Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Band 58 (2010) H. 3, S. 450-451
Luc Orešković Le diocèse de Senj-Modruš en Croatie Habsbourgeoise. De la Contre-réforme aux Lumières (1650–1770). Brepols Publishers Turnhout 2008. VII, 575 S., Tab., Ktn. = Bibliothèque de l’École des hautes études. Sciences religieuses, 132. ISBN: 978-2-503-52448-1.
Die Begriffe Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung kommen im anzuzeigenden Werk nicht vor; doch was der Autor in größter Detailliertheit und auf einer außerordentlich breiten Basis von Quellen und Sekundärliteratur ausführt, wird genau von diesen Begriffen erfasst. Es geht um die Durchsetzung der kirchlichen Normen im Sinne des Tridentinums, um die Klärung des Verhältnisses zwischen Katholiken und Orthodoxen und um die zunehmende Indienstnahme der Kirche durch den absolutistischen Staat.
Die Diözese Senj-Modruš entstand 1630 durch Zusammenlegung des Bistums Senj mit dem während der Türkenkriege aufgegebenen Bistum Modruš. Bischofssitz und einzige Stadt in dem Gebiet war das an der Adria gelegene Senj. Die Diözese diesseits und jenseits des Velebit-Gebirges erstreckte sich über ca. 4000 km2 teils innerhalb, teils außerhalb der Militärgrenze. Das Territorium verdoppelte sich mit der Zurückdrängung der Osmanen 1689 und grenzte jetzt nicht mehr nur an osmanische Territorien, sondern berührte nun im Südosten auch das venezianische Dalmatien. Während das Gebiet vorher in Folge der Kriegsverwüstungen und der Grenzlage äußerst dünn besiedelt war, wuchs die Bevölkerung bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts durch Zuzug sowohl von Katholiken als auch von Orthodoxen um ein Mehrfaches.
Nach dem Einleitungskapitel zu Quellen, Methoden und Fragestellungen folgt ein auf die Zeit bis 1689 bezogenes Kapitel, das „Eine blutleere Diözese“ überschrieben ist. Gewiss befand sich die Diözese damals in einer Randlage, doch aus der Darstellung lässt sich nicht wirklich eine Krisenbefindlichkeit erkennen. Es ist geradezu das Verfahren des Autors, durch die Einbringung einer Fülle von dicht dokumentierten Sachverhalten – von der Stellung der glagolitischen Liturgie über das Wirken der Jesuiten, die Heiligenverehrung und die wirtschaftliche Lage der Diözese bis zum Scheitern der Adelsrevolte gegen die Habsburger unter den Grafen Zrinski und Frankopan 1666 – erst einmal ein Bild der Unübersichtlichkeit und Vielschichtigkeit verschiedenster, teils gegenläufiger Prozesse zu schaffen, das der Erfahrung der damaligen Akteure entspricht.
Erst aus der Distanz und angeleitet vom Autor durch meist knappe Zusammenfassungen, erkennt der Leser klare Entwicklungslinien, denen auch die weitere Gliederung entspricht: Der Aufbruch im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts dank der viel geringeren Bedrohtheit im Kapitel „Die Ambitionen einer Grenze der Katholizität“ und die Auswirkungen der Reglementierungen schon unter Maria Theresia im Kapitel „Ein Katholizismus in der Defensive“. Die Schwächung der Orden konnte durch die Verdichtung des Pfarrnetzes nicht aufgefangen werden. Die katholische Kirche sei nicht mehr Mittlerin zwischen weltlicher Obrigkeit und Volk gewesen, sondern Vertreterin des Staates. Gerade dies mag nach Ansicht des Autors ein Grund für die positive Rezeption der Ideen der Französischen Revolution und der Reformen zur Zeit der Illyrischen Provinzen 1809–1814 gewesen sein (S. 444).
Ein eigenes Kapitel ist der Konversionspolitik gewidmet. Während der Islam wegen des Abzuges der Bevölkerung oder auch durch Übertritt zum Katholizismus verschwand und an die Stelle von Moscheen katholische Kirchen traten, konnte sich die Orthodoxie konsolidieren. Dank den sorgfältig eingehaltenen Privilegien für die Orthodoxen seitens des Staates war das Werben der katholischen Kirche für die Kirchenunion wenig wirksam.
Einige Grundkonstellationen kehren in den Ausführungen immer wieder: die Stärke der lokalen Traditionen einschließlich des Glagolismus gegenüber dem Streben nach Standardisierung; die Dominanz des Männlichen in der religiösen Praxis mit der großen Ausnahme des auf den Wallfahrtsort Trsat konzentrierten Marienkultes. Das Interesse an der Bekämpfung von „Aberglauben“ war geringer als das Streben nach klarer Abgrenzung von den orthodoxen „Schismatikern“. Bei den Bemühungen, die Gesellschaft nach den Grundsätzen des Tridentinums umzugestalten, hat die katholische Kirche viel erreicht, doch ist sie vom Ideal weit entfernt geblieben. Immer wieder stehen Details für generelle Entwicklungen: Während einem Text aus dem 17. Jahrhundert zufolge die Soldaten für Gott kämpften, dienten sie laut einem Text aus dem 18. Jahrhundert ihrem Kaiser: Orešković kommentiert: „Der Soldat war nicht mehr der Arm Gottes.“ (S. 156)
Zahlreiche Tabellen innerhalb der Darstellung und im Anhang dienen der Systematisierung und bieten ergänzende Informationen, so z.B. zu den Karrieren der Kanoniker des Kapitels von Senj 1746. Auch ist eine Reihe von für die Darstellung besonders aussagekräftigen Quellentexten in französischer Übersetzung beigegeben.
So liegt mit dem Werk geradezu ein Handbuch zur Geschichte der Diözese in der Zeit von Gegenreformation und Aufklärung vor, das sowohl in der diachronen Dimension der Landesgeschichte als auch für synchrone Vergleiche und beziehungsgeschichtliche Untersuchungen von großem Nutzen sein wird, war doch die Diözese (S. 446) „ein Experimentierfeld für interkonfessionelle und interkulturelle Kontakte.“
Ludwig Steindorff, Kiel
Zitierweise: Ludwig Steindorff über: Luc Orešković Le diocèse de Senj-Modruš en Croatie Habsbourgeoise. De la Contre-réforme aux Lumières (1650–1770). Brepols Publishers Turnhout 2008. VII. = Bibliothèque de l’École des hautes études. Sciences religieuses, 132. ISBN: 978-2-503-52448-1, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 450-451: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Steindorff_Oreskovic_Diocese_de_Senj_Modrus.html (Datum des Seitenbesuchs)