Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), 3, S. 517-519

Verfasst von: Natali Stegmann

 

Volker Mohn: NS-Kulturpolitik im Protektorat Böhmen und Mähren. Konzepte, Praktiken, Reaktionen. Essen: Klartext, 2014. 512 S. = Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa, 45. ISBN: 978-3-8375-1112-3.

Die Protektoratsregierung wollte die böhmischen und mährischen Gebiete nicht einfach unterwerfen; dieselben sollten vielmehr wirtschaftlich intakt gehalten werden; vor allem die Rüstungsindustrie war für das Reich von zentraler Bedeutung, und so galt es besonders die Arbeiter bei Laune zu halten. Zu diesem Zweck entwarfen sowohl die Reichministerien also auch das Amt des Reichsprotektors verschiedene, nicht immer einheitliche Pläne. Dies galt nicht nur im wirtschaftlichen und (sozial)politischen, sondern – wie die vorliegende Studie eingehend darstellt – auch im kulturellem Bereich. Das Besatzungsregime bemühte sich, die Eingliederung der tschechischen Gebiete als eine Rückkehr zu vergangener Größe und als eine Abkehr von der Fehlentwicklung tschechoslowakischer Eigenstaatlichkeit darzustellen. Auch wenn die tschechische Bevölkerung allen Mutmaßungen und Bekundungen gemäß hiervon kaum überzeugt werden konnte, bestimmte doch die Vorstellung, die tschechische Nationalkultur sei in Symbiose oder Anlehnung an deutsche Kultur gewachsen und würde nur in einem solchen Umfeld auch weiter gedeihen, maßgeblich die deutsche Propaganda sowie die politische Praxis. Tatsächlich wurden bis 1942 und teils bis 1944 erhebliche Mittel in den kulturellen Bereich gepumpt, und es wurde viel Mühe darauf verwendet, der tschechischen wie auch der deutschen Bevölkerung einzureden, man lebe in einer Zeit der kulturellen Blüte.

Als Voraussetzung dafür wurde freilich der Ausschluss derjenigen gesehen, die als jüdisch galten, wie auch das Verbot „jüdischer“ Werke; darüber hinaus wurden die Publikationen und die Aufführungen feindlicher – amerikanischer, französischer, englischer und seit 1941 sowjetischer – Werke unterbunden. Von einem Öffentlichkeitsverbot betroffen waren auch die künstlerische Avantgarde, der Jazz, kommunistische Werke und alles, was nicht ins Konzept einer antisemitischen und rechtskonservativen Blütezeit passte. In dieser Hinsicht trafen sich, wie die Studie belegt, die konservative tschechische Politik, die sich in den dreißiger Jahren und insbesondere in der Zweiten Republik durchgesetzt hatte, und die Vorstellungen einer wohlwollenden Besatzungspolitik, insbesondere unter Neurath; den Einfluss tschechischer Faschisten wussten die Besatzer folgerichtig gering zu halten. Die Idee einer „Rettung der Nationalkultur“, wie sie im Sinne der Nationalen Einheit auch vonseiten der Protektoratsregierung propagiert wurde, beruhte auf der Akzeptanz der genannten Ausschlusskriterien. Was das Publikum also zu sehen und zu lesen bekam, waren im genannten Sinne deutsche und tschechische Werke. Dabei unterstand die Kulturpolitik für die deutsche Bevölkerung dem Reichsprotektorat und diejenige für die tschechische Bevölkerung der formal autonomen Protektoratsregierung. Auch wenn diese Autonomie von Beginn an eine Farce war, so kann der Verfasser dennoch zeigen, dass der deutsche Kulturbereich gründlicher kontrolliert und zensiert wurde als der tschechische.

