Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 150-152

Verfasst von: Jürgen W. Schmidt

 

Catherine Horel: Soldaten zwischen nationalen Fronten. Die Auflösung der Militärgrenze und die Entwicklung der königlich-ungarischen Landwehr (Honvéd) in Kroatien-Slawonien 1868–1914. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2009. 262 S., 2 Ktn. = Studien zur Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, 31. ISBN: 978-3-7001-6496-8.

Die Verfasserin Catherine Horel ist Forschungsdirektorin am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris und Professorin für Zeitgenössische Geschichte Zentraleuropas an der Universität Sorbonne I. Ihr Forschungsinteresse gilt der Habsburgischen Monarchie, insbesondere aber deren Problemen im Zusammenhang mit Ungarn. Nationale Probleme lassen sich im Habsburgerreich besonders gut anhand der multinationalen Heereseinrichtungen studieren. Hier wurden der historischen Forschung ab 1989 viele neue Quellen zugänglich. Deren Auswertung mit den Methoden moderner Sozialforschung zeigt Horel im Kapitel V anhand von vielen Offizierslebensläufen. Besonders interessant sind ihre Angaben über die dienstlich bedingte und zugleich dienstlich geforderte Vielsprachigkeit der Offiziere, welche über die Anforderungen in anderen europäischen Armeen hinausgingen. Genauso beeindruckt die angegebene Zahl von 17 % jüdischen Reserveoffizieren vor dem Ersten Weltkrieg, die weit über dem prozentualen Anteil von Juden an der Gesamtbevölkerung Österreich-Ungarns liegt (S. 142). In national-ethnischer wie in religiöser Hinsicht war die Armee weitgehend diskrimierungsfrei aufgebaut.  

Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 entstand im ungarischen Landesteil der nunmehrigen Doppelmonarchie die königlich-ungarische Landwehr (Honvéd), welche von ungarischen Nationalisten als heimlicher Nukleus einer künftigen ungarischen Nationalarmee gesehen wurde. In zähem Kampf wurde deshalb diese Landwehr in den folgenden Jahrzehnten immer mehr magyarisiert, indem man ständig darauf achtete, vor allem ungarisch sprechenden Offizieren in der Honvéd Beförderungsvorteile und Karierrechancen zuzubilligen. In einem ebenso zähen Kampf gelang es außerdem in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, eigene Honvédartillerieregimenter aufzustellen. Artillerieeinheiten hatte man nämlich in Erinnerung an die Ereignisse von 1848/49 den anfangs nur aus Infanterie- und Kavallerietruppenteilen bestehenden ungarischen Territorialeinheiten bewusst nicht zugestehen wollen, um sie nicht zu einer vollwertigen Armee zu gestalten. Doch schon ab 1871 umging man ungarischerseits jene Beschränkungen listig, indem man sogenannte „Maschinengewehrabteilungen“ aufstellte, was ja nicht untersagt war. Doch die Honvéd hatte aus der Sicht ungarischer Chauvinisten ihren Pferdefuß, indem der ungarischen Territorialarmee als Erbe aus der alten k.k. „Militärgrenze“ in den südwestlichen Landesteilen eine Reihe kroatisch-slawonischer Truppenteile zufielen, die vorrangig aus Südslawen bestanden. Jene nominellen Bestandteile der Honvéd widersetzten sich bewusst einer Magyarisierung bzw. sie wurden als magyarisierungsunfähig angesehen. Sehr bezeichnend ist, dass der wohl bedeutendste Offizier, welcher aus jenem kroatisch-slawonischen Honvéddistrikt hervorging, der Serbe und spätere österreichische Feldmarschall Svetozar Boroević (von Bojna) war, welchen man 1877 zur Beförderung in der Honvéd für „nicht geeignet“ hielt, weil er die ungarische Regimentssprache seines Regiments nicht erlernt hatte (S.156/157) Noch erstaunlicher aber ist trotz allem der Umstand, wie Horel abschließend herausarbeitet, dass ungeachtet mancher interner Querelen alle Truppenteile der k. u. k. Armee im ausbrechenden Weltkrieg ihre soldatische Pflicht erfüllten. Ungarische und kroatische Truppenteile zählten neben deutschen Truppenteilen zu den besten der Monarchie, und auch die Südslawen Österreich-Ungarns versagten nicht, wenn sie im direkten Kampf auf die Südslawen der Gegenseite trafen. Als ausgesprochen destruktiv erwies sich hingegen im weiteren Verlauf des Weltkriegs der ungarische Hypernationalismus und Egoismus.

Insgesamt gesehen ist das Buch eine wertvolle Bereicherung unserer Kenntnisse der innerethnischen militärischen Verhältnisse der Donaumonarchie, genauso wie sie 2011 Richard Lein mit seinem Buch über die tschechischen Truppenteile im Ersten Weltkrieg lieferte. Die beigegebenen farbigen Karten sind leider wegen ihrer kleinteiligen Symbolik und des schlechten Drucks nur eingeschränkt nutzbar. Auch wären zu den vielen Besonderheiten der österreichischen Armee im Bereich der Militärgrenze einige Erklärungen notwendig gewesen, denn selbst Militärhistoriker dürften nicht in jedem Falle wissen, dass es sich z. B. bei dem mehrfach genannten „Tschaikistenbataillon“ um die Besatzungen für eine militärische Binnenflottille handelte.

Jürgen W. Schmidt, Berlin

Zitierweise: Jürgen W. Schmidt über: Catherine Horel: Soldaten zwischen nationalen Fronten. Die Auflösung der Militärgrenze und die Entwicklung der königlich-ungarischen Landwehr (Honvéd) in Kroatien-Slawonien 1868–1914. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2009. 262 S., 2 Ktn. = Studien zur Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, 31. ISBN: 978-3-7001-6496-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schmidt_Horel_Soldaten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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