Tom E. Dykstra Russian Monastic Culture. „Josephism“ and the Iosifo-Volokolamsk Monastery 1479–1607. Verlag Otto Sagner München 2006. 264 S. = Slavistische Beiträge, 450. ISBN: 978-3-87690-980-6.
Das Iosif-Kloster bei Volokolamsk gehört zu den am besten erforschten Klöstern des Moskauer Reiches im 16. Jahrhundert, zum einen wegen der herausragenden Rolle seines Gründers im Kampf gegen die Judaisierenden und für die Legitimierung klösterlichen Besitzes, zum anderen wegen der besonders dichten Quellenüberlieferung von dort.
Es galt bisher als weitgehend unhinterfragt, dass die Brüderschaft des Klosters sich zu einem Gutteil aus ehemaligen Landbesitzern zusammensetzte und dass sich die soziale Schichtung außerhalb des Klosters in der Verteilung der Leitungs- und Verwaltungsaufgaben innerhalb des Klosters widerspiegelte. Das Hauptanliegen von Dykstra ist nun, diese Aussage zu überprüfen. Zu diesem Zweck hat er aus verschiedensten Quellen – Einnahmen- und Ausgabenbüchern, Urkunden, Stiftungsbüchern, Paterikon von Volokolamsk usw. – eine möglichst vollständige Sammlung der Belege über alle Brüder im Kloster für die Jahre von der Gründung 1479 bis 1607 zusammengestellt, ungefähr so weit, wie die Urkunden publiziert vorliegen. Dabei ist er auf eine Zahl von 438 namentlich bekannten Brüdern gelangt. Anhand der Herkunftsdaten zu den ermittelten Brüdern werden diese in sechs Gruppen eingeteilt: Adel (erkennbar am Fürstentitel), (nicht-adlige) Landbesitzer, Dienstleute, Angehörige der Unterschichten ohne weitere Spezifizierung, Bauern und Händler, Kleriker; als siebte Gruppe bleibt „Unbekannter Status“. Nach Auswertung dieser Daten stellt sich heraus, dass Adel und Landbesitzer gemeinsam als Elite 22 % der Brüderschaft ausmachten und dass sie bei den Ämtern stärker vertreten waren; doch die alte Prämisse ist stark relativiert. Dykstra stellt fest, dass gerade Mönche aus unteren Schichten, also „diejenigen, die dazu am wenigsten fähig waren“ (S. 123), sich in das Kloster hatten einkaufen müssen. Er übersieht dabei, dass die meisten Elite-Angehörigen zur Sicherung ihrer liturgischen Kommemoration ja Stiftungen erbracht hatten, deren Wert weit über dem Preis für den Einkauf ins Kloster lag, so dass dieser durch die Stiftung bereits abgedeckt war.
Dykstra führt auf der einen Seite Belege für exorbitante Leistungen auf dem Gebiet der Armenfürsorge an (S. 23, 186 f.), auf der anderen zeigt er, dass im Selbstverständnis des Klosters Armenfürsorge nur eine marginale Rolle spielte, und unter Berufung auf Adele Lindenmeyr verweist er zurecht darauf, im Gegensatz zum Westen sei es nie zu einer Institutionalisierung karitativer Arbeit durch russisch-orthodoxe Klöster gekommen (S. 226). Die ersten Belege über große Ausgaben beziehen sich tatsächlich auf die Ausnahmesituation bei einer Hungersnot; die Unkosten des Klosters wurden sogar später vom Großfürsten ersetzt. Für reichliche Bespendungen im Rahmen von hohen Festen hätte Dykstra die Belege aus dem von mir herausgegebenen und von ihm ansonsten vielfach genutzten „Speisungsbuch von Volokolamsk“ heranziehen können.
Bei der Analyse des Verhältnisses von Igumen, Ältestenrat und Brüdern gelangt er zu dem Ergebnis, dass der Igumen sowenig wie der Zar Allmacht besaß, vielmehr auf den Konsens mit dem Ältestenrat angewiesen war, dass sogar einzelne Älteste de facto mächtiger als er sein konnten.
Unnötig ist die abwertende Bemerkung über das „Russische Mönchtum“ von Igor Smolitsch in Anmerkung 99. Eher sollte man den Wert dieses Werkes als Synthese des Forschungsstandes bis 1953 anerkennen. Dass es 1997 ins Russische übersetzt worden ist, zeigt, wie viel von dem dort Gesagten weiterhin Gültigkeit hat.
