Johannes Hürter Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. Oldenbourg Wissenschaftsverlag München 2. Aufl. 2007. VII, 719 S., 25 Abb., 4 Ktn. = Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 66.

Die 25 vorgestellten Militärs erfuhren durch Erziehung, Ausbildung und Verwendung zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus eine gemeinsame Sozialisation. Sie verband berufliches Ethos, militärisches Selbstverständnis und eine nationalkonservative Grundhaltung mit unterschiedlich akzentuierten Affinitäten zum NS-Regime. Zwei Offiziere fanden zum Widerstand (Hoepner, Stülpnagel). Aus politischer Überzeugung haben alle den Überfall auf Polen begrüßt, in dessen Verlauf sich die Wehrmacht durch ein indoktriniertes Feindbild, insbesondere als Opfer einer Freischärlerhysterie, vielfältiger Verletzungen des Kriegsvölkerrechts schuldig machte. Um die Bevölkerung zu demoralisieren, forderte Rundstedt z.B. trotz seines Wissens um die Rechtswidrigkeit die uneingeschränkte Bombardierung Warschaus. Wo Stim­men gegenüber dem rassisch begründeten systematischen Morden und gegen die menschliche und nationale Entwürdigung der Polen laut wurden, blieben sie ungehört, weil die Wehrmachtsführung moralische Bedenken hinter vermeintliche Kriegsnotwendigkeiten zurückstellte.

Die Studie bestätigt, dass es sich beim Russlandfeldzug nicht um einen Präventivkrieg handelte. Aus Hitlers Sicht entsprang er dennoch einer Zwangslage. Ungeachtet des Paktes mit Stalin galt dieser als militärisch unberechenbar. Da Großbritannien in absehbarer Zeit nicht zu bezwingen war, drängte sich der Überfall auf, wollte man das Heft militärischen Handelns in der Hand behalten. Schon die Angriffsplanung verdeutlicht, dass die Rote Armee und ihre Führung ebenso unterschätzt wurden wie die materielle Leistungsfähigkeit des Gegners. Anfang März 1941 ließ Hitler rassenideologische Kriterien in die Angriffsvorbereitungen und in die Richtlinien für die Besatzungsverwaltung einfließen, wenn er auf die Notwendigkeit der Vernichtung der jüdisch-bolschewistischen Intelligenz abhob. Ungeachtet der Arbeitsteilung, wonach der Wehrmacht Eroberung und militärische Sicherung, Himmlers Organen die Herstellung der inneren Ordnung, die völkische Säuberung und die Verwaltung des Territoriums zufielen, gingen die Kompetenzgrenzen und -anmaßungen doch ineinander über. Die befohlene Missachtung des Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen stieß auf keinen Widerspruch der Oberbefehlshaber. Der Autor untermauert eine jüngere Forschungsthese, der zufolge ein vom Offizierskorps bis hinunter zum gemeinen Mann verinnerlichtes Feind­bild vom Russen als grausamem (Halb-)Asiaten bereits beim Vormarsch eine entsprechende Erwartungshaltung erzeugt habe, so dass deutsche Soldaten „alles totschlagen, was ihnen in die Quere kommt“ (Heinrici). Die lineare Durchführung des Kommissarbefehls ist für alle Armeen und Panzergruppen sowie die Mehrheit der Armeekorps und rund die Hälfte der Divisionen belegt. Wir können nachlesen, welche Oberbefehlshaber sich ausnahmsweise um eine hinreichende Ernährung und Bekleidung der Kriegsgefangenen bemühten und welche Hitlers verbrecherischen Befehl, Gefangene und Zivilbevölkerung ihrer Winterkleidung zu Gunsten der mangelhaft ausgestatteten Landser zu berauben, befolgten. Wir erfahren von den seitens des Oberkommandos angewandten Evakuierungs- und Aushungerungsstrategien im Kampfgebiet und davon, dass die Truppe punktuell und nicht selten befehlswidrig z.B. Essensreste und Pferdekadaver an die sowjetische Bevölkerung ausgab. Ihre antisemitische Grundeinstellung hinderte einzelne Mitglieder nicht daran, bei Mordaktionen gegenüber Juden und im Zuge der Partisanenbekämpfung einzuschreiten. Vom Verfasser zusammengetragene Belege und Indizien lassen den Schluss zu, dass die Oberbefehlshaber und deren Stäbe über hinreichende Informationen verfügten, um sich „ein realitätsnahes Bild“ vom Wüten der SS und der Polizei zu machen. Insgesamt war man aber der Meinung, dass es sich, gemessen an der Größe des Operationsgebietes und der Bevölkerung, zumeist um kriegsnotwendige und numerisch vertretbare Erschießungen handelte, wobei man die Juden einer besonders hohen Kriminalität und Spionagetätigkeit verdächtigte. Insgesamt führte das als militärisch notwendig Erkannte in Verbindung mit antisemitischem Vorurteil, Befehlshörigkeit, Ehrgeiz und Konfliktscheu zur Tolerierung des Genozids und des antislawischen Rassismus. Ansonsten teilten mit dem NS-Regime sympathisierende Generale dessen Auffassung, es gehe im totalen Krieg um Sein oder Nichtsein. Hetz- und Mordbefehle Reichenaus, Anregungen zu Pogromen und zur antisemitischen Propaganda durch Stülpnagel, Küchlers Zustimmung zur Ermordung Hunderter von Psychiatriepatienten bezeugen, dass nicht Nähe (Reichenau) oder Opposition (Stülpnagel) zum NS-Regime bzw. Attentismus (Küchler) Maßgabe für den Umgang mit dem Völkerrecht boten.

Zu solchen Aussagen gelangt ein Autor, der sich vor moralischen Schuldzuweisungen hütet, aber persönliche Verantwortlichkeit aufzeigt und trotz Personalisierung auf Objektivierung erpicht ist. Dies geschieht auf der Grundlage bislang kaum im Zusammenhang ausgewerteter Belege, so dass die Aufarbeitung des Themas, sprachlich auf hohem Niveau, vorbildlich ist. Vermittelt wird berufliches Können, Charakter und Slawenbild höchster Offiziersränge, die sich, befangen in fragwürdigen, vielfach eingeengten Kategorien beruflichen Selbstverständnisses, dort auf ihre operativen Führungsaufgaben zurückzogen, wo es gesamtmilitärische Verantwortung zu übernehmen hieß.

Hans-Erich Volkmann, Freiburg

Zitierweise: Hans-Erich Volkmann über: Johannes Hürter Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. Oldenbourg Wissenschaftsverlag München 2. Aufl. 2007. = Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 66. ISBN: 978-3-486-58341-0, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 468-469: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Volkmann_Huerter_Hitlers_Heerfuehrer.html (Datum des Seitenbesuchs)