Barbara Alpern Engel Women in Russia, 1700–2000. Cambridge University Press Cambridge, New York 2004. XXIV, 275 S., Abb., Ktn. ISBN: 0-521-80270-9.

Das vorliegende Buch ist ein gut geschriebener Überblick zur Frauen- und Geschlechtergeschichte im Zarenreich und der Sowjetunion, der auf zahlreichen Studien der Autorin zum Thema basiert. Die Kapitel sind chronologisch von der Zeit Peters des Großen bis zum heutigen Russland gegliedert. Es werden Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und aus ethnischen Minderheiten vorgestellt, die typisch für prägende Entwicklungslinien sind, beispielsweise für Diskussionen über die Rollen von Frauen in der Gesellschaft, aber auch für Alltagserfahrungen.

Unter Peter dem Großen spielten noch die alten Bojarenfamilien eine wichtige Rolle, die ihre Macht durch eine gezielte Heiratspolitik absicherten. Im Terem, der der Carica unterstand, lebten adelige Frauen abgetrennt von der Gesellschaft, aber für sich autonom. Die Ehre der Frau, symbolisiert durch verdeckte Haare, angemessene Kleidung und angepasstes Verhalten, war Teil der Familienehre. Die Autorin sieht in dem Heiratsverhalten von Peter dem Großen aber ein wichtiges Zeichen für Veränderungen, da er seine zweite Frau aus Liebe und nicht aus Kalkül ehelichte. Sie trug westliche Kleidung und saß im selben Raum wie ihr Mann. Neuerungen wie das Verbot von arrangierten Ehen betrafen aber zunächst nur den Adel. Quellen für Frauen aus bäuerlichen Schichten stehen vornehmlich erst für das ausgehende 19. Jahrhundert zur Verfügung, so dass Aussagen überhaupt schwierig sind. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hatte eine dünne Schicht adliger Mädchen Zugang zu mehr als nur elementarer Bildung durch die Eröffnung des Smol’nyj-Instituts im Jahre 1764. Das Bild der adligen Frau änderte sich weiter unter der Herrschaft von Katharina der Großen. Den neuen Typus bezeichnet Engel als aristokratische Frau, die nun eine zentrale Rolle in den Salons einnahm und das literarische Leben prägte. Dem Wandel folgte Kritik über den moralischen Verfall, da die Bestimmung von Frauen weibliche Zurückhaltung und Mütterlichkeit sei. Die Ehe und eine neue Häuslichkeit wurden aufgewertet, aber die Kontroverse über die Frau in der Gesellschaft, auch beeinflusst durch die Französische Revolution und die Dekabristen, dauerte an.

In der Bauernschaft bestimmte die Arbeit das harte Leben, das im Übrigen nicht nur von den Naturgewalten, sondern auch von der Obrigkeit abhing. Die Bauersfrau musste mit ihrer Arbeit und anderen weitreichenden Fähigkeiten für das Wohlergehen der ganzen Familie sorgen. Schon in der Kindheit wurde sie an die künftigen Aufgaben herangeführt, bis sie dann von den Eltern verheiratet wurde. Danach musste sie in die Familie des Mannes ziehen und sich dort in eine neue patriarchale Struktur einfinden. Nicht nur die eigene Familie, auch die Dorfgemeinschaft übte eine Sozialkontrolle aus, was etwa bei exzessiver häuslicher Gewalt einen Schutz darstellen konnte.

Barbara Alpern Engel weist darauf hin, dass erstmals in den Bilderbögen (lubki) des 18. Jahrhunderts Frauen wegen sexueller Handlungen als moralisch verwerflich dargestellt werden. Mit zunehmender Kontrolle der russischen Gesellschaft durch den Staat wurden sexuelle Beziehungen eine Frage der Politik. 1716 ordnete Peter der Große an, „leichte Mädchen“ von den Regimentern fern zu halten. Katharina die Große legte die Grundlage für die Überwachung des weiblichen Verhaltens und weiblicher Moral in der Öffentlichkeit. Die Kontrolle der außerehelichen Sexualität basierte auch auf einer zunehmenden Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten, etwa unter Soldaten. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde gemäß dem französischen Vorbild Prostitution durch staatliche Vorgaben kontrolliert.