Abschließend stellt Dykstra fest, seine Untersuchungen erwiesen sich als Bestätigung der Forschungen von Donald Ostrowski, denen zufolge die Unterscheidung von zwei Richtungen innerhalb des russischen Mönchtums um 1500, der stjažateli und der nestjažateli, der am Landerwerb Interessierten und der diesen Ablehnenden, erst eine historiographische Konstruktion des 19. Jahrhunderts sei. Meiner Ansicht nach liefert Dykstras Arbeit zu dieser noch nicht abgeschlossenen Debatte keine Argumente. Denn man könnte die Ergebnisse von Dykstra, der das wirtschaftliche Eigeninteresse des von ihm untersuchten Klosters so stark unterstreicht, genauso als Argument dafür verwenden, dass sich im Iosif-Kloster die „machtkirchliche“ Richtung offensichtlich durchgesetzt hatte. Recht zu geben ist ihm bei seiner Feststellung, auch im Iosif-Kloster sei der Pragmatismus stärker als die Mönchsideale gewesen und von einer vom Klostergründer initiierten besonderen „Schule“ rigiden koinobitischen Mönchtums könne nicht die Rede sein.
Erst am Anfang der Bibliographie – diese leider nicht nach Quellenpublikationen und Literatur getrennt – findet sich ein Hinweis, dass Dykstra für seine Untersuchungen eine Liste aller ermittelten Mönche mit Vermerk ihrer Schichtzugehörigkeit und Angabe aller Belegstellen für die Person erstellt und an anderem Ort publiziert hat: Inočeskie imena v Moskovskoj Rusi i problemy identifikacii ich obladatelej (na materiale istočnikov Iosifo-Volokolamskogo monastyrja, 1479–1607, in: Imenoslov. Istoričeskaja semantika imeni. Sost. Fedor B. Uspenskij. Vyp. 2. Moskva 2007, S. 238–298). Nur bei gleichzeitigem Vorliegen beider Publikationen kann man das Verfahren von Dykstra erst wirklich nachvollziehen. Es ist allerdings lästig, dass er die Stiftungsbücher nur nach der Pagination der beiden ihm als Mikrofilm vorliegenden Handschriften zitiert, nicht nach der Edition von Titov, die doch weitgehend zuverlässig ist. Warum dann manchmal doch stattdessen nur oder auch der Beleg bei Titov genannt ist, bleibt unklar. Außerdem stehen Personen, die Dykstra zufolge nur im Speisungsbuch nachgewiesen sind, sehr wohl ebenso im Stiftungsbuch, wie schon ein Blick auf die Quellenkonkordanz im Anhang zum Speisungsbuch gezeigt hätte. Der Mönch Avraamij Kutuzov, als Laie Boris, ist in der Liste irrtümlich als Fürst notiert.
In die Mönchsliste sind zusätzlich 102 von Dykstra so genannte „Totenbett-Tonsuren“ aufgenommen, d.h. solche Mönche, von denen man nur weiß, dass sie Stiftungen zur Sicherung ihres liturgischen Gedenkens an das Kloster erbracht haben, die jedoch nicht durch irgendwelche Ämter oder Funktionen als Angehörige des Iosif-Klosters ausgewiesen sind und nach Dykstras Vermutung erst kurz vor ihrem Tod Mönche wurden. Das Nicht-Berücksichtigen dieser Namen bei der oben beschriebenen sozialen Klassifizierung ist korrekt, doch kann es sich ebenso gut um Personen handeln, die als Mönche in anderen Klöstern lebten oder die Weihe empfangen hatten.
Aus der Liste ist ersichtlich, wie viele der Brüder relativ kleine Stiftungen erbracht hatten, die nur für eine befristete Kommemoration im liturgisch wertvollen povsednevnyj spisok reichten; sie sind nämlich in der Zapisnaja kniga (ed. Titov nach GIM, Eparch. 418) notiert, während das Stiftungsbuch (ed. Titov nach GIM, Eparch. 419) nur Stifter nennt, die genug für einen unbefristeten Eintrag, in der Regel mindestens 50 Rubel, gegeben hatten. Dies stützt das Ergebnis von Dykstras Auswertung nach Schichten, dass sich die Brüderschaft keineswegs mehrheitlich aus der Elite des Reiches rekrutierte.
In Verbindung mit dem Brüderverzeichnis wird die Monographie von Dykstra allen weiteren prosopographischen Untersuchungen zum Iosif-Kloster eine große Hilfe sein.
Ludwig Steindorff, Kiel
Zitierweise: Ludwig Steindorff über: Tom E. Dykstra Russian Monastic Culture. „Josephism“ and the Iosifo-Volokolamsk Monastery 1479–1607. Verlag Otto Sagner München 2006 = Slavistische Beiträge, 450. ISBN: 978-3-87690-980-6., in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 56 (2008) H. 4, S. 590-592: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Steindorff_Dykstra_Russian_Monastic_Culture.html (Datum des Seitenbesuchs)