Andrzej Poppe Christian Russia in the Making. Ashgate Publishing Aldershot, Hampshire 2007. XIV, 362 S., 8 Abb. = Variorum collected studies series, CS867. ISBN: 978-0-7546-5911-2.

In seinen zahlreichen Beiträgen zur Kultur Alt­russlands hat der namhafte Mediävist und Polyglott Andrzej Poppe, hervorgetreten auch durch grundlegende Beiträge zur Byzantinistik und zur Geschichte Ostmitteleuropas, die besondere Rolle der Orthodoxie für die religiösen, kulturellen und herrschafts­bildenden Verhältnisse in Osteuropa immer wieder signifikant hervorgehoben. Dabei hat er die Entwicklung des Christentums Russlands im Spannungsfeld zwischen Byzanz, Kiev und Moskau in kirchengeschichtlicher Hinsicht und in ihren politischen Zusammenhängen mit so selten gewordener Synopsis erfasst, dass „Variorum Collected Studies“ einem ersten Reprint seiner Schriften (Andrzej Poppe The Rise of Christian Russia. London 1982) nun einen weiteren Band folgen lässt. Die vorliegende Auswahl umfasst zwölf Aufsätze, von denen drei erstmals in englischer Sprache veröffentlicht werden und drei weitere durch ausführliche Addenda aktualisiert wur­den.

Der Band führt ein in das Mittelalter Osteuropas anhand einer Übersicht zur Dynastie der Rjurikiden (862–1598), „The Rurikid Dynasty or Seven Hundred Years of Shaping Eastern Europe“ (2007), in der zugleich die herrschaftslegitimatorischen Funktionen der russisch-ortho­doxen Kirche – basierend auf dem byzantinischen Modell von Diarchie und Symphonia – vorgestellt werden. Der hiermit schon auf Taufe und Inthronisation, auf Namensritus und Seniorität enggeführte Erklärungszugang zur Formierung des altrussischen Staates, verdeutlicht vor allem an den Viten Ol’gas, Vladimirs, Boris’ und Glebs, bietet daneben die Grundlage für die sich auf das 10. bis 12. Jahrhundert beschränkenden Folgebeiträge. Ol’gas Erstfirmierung datiert Poppe in „Once Again Concerning the Baptism of Olga, Archontissa of Rus’“ (1992) mit Ostrogorsky u.a. auf 954/955, ihre Taufe in Konstantinopel auf Anfang September anno 957. Dennoch hat die 988 erfolgte Taufe der alten Rus’ durch den später heiliggesprochenen Vladimir Svjatoslavič keine ihrer Bedeutung angemessene Rezeption in der byzantinischen Geschichtsschreibung gefunden, weil sich die Kiever Rus’ – so „How the Conversion of Rus’ Was Understood in the Eleventh Century“ (1987) – zu einem Konkurrenten an der nördlichen Peripherie des Reiches entwickelt hatte. Doch während die Taufe Russlands von Byzantinern wie Ottonen vor allem als Wahrnehmung au­ßenpolitischer Optionen gewürdigt wurde, dien­te sie den Rjurikiden auch zum ideologischen Ausbau ihrer dynastischen Herrschaft, der sich anhand von „Two Concepts of the Conversion of Rus’ in Kievan Writings“ (1988/89) bei der Lobrede Ilarions und im Narrativ von Nestors Primärchronik zur Verbreitung des Christentums nachvollziehen lässt. Die von Byzanz gewollte Christianisierung der Rus’ setzt indes schon früher in Reaktion auf die Belagerung Konstantinopels durch die Rhōs anno 860 ein, schuf mit der Verheiratung der Porphyrogenneta Anna an den Ausländer Vladimir einen seinerzeit unerhörten, obgleich nachvollziehbaren Präzedenzfall und kann – wie in „The Christianization and Ecclesiastical Structure of Kievan Rus’ to 1300“ (1997) dargelegt – gegen Ende des 13. Jahrhunderts nur als bedingt abgeschlossen gelten, trotz des ständigen Ausbaus der Kirchenorganisation.

Drei weitere Beiträge runden das kirchengeschichtliche Thema ab. Am Beispiel des „Leontios, Abbot of Patmos, Candidate for the Metropolitan See of Rus’“ (2002) weist Andrzej Poppe nach, dass die griechischen Kleriker gut auf ihre Funktion als Metropoliten in Kiev vorbereitet waren und ein Selektionsverfahren durchliefen. Während er in „Losers on Earth, Winners from Heaven. The Assassinations of Boris and Gleb in the Making of Eleventh-Century Rus’“ (2003) das Machtmotiv, das Svjatopolk „Okajannyj“ die Ermordung seiner Brüder befehlen ließ, nicht ganz hinreichend begründet in Frage stellt, geht er in „The Sainthood of Vladimir the Great. Veneration in the Making“ (2007) mit Tiefgang den verwobenen Aspekten der Heiligkeit Vladimirs (fornicator immensus) nach, dessen Kanonisierung sich wohl in Novgorod zwischen 1282 und 1305 vollzog.

Der lesenswerte Band schließt mit zwei Beiträgen zur Herkunft des Herrschertitels „Großfürst“, nämlich „Words that Serve the Authority. On the Title of “Grand Prince” in Kievan Rus’“ (1989) und „On the Title of “Grand Prince” in the Tale of Ihor’s Campaign“ (1979/80), mit zwei Aufsätzen über die Praxis orthodoxer Herrschaftslegitimation beziehungsweise deren Niederschlag in der materiellen Kultur vor allem Groß-Novgorods und Rjazans – „Some Observations on the Bronze Doors of the St. Sophia in Novgorod“ (1981) und „On the So-called Chersonian Antiquities“ (1984) – und mit einem vorzüglichen Register. Eine nachdenkliche Bemerkung noch zum Schluss. Wie kunstvoll das Gerüst der auf Schriftquellen errichteten Hypothesen auch immer sein mag, das Schweigen der Quellen – auch das der Condemnatio memoriae geschuldete – und sowohl die Intentionalität als auch die panegyrische Bestimmung ihrer Narrative zeigen deutlich, dass viele Erklärungen zum Frühmittelalter Altrusslands immer noch hoch spekulativ bleiben.

Dittmar Schorkowitz, Greifswald

Zitierweise: Dittmar Schorkowitz über: Andrzej Poppe: Christian Russia in the Making. Ashgate Publishing Aldershot, Hampshire 2007. = Variorum collected studies series, CS867. ISBN: 978-0-7546-5911-2., in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 2, S. 261-262: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schorkowitz_Poppe_Christian_Russia.html (Datum des Seitenbesuchs)