Žak Maržeret. Sostojanie Rossijskoj imperii. Ž. Maržeret v dokumentach i issledovanijach (Tek­s­ty, kommentarii, stat’i) [Jacques Margeret. Estat de l’Empire de Russie. J. Margeret in Do­ku­menten und Forschungen (Texte, Kom­men­ta­re, Aufsätze)]. Hrsg., bearb., komm. und eingel. von André Berelowitch, Vladislav Dmitrievič Nazarov, Pavel Jur'evič Uvarov. Izdat. Jazyki slavjanskich kul’tur Moskva 2007. 550 S.

Anders als bei der Betrachtung eines Textes als Kunstwerk, das mit seiner Fertigstellung Autonomie gegenüber dem Autor erlangt und dessen ästhetischer Wert vom Autor unabhängig ist, wird ein Text als historische Quelle umso wertvoller, je mehr wir über den Autor wissen. Ganz in diesem Sinne bedeutet das hier anzuzeigende Gemeinschaftswerk zu Leben und Werk von Jacques Margeret einen großen Gewinn. Einleitend bieten die Bearbeiter einen Überblick zur Rezeptionsgeschichte des „Estat de l’Empire de Russie et Grande Duché de Moscovie“. Ausgehend von der ersten Publikation schon 1607 stellen sie jüngere Drucke, Übersetzungen und wichtige Forschungen vor, darunter die kommentierte Edition und russische Übersetzung von Limonov und Šaskol’skaja aus dem Jahr 1982. (Diese steht jetzt auch online zur Verfügung: http://www.vostlit.info/Texts/rus6/ Margeret/pred1.phtml?id=897.) Die kritischen Bemerkungen von Dean Worth zu den auf das Mündliche beschränkten Russisch-Kenntnissen von Margeret relativieren die Bearbeiter mit dem Verweis auf die Wahrscheinlichkeit von ihm nicht anzulastenden Druckfehlern, denn im Handexemplar von Margeret in der Pariser Bibliothèque nationale sind diese großteils korrigiert. Für ihre Edition nutzen sie deshalb nicht das Exemplar in der Petersburger RNB, sondern das aus der Bibliothèque nationale. In der Einleitung (S. 27) ist der Titel von Philip Johan von Strahlenbergs Werk „Das nord- und ostliche Theil von Europa und Asia“ (Stockholm 1730) irrtümlich mit „Sever i vostočnaja čast’“ statt mit „Severnaja i vostočnaja čast’“ übersetzt. Anders als die Herausgeber von 1982 sind die Bearbeiter in der Übersetzung nicht bestrebt, französische Adaptionen russischer Termini wieder rückgängig zu machen, sondern belassen sie, zumal Margeret selbst die Adaption manchmal vornimmt, manchmal darauf verzichtet: Er spricht meistens vom empereur, dem „Im­perator“ in der russischen Übersetzung, doch kennt er auch den Terminus „Zar“, den er selbst als Roy, „König“, einstuft (S. 46).

Statt eines Paralleldruckes von französischem und russischem Text folgt letzterer ersterem. Auf die Bedeutung von Margerets Darstellung sowohl für die Rekonstruktion der Ereignisse in den Jahren der Smuta bis 1606 als auch zur Landeskunde der Zeit braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Die Bearbeiter haben dem Text zahlreiche erläuternde Anmerkungen beigegeben. Zu S. 57 bzw. 129 wäre ergänzend zu erklären, was sich hinter dem besonderen monastischen ordre bzw. dem razrjad, der dem Tod schon nahe steht, verbirgt, nämlich Mönche, die die zweite Mönchsweihe erhalten und das kapuzenförmige große Schima angenommen haben.

Es folgen Quellen zu Margeret in russischen Archiven von 1603 bis 1616, darunter eine Quittung mit seiner Unterschrift, Soldauszahlungslisten und die Einweisung in ein Dienstgut durch Sigismund III. von 1612, war Margeret doch nach der Ermordung seines Gönners, des ersten Pseudo-Demetrius, 1606 nach Frankreich zurückgekehrt, 1610 aber im Dienste des polnischen Königs Sigismund wieder nach Russland gekommen. Als eine Söldnergruppe 1612 in rus­si­sche Dienste eintreten wollte, wurde diese, wo­von eine umfangreiche Korrespondenz zeugt, ge­rade deswegen abgewiesen, weil ihr der verräte­rische Hauptmann Margeret angehöre; sein Platz sei in Polen.

