Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 1, S.  142-143

Sabrina P. Ramet, Konrad Clewing, Renéo Lukić (Hrsg.) Croatia since Independence. War, Politics, Society, Foreign Relations. Verlag R. Oldenbourg München 2008. 483 S. = Südosteuropäische Arbeiten, 131. ISBN: 978-3-486-58043-3.

So wie es eine gewisse Zeit dauerte, bis man das Kartenbild Deutschlands in den Grenzen von 1990 als das Gewohnte empfand, brauchte ebenso die Auflösung Jugoslawiens in unseren mental maps ihre Zeit. Nun ist sie anscheinend abgeschlossen, wie auch daran abzulesen ist, dass der Markt an Buchpublikationen zunehmend nach den Nachfolgestaaten gegliedert ist, dass neue Nationalgeschichten die jugoslawische Zeit als Episode behandeln und Gegenwartsdarstellungen ohne eine jugoslawische Vorgeschichte auskommen, vielmehr von der ge­gebenen Selbständigkeit der einzelnen Nachfolgestaaten ausgehen.

Die entscheidenden Schritte zur Auflösung Jugoslawiens und zur Verselbständigung der Teilrepubliken liegen nun schon bald zwei Jahrzehnte zurück, doch bis zum Erreichen einer neuen Normalität sollte es je nach Nachfolgestaat unterschiedlich lange dauern. Für Kroatien waren der stabile Waffenstillstand und die internationale Anerkennung Anfang 1992 und dann die Wiederherstellung der territorialen Integrität im Sommer 1995 wichtige Etappen, aber wirklich erreicht war die Normalität erst mit dem Ende der tendenziell autoritären HDZ-Herrschaft Anfang 2000.

An dem anzuzeigenden Sammelband, der, um eine größere internationale Rezeption zu erreichen, ausschließlich englischsprachige Beiträge enthält, haben Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und den USA (je 5), Kanada, Kroatien und Norwegen (je 2) und Großbritannien mitgewirkt. Alle Autoren sind durch frühere Publikationen zu Geschichte und Gegenwart des Raumes der jugoslawischen Nachfolgestaaten ausgewiesen. Der Band ist in fünf Hauptabschnitte gegliedert: „Introduction“ mit allgemeinen Einschätzungen zur Entwicklung Kroatiens seit 1990, The Legacy of the War“ einschließlich der Flüchtlingsfrage;Politics and Economics; Society and Culture unter Berücksichtigung auch der alternativen Szene und „Foreign Relations“.

Über die Vielfalt der Themen hinweg lassen sich einige Fragestellungen erkennen, die in irgendeiner Weise in allen Artikeln präsent sind: der Ablauf der Transition von der sozialistischen zur bürgerlichen Staats- und Gesellschaftsordnung; die Auswirkungen der Kriegszeit 1991–1995; das Verhältnis von Traditionali­tät und Modernität; die derzeitige Ambivalenz in der Geschichtskultur Kroatiens, in der man den „Nationalen Befreiungskampf“ und die Jahrzehnte des titoistischen Jugoslawien teils als positives Erbe verortet, teilweise sich aber auch, ausgehend von der Gewalttätigkeit und dem intoleranten Charakter des Regimes vor allem in seinen frühen Jahren, davon klar abgrenzt.

Schließlich geht es immer wieder um die Bewertung der Rolle von Franjo Tuđman im Vergleich mit anderen Akteuren der Zeit. Gegen die manchmal anzutreffende Neigung, Franjo Tuđman in der Wertung mit Slobodan Milošević gleichzusetzen, werden die Unterschiede betont: Milošević trug den Krieg in fremdes Territorium; Tuđman reagierte auf Gewalt; er war ein cunctator. Milošević übernahm die Strukturen des alten Systems, Tuđman sah sich als Überwinder des alten Systems. Weder ging Tuđman mit einer nur annähernd ähnlichen Härte gegen seine innenpolitischen Gegner wie Milošević vor; noch bewirkte seine Politik vergleichbare Protestbewegungen.

Im Rahmen ihrer Untersuchungen zum Verhältnis von Kroatien und Bosnien-Herzegowina demontiert Dunja Melčić den Topos, Tuđman und Milošević hätten sich bei ihrem Treffen in Karađorđevo im März 1991 auf die Teilung von Bosnien-Herzegowina geeinigt und hiervon sei die kroatische Bosnien-Politik seitdem geleitet gewesen. Sowohl der Quellenbefund zum Treffen selbst als auch die Haltung Kroatiens im ersten Jahr des Bosnien-Krieges sprechen gegen diese Deutung. Davon unberührt bleibt, dass Bosnien-Herzegowina im Geschichtsbild von Franjo Tuđman als etwas Künstliches erschien und dass Kroatien ab Anfang 1993 eine Politik der zwei Optionen – double game in den Worten von Sabrina Ramet (S. 39) – gegenüber dem Nachbarland verfolgte: Mitwirken an Teilungsplänen oder Eintreten für den Erhalt des Staates. Und hierbei befand es sich in  der guten Gesellschaft des neuen „Konzertes der Mächte“.

Gewiss bleibt jeder thematische Sammelband eine Auswahl aus dem Möglichen, aber es ist doch bedauerlich, wenn das Thema Religion im Aufsatz von Thomas Bremer weitestgehend auf die katholische Kirche reduziert ist, als sollte die von ihr beanspruchte dominante Rolle in der Gesellschaft dadurch noch einmal zementiert werden. Dem Literaturverzeichnis zum Beitrag wären unbedingt hinzuzugefügen: Klaus Buchenau Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945–1991. Ein serbisch-kroatischer Vergleich. Wiesbaden 2004 (vgl. meine Rezension in JBfGOE 54 (2006) S. 607–608) und Ludwig Steindorff Leben mit veränderten Grenzen: Die protestantischen Kirchen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, in: Katharina Kunter, Jens Holger Schjørring (Hrsg.): Die Kirchen und das Erbe des Kommunismus. Die Zeit nach 1989 – Zäsur, Vergangenheitsbewältigung und Neubeginn. Fallstudien aus Mittel- und Osteuropa und Bestandsaufnahme aus der Ökumene. Erlangen 2007, S. 161–186.

Der Band bietet eine umfassende Beschreibung und angemessene Analyse der Verhältnisse im gegenwärtigen Kroatien. Viele Beiträge können als Impulse für vergleichende Untersuchungen dienen. Dann würde noch deutlicher, inwieweit es sich bei geschilderten Phänomenen und Entwicklungstendenzen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft um Spezifika Kroatiens handelt oder ob man auch für andere Transitionsstaaten, sei es in der Reihe der jugoslawischen Nachfolgestaaten, sei es unter den postsozialistischen Staaten Ostmitteleuropas, oder auch für Länder Westeuropas zu fallweise ähnlichen Befunden kommt.

Eine zentrale Bedingung der europäischen Integration ist das gegenseitige Sich-Kennen: Hierzu leistet der Band einen hervorragenden Beitrag.

Ludwig Steindorff, Kiel

Zitierweise: Ludwig Steindorff über: Sabrina P. Ramet, Konrad Clewing, Renéo Lukić (Hrsg.): Croatia since Independence. War, Politics, Society, Foreign Relations. Verlag R. Oldenbourg Muenchen 2008. = Suedosteuropaeische Arbeiten, 131. ISBN: 978-3-486-58043-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 142-143: http:///JGO/Rez/Steindorff_Ramet_Croatia_since_independence.html (Datum des Seitenbesuchs)