panin sei in einer Thronkrise um Pauls Großjährigkeit 1772–1773 als Anhänger einer konstitutionellen Monarchie an einer Verschwörung gegen Katharina beteiligt gewesen. Kaum untersucht worden seien hingegen der Horizont der Bildung Panins, seine Lektüre, die möglichen Quellen seiner Reformideen und deren Sprachgebrauch, den Bugrov als das „politische Lexikon“ bezeichnet, das auch Einblick in den intellektuellen Kontext der Projekte Panins gewähre. Unter diesem Aspekt ragen zwei neue Ergebnisse heraus. Zum einen untersucht Bugrov Panins Projekt eines Kaiserlichen Rates zusammen mit nahezu gleichzeitigen Reformplänen mehrerer anderer, auch mancher nicht mit Panin sympathisierender Autoren aus der Regierungselite um 1760 und stellt eine durchaus konforme politische Begrifflichkeit fest, aus der keine Opposition zu Elisabeth, Peter III. oder Katharina II. abzulesen sei. Zum anderen weist Bugrov im Sprachgebrauch Panins ein Reservoir an Begriffen des europäischen Republikanismus nach, mit denen er zwar nicht prinzipiell ein Widerstandsrecht gegen despotische Throninhaber deklariert, doch immerhin den Staatsstreich zugunsten Katharinas nachträglich gerechtfertigt habe.

Bugrovs Interpretation der Projekte Panins ist nicht so neu, wie er mitunter den Anschein erweckt. Dass allein aus deren Wortlaut keine oppositionelle Haltung gegenüber Katharina II. herauszulesen ist, haben manche Historiker, unter ihnen der Rezensent, auch schon früher festgestellt. Doch umgekehrt überdehnt der Autor die Aussagekraft der letztlich schmalen Quellenbasis dieser Projekte, wenn er die letztlich doch spannungsreiche politische Beziehung zwischen Panin und der Kaiserin allzu stark harmonisiert, höchstens für die Außenpolitik gelten lässt oder vor allem auf die lange Dauer ihrer Zusammenarbeit zurückführt.

Claus Scharf, Mainz

Zitierweise: Claus Scharf über: Konstantin D. Bugrov: Monarchija i reformy. Političeskie vzgljady N. I. Panina. Ekaterinburg: Bank kul’turnoj informacii, 2015. 271 S. = Iz istorii Rossii. ISBN: 978-5-9906258-7-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Scharf_Bugrov_Monarchija_i_reformy.html (Datum des Seitenbesuchs)

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