In einem weiteren Block finden wir Zeugnisse zu Margeret aus ausländischen Archiven, dar­unter Briefe von ihm aus Hamburg nach England (1612) und von Bayreuth nach Heidelberg (1619) sowie einen Brief des englischen Gesandten in Polen von 1620 mit der Mitteilung, Margeret habe sich auf den Weg in das Inselkönigreich gemacht. Dank diesem Brief ist das in Nachschlagewerken meist angegebene Todesdatum „nach 1618“ auf „frühestens 1620“ zu präzisieren. 1613 entwarf Margeret für den englischen König ein – von Chester Dunning erst­mals publiziertes – Projekt mit dem Vorschlag, jener möge durch die Besetzung des russischen Reiches von Archangel’sk aus einer erneuten pol­nischen Intervention zuvorkommen. Schließlich sind die relevanten Abschnitte aus den zeitgenössischen Publikationen von Jacques-Auguste de Thou, dem niederländischen Tuch­händler Isaak Massa und Konrad Bussow abgedruckt. Für die Benutzung des Bandes wäre es hilf­reich gewesen, wenn die Bearbeiter chronologisch geordnete Regesten aller hier zusammengestellten Dokumente beigefügt hätten.

In einem längeren Aufsatz untersucht André Berelowitch die Herkunft von Jacques Margeret. Als wichtigste Quelle dient ihm eine Darstellung von 1699, in welcher es um die Legitimierung des Adelstitels der Margeret geht; hatte diese Kaufmannsfamilie doch erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts ihren Aufstieg erlebt. Die Geschichte leidet aus Sicht des modernen Historikers an fallweise ungenauem Wissen und an dem Streben, die Verbindungen der Familie zu den Hugenotten auszublenden. Dass der Autor den „Familienhelden“ Jacques Margeret offensichtlich einem falschen Vater zuordnete, war, wie Berelowitch annimmt, dadurch bedingt, dass dieser unbestritten katholisch war, während der richtige Vater sich zumindest zeitweilig dem Protestantismus zugewandt hatte (vgl. den Stammbaum auf S. 466). Die richtige Zuordnung wird nur dadurch möglich, dass in rus­sischen Dokumenten statt des Familiennamens der Vatersnamen von Jacques Margeret, Ul’janov für Guillaume, angegeben ist (S. 457f.). Auch wenn in der Biographie von Margeret Dunkelstellen bleiben, zeigt sein Weg als Söldner von Burgund über Deutschland und Siebenbürgen nach Russland, wie weit das Kriegs­handwerk bereits professionalisiert war, wie wenig jedoch Heere schon „verstaatlicht“ waren.

Vladislav Nazarov geht dem Aufenthalt und den Lebensumständen von Margeret während seines ersten Aufenthaltes in Russland nach. Wahrscheinlich wohnte er nicht in einem Ausländerbezirk, sondern im Belyj gorod im Schatten des Kreml’. Bei seiner Rückkehr nach Frankreich Ende 1606 hatte er sein Buchprojekt schon konzipiert. Die damit verbundene Intention, König Heinrich IV. für eine Einbindung Russlands in das Kalkül der französischen Politik zu gewinnen, ging allerdings ins Leere.

Dem Band ist ein russisches Register der Orts-, Länder- und Völkernamen beigegeben. Über eine französisch-russische Konkordanz kann man auch von den französischen Lautungen ausgehend suchen. Beim Personenregister ist nicht ganz einsichtig, warum auch manche fran­zösische Namen nur im russischen Register stehen, im französischen Register fallweise auf das russische Register verwiesen wird, manchmal aber gleich der Nachweis angegeben wird.

Solche Marginalia sollen aber nicht das Schluss­wort sein: Über eine Neuedition und reich kom­men­tierte Übersetzung des Textes „Estat de l’Empire de Russie“ hinaus verfügen wir nun über ein grundsolides Handbuch zum Autor des Werkes, Jacques Margeret.

Ludwig Steindorff, Kiel

Zitierweise: Ludwig Steindorff über: Žak Maržeret. Sostojanie Rossijskoj imperii. Ž. Maržeret v dokumentach i issledovanijach (Teksty, kommentarii, stat’i) [Jacques Margeret. Estat de l’Empire de Russie. J. Margeret in Dokumenten und Forschungen (Texte, Kommentare, Aufsätze)]. Hrsg., bearb., komm. und eingel. von André Berelowitch, Vladislav Dmitrievič Nazarov, Pavel Jur'evič Uvarov. Izdat. Jazyki slavjanskich kul’tur Moskva 2007, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Steindorff_Zak_Mar_zeret_Sostojanie_Rossijskoj_imperii.html (Datum des Seitenbesuchs)