Unter dem Reformzaren Alexander II. begann eine breite Debatte über Veränderungen in der Gesellschaft, zu der auch die so genannte Frauenfrage gehörte. Welche Aufgaben und Funktionen sollten Frauen in der Gesellschaft übernehmen? Als Begründerinnen einer russischen Frauenbewegung gelten Anna Filosofova (1837–1912), Nadežda Stasova (1822–?) und Maria Trubnikova (1835–1897), die eine philantrophische Gesellschaft gründeten. Seit den 1860er Jahren besuchten Frauen Universitätskurse, und 1867 erlangte Nadežda Suslova an der Universität Zürich den Doktor in Medizin. Diese Pionierinnen waren Vorbilder für andere Frauen, neue Rollen und Räume außerhalb von Ehe und Familie zu erobern. Die zunehmende Industrialisierung seit den 1880er Jahren schuf Arbeitsplätze in den Fabriken, wohin Bauern, aber auch Bäuerinnen wanderten. Auf dem Dorf hielten die zurückgebliebenen Frauen die Landwirtschaft aufrecht, oder sie verdienten zeitweise ihr Geld in den Fabriken. Vorstellungen einer Geschlechterhierarchie, die eine männliche Dominanz vorsah, blieben trotz allem Wandel dennoch erhalten. Erst in den letzten Jahren des ausgehenden Zarenreiches, seit der Revolution von 1905, entstand durch den sozioökonomischen Wandel das Bild einer „neuen Frau“, die sich nicht länger als Mutter und Ehefrau definierte, sondern gesellschaftlich aktiv war. Doch eine rechtliche Gleichstellung erfolgte erst nach der Machtübernahme der Bol’ševiki 1917, in deren Reihen prominente Feministinnen wie Inessa Armand oder Aleksandra Kollontaj kämpften. Die Zwanzigerjahre waren geprägt von Diskussionen über neue Lebensentwürfe, neue Rollenbilder und die Massenmobilisierung von Frauen für die Politik. Trotz vieler ansonsten negativer Entwicklungen bot die Revolution gerade für Frauen aus den Unterschichten ungeahnte Möglichkeiten, sozial aufzusteigen oder neue Berufsfelder in Industrie und Verwaltung zu betreten. Diskussionen über die Frauenfrage endeten zu Beginn der 1930er Jahre mit dem ersten Fünfjahrplan. Geschlechterunterschiede wurden auf allen Ebenen wieder deutlicher sichtbar, etwa in Form unterschiedlicher Löhne für Männer und Frauen, in der Betonung von Weiblichkeit bei Arbeitsheldinnen, in der Verehrung der Frau als Mutter und Kulturträgerin oder als Hüterin der Familie.

Die Sowjetisierung der Lebensweise wurde in muslimischen Gebieten Zentralasiens oder in Aserbaidschan als fremder Import und damit negativ wahrgenommen. Jüdische Frauen hatten nach der Aufhebung des Ansiedlungsrayons zahlreiche Emanzipationsmöglichkeiten. Mit dem Übergreifen des Zweiten Weltkriegs auf die UdSSR im Jahr 1941 wurden Frauen in allen Lebensbereichen mobilisiert; sie mussten rekrutierte Männer an den Werkbänken ersetzen und zur Aufrechterhaltung der Produktion beitragen. Aber auch in der Roten Armee gab es Frauen, nicht nur im Bereich der Hilfsdienste, sondern auch als Scharfschützinnen oder Fliegerinnen. Dennoch galt der Krieg als männlich; Frauen symbolisierten die zu schützende Heimat. Eine traditionelle Geschlechterordnung, die den Platz der Frau in der Familie sah, stellte nach dem Krieg eine verbindliche Norm dar, die Doppelbelastung der berufstätigen Mütter wurde von der Politik aber auch in Selbstbildern von Frauen ausgeblendet. Nach dem Tod Stalins bestand Frauenpolitik vor allem in einer pronatalistischen Politik, da die Geburtenzahlen sanken. Mit der Perestroika und seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es angesichts des enormen ökonomischen und gesellschaftlichen Wandels erneut viele Diskussionen über die Frauenfrage und die Entstehung einer neuen Frauenbewegung.

Barbara Engel thematisiert die Frauen- und Geschlechtergeschichte in Russland und der Sowjetunion nicht unter dem Aspekt eines Rückständigkeitsparadigmas, also eines impliziten Vergleichs, sondern sie zeigt Entwicklungslinien von Frauenrollen, Handlungsräumen, Selbst- und Fremdwahrnehmungen auf. Das als textbook konzipierte Buch bietet einer breiten Leserschaft einen fundierten, ausgewogenen Überblick und verweist auf weitere Forschungsthemen.

Carmen Scheide, Konstanz

Zitierweise: Carmen Scheide über: Barbara Alpern Engel: Women in Russia, 1700–2000. Cambridge University Press Cambridge, New York 2004. ISBN: 0-521-80270-9., in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 2, S. 273-275: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Scheide_Engel_Women_in_Russia.html (Datum des Seitenbesuchs)