Die Studie, eine in Düsseldorf entstandene Dissertation, bettet ihr Thema in einen sehr breiten Kontext ein, indem sie nach einer kurzen Einleitung im Kapitel Vorüberlegungen zunächst allgemein auf die Besatzungspolitik in Europa eingeht (wobei gezeigt wird, dass die Besatzung im Protektorat mehr Ähnlichkeit mit jener etwa in den Niederlanden aufwies als mit derjenigen im ‚Osten‘), die Frage von „Kollaboration“ und „Widerstand“ noch einmal aufrollt und schließlich die tschechische Kultur in der Zwischenkriegszeit beleuchtet. Das nächste Kapitel NS-Kulturpolitik im Protektorat – Akteure, Interessen, Mittel und Konflikte geht teils allzu detailliert insbesondere auf die beteiligten Institutionen, deren uneinheitlichen Vorstellungen und Vorgehensweisen, deren Personal sowie deren Konkurrenz untereinander ein. Das Kernstück der Arbeit ist sodann eine Analyse der kulturellen Kernbereiche Literatur, Musik, Theater und Film. Hervorzuheben sind hier die Fallstudien zu einzelnen tschechischen Kulturschaffenden, die teilweise neue Aspekte zutage fördern können; zu nennen sind hier der Schriftsteller František Kožík, der Dirigent Václav Talich und der Schauspieler und Theaterbesitzer Vlasta Burian, deren Verhalten im Spannungsfeld von Kollaboration und Widerstand untersucht wird. Aufschlussreich ist dabei auch, dass und wie das Reichsprotektorat versuchte, diese Multiplikatoren für eigene Zwecke einzubinden, indem man sie etwa auf Reisen ins Reich oder auch in andere besetzte Gebiete einlud und sie hinterher zu ideologisch gefärbten Äußerungen darüber nötigte, indem man ihnen Preise verleih oder sie als Festtagsredner einsetzte. Auch wenn diese Art von „Kollaboration“ von der Exilregierung scharf verurteilt und nach dem Krieg manchmal auch strafrechtlich verfolgt wurde, so scheint sie zum einen persönlich nachvollziehbar und zum anderen insofern nützlich, als andere Aktivitäten sowie teilweise auch die Ensembles damit möglicherweise geschützt werden konnten. Die Studie wird schließlich neben dem üblichen Anhang durch ausführliche Register ergänzt.

Der Verfasser weist zusammenfassend nach, dass die Kontrolle nicht überall gleichermaßen griff und man, salopp formuliert, den Tschechen einiges durchgehen ließ. So wurden zumindest zu Beginn tschechische Klassiker weiterhin verlegt, ebenso wie Werke des Gründungspräsidenten Masaryk. Auch benutzte das tschechische Publikum Aufführungen der Werke tschechischer Komponisten für nationale Manifestationen, vor allem indem es diese massenhaft besuchte und deutsche Aufführungen schmähte. Die Besucherzahlen stiegen vor allem im Kino und in Konzerten; das Theater erlebte eine vorübergehende Flaute. Üblich waren darüber hinaus geräuschvolle Äußerungen während der Wochenschauen und Applaus zu einzelnen auf der Bühne gesprochenen Sätzen, die patriotisch gedeutet werden konnten. Hier liegt der Schluss nahe, dass die zumeist tschechischen Zensoren und Polizisten nicht immer im Sinne der Besatzungsmacht durchgriffen; darüber hinaus gab es besonders in den Zensurstellen zu wenig und zu schlecht ausgebildetes Personal. Zudem zeigt die Studie, dass sich mit der Absetzung Neuraths und insbesondere nach dem Heydrich-Attentat auch in der Kulturpolitik die Gangart deutlich verschärfte.

Der Verfasser hat insgesamt ein akribisch recherchiertes Werk vorgelegt, das auf einer breiten Quellenbasis beruht und seinen Gegenstand umfassend beleuchtet. Dabei geht er teilweise sehr tief ins Detail, sodass man beim Lesen zuweilen den roten Faden verliert. Zwar wird man durch Zwischenresümees immer wieder zurückgeführt, insgesamt wäre aber an etlichen Stellen weniger mehr gewesen. Nichtsdestotrotz liegt hier eine reiche Studie vor, die eine Forschungslücke überzeugend schließt und sich durch die Register sowie den Aufbau der Arbeit als Handbuch anbietet.

Natali Stegmann, Regensburg

Zitierweise: Natali Stegmann über: Volker Mohn: NS-Kulturpolitik im Protektorat Böhmen und Mähren. Konzepte, Praktiken, Reaktionen. Essen: Klartext, 2014. 512 S. = Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa, 45. ISBN: 978-3-8375-1112-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Stegmann_Mohn_NS-Kulturpolitik_im_Protektorat_Boehmen.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2016 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg and Natali Stegmann. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.