Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Martin Schulze Wessel

 

Hans-Christian Maner, Norbert Spannenberger (Hrsg.) Konfessionelle Identität und Nationsbildung. Die griechisch-katholischen Kirchen in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2007. 237 S., 19 Abb., 4 Ktn. 2 Tab. = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Europa, 25. ISBN: 978-3-515-09024-7.

In den Geschichtswissenschaften hat die Religionsgeschichte die Kirchengeschichte weit zurückgedrängt. Die beiden Herausgeber des vortrefflichen Bandes zum Verhältnis von konfessionellen und nationalen Identitäten in Ostmittel- und Südosteuropa wählen jedoch einen dezidiert kirchengeschichtlichen Zugang, indem sie die Geschichte der griechisch-katholischen Kirchen mit ihren Bedeutungen für regionale, nationale und imperiale Identitätsbildungen in den Mittelpunkt rücken.

Zwischen 1596 und 1700 entstanden, hatten die unierten Kirchen im 19. und 20. Jahrhundert in verschiedenen Ländern Ostmittel- und Südosteuropas tiefgreifende Wirkungen auf konfessionelle und nationale Vergemeinschaftungen. Welche Rolle die unierten Kirchen im Spannungsverhältnis zwischen den beiden osteuropäischen Imperien, dem Habsburger Reich und dem Russländischen Reich, spielten und wie die Unierten das Verhältnis von Imperium und Nationalbewegung der Ruthenen bzw. Ukrainer beeinflussten, beleuchten die Beiträge von Ricarda Vulpius, Oleh Turij und Georgij Avvakumov. Deutlich wird dabei der Widerspruch zwischen dem ekklesiologischen Selbstverständnis einer eigenständigen Kirche, die sich von der katholischen wie der russisch-orthodoxen unterscheidet, und den politischen Zuschreibungen und Instrumentalisierungen, welche die Union als „trojanisches Pferd“ fürchteten bzw. als kulturelles Einflussfeld zu nutzen hofften. Die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine bzw. in Galizien wird dabei als eine kulturelle Kraft sichtbar, die sich der Dichotomisierung von kirchlichem Westen und Osten zu entziehen suchte, dabei aber sich durch die Politik der Imperien, insbesondere durch die antiunierten Maßnahmen des Zarenreichs seit 1833, zunehmend in dem Spannungsfeld des Gegensatzes von russischer Orthodoxie und römischem Katholizismus definieren musste, wie Ricarda Vulpius verdeutlicht. Bemerkenswert sind auch die Überlegungen Oleh Turijs über die griechisch-katholische Kirche in Galizien. Turij zufolge waren die theologischen Orientierungen am Katholizismus bzw. zugunsten einer orthodoxen Erneuerung entscheidend für die nationalen Selbstverortungen als Ruthenen bzw. Groß-Ukrainer. Erst die zunehmende Säkularisierung und die Ablösung des Klerus als führender Schicht in der Nationalbewegung habe die Entscheidung zugunsten der ukrainischen Orientierung mit sich gebracht. Andere Beiträge untersuchen die Union in Kontexten der Zweiten Polnischen Republik, in der Bukowina, der Karpatho-Ukraine, der Slowakei und in Ungarn in der Zwischenkriegszeit. Mehrere Beiträge sind der griechisch-katholischen Kirche in Rumänien gewidmet. Hans-Christian Maner untersucht die unierte Kirche in ihrem Verhältnis sowohl zur rumänisch-orthodoxen als auch zur römisch-katholischen Kirche in Siebenbürgen zwischen 1918 und 1939. Das Spannungsverhältnis zur Orthodoxie resultierte in dieser Zeit nicht zuletzt aus dem Umstand, dass die unierte Kirche, die im 19. Jahrhundert als Nationalkirche der Rumänen fungiert hatte, diese Rolle nach der Gründung des Nationalstaats an die rumänisch-orthodoxe Kirche abtreten musste, die in der Verfassung als „dominante“ Kirche im Staat firmierte. Sehr lesenswert ist auch der Beitrag von Ioan-Marius Bucur, der die staatliche Politik gegenüber der griechisch-katholischen Kirche in Rumänien zwischen 1945 und 1948 „zwischen Kooptation und Unterdrückung“ darstellt. Deutlich wird dabei, wie die unierte Kirche durch eine grenzüberschreitende Offensive der orthodoxen Kirchen, die unter der Führung des Moskauer Patriarchats sich 1947 anschickten, eine „vereinigte orthodoxe Front“ aufzubauen, unter Druck geriet. Ergänzt wird die historische Reflexion des Bands durch eine ethnologische Perspektive: Chris Hanns Überlegungen und Beobachtungen zur griechisch-katholischen Kirche heute machen deutlich, dass die gewohnte Sichtweise einer scharfen Trennlinie zwischen den Zivilisationen im Osten und im Westen durch die Existenz der griechisch-katholischen Kirchen unterlaufen wird.

Der Band erlaubt mit seinen Beiträgen, die durchweg auf einem hohen fachwissenschaftlichen Niveau sind, eine Zusammenschau der Entwicklungspfade der griechisch-orthodoxen Kirchen in sehr verschiedenen imperialen, nationalen und regionalen Kontexten. Auch wenn der Ansatz kirchengeschichtlich gewählt ist, wird dem Lesen sehr viel mehr geboten: Einsichten in die Geschichte von konfessionellen und nationalen Identitätsbildungen in Ostmittel- und Südosteuropa. Die Geschichte der unierten Kirche fungiert dabei als Sonde, um komplexe Verhältnisse zu erschließen, die in einem multikonfessionellen Feld zu verschiedenen Formen nationaler und imperialer Identitätsbildungen führten. Bei dem von Hans Christian Maner und Norbert Spannenberger herausgegebenen Band handelt sich um ein grundlegendes Werk, das das Wissen über die unierten Kirchen und das Verständnis für die Kultur und Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas vertieft.

Martin Schulze Wessel, München

Zitierweise: Martin Schulze Wessel über: Hans-Christian Maner, Norbert Spannenberger (Hrsg.) Konfessionelle Identität und Nationsbildung. Die griechisch-katholischen Kirchen in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2007. = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Europa, 25. ISBN: 978-3-515-09024-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schulze-Wessel_Maner_Konfessionelle_Identitaet.html (Datum des Seitenbesuchs)

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