Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 65 (2017), H. 3, S. 510-511
Verfasst von: Albert Weber
Borbála Zsuzsanna Török: Exploring Transylvania. Geographies of Knowledge and Entangled Histories in a Multiethnic Province, 1790–1918. Leiden: Brill, 2015. XIV, 286 S., 14 Abb., 7 Tab. = European History and Culture E-Books Online, Collection 2016-II, 10; National Cultivation of Culture, 10. ISBN: 978-90-04-30305-8.
Zsuzsanna Borbála Török legt eine facettenreiche Studie zur Geschichte der akademischen Disziplin der siebenbürgischen Landeskunde im Zeitraum von 1790 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vor. Ausgehend vom älteren Konzept der Statistik sollte die Landeskunde (ung. honismeret) sowohl die sozio-ökonomische Entwicklung der „Heimat“-Region fördern als auch der patriotischen Erziehung der Bürger dienen. Der supra-ethnische josephinische „Landespatriotismus“ erfuhr in diesem Zeitraum in Siebenbürgen – ebenso wie in anderen Teilen der östlichen Habsburgermonarchie – eine tiefgreifende Transformation zu einem ethnonationalen Gemeinschaftsverständnis, das eine spezifische lokale Wissensproduktion in Gang brachte. Török untersucht diesen Prozess in einem Großteil der Studie anhand der Institutionsgeschichte des Vereins für siebenbürgische Landeskunde (1842–1947) und der Erdélyi Múzeum Egyesület (dt. Siebenbürgische Museumsgesellschaft, 1859–1950), der beiden größten und führenden Vereinigungen siebenbürgisch-sächsischer und siebenbürgisch-ungarischer Gelehrter. Die Autorin stellt die organisatorischen, sozialen und ethnischen Strukturen dar, analysiert Biographien und Publikationen ausgewählter Mitglieder und diskutiert die kulturpolitischen Zielsetzungen und Unterschiede beider Institutionen. So rekrutierte die Museumsgesellschaft ihre Mitglieder anfangs aus dem Adelsmilieu, der Landeskundeverein jedoch vor allem aus dem Bildungsbürgertum. Mit Gründung der ungarischsprachigen Klausenburger Universität 1872 setzte eine starke wissenschaftliche Professionalisierung und Diversifizierung der Museumsgesellschaft ein, welche in dieser Hinsicht den Landeskundeverein deutlich hinter sich ließ, auch wenn dieser international über eine weiter reichende Vernetzung verfügte. Hatte letzterer zuvor noch aus Wien Fördermittel erhalten, war er während des Dualismus auf Zuwendungen aus der Zivilgesellschaft angewiesen. Gegenüber den Magyarisierungstendenzen des ungarischen Staates bezog der Verein eine eindeutige Stellung.
Die an der Geschichte der Siebenbürger Rumänen und ihrer Integration in den landeskundlichen akademischen Diskurs interessierten Leser werden zweifellos die Entscheidung der Autorin bedauern, die ASTRA (Asociaţia Transilvană pentru Literatura Română şi Cultura Poporului Român; dt.: Siebenbürgischer Verein für die rumänische Literatur und die Kultur des rumänischen Volkes), die führende rumänische kulturelle Institution im habsburgischen Siebenbürgen, nicht als dritten Untersuchungsgegenstand in die Studie miteinzubeziehen. Török begründet diesen Verzicht einerseits mit dem Fehlen eines äquivalenten rumänischsprachigen Begriffes für Landeskunde, andererseits mit dem höheren Stellenwert der „Nation“ bei den Vertretern der ASTRA gegenüber dem territorial fokussierten „Vaterland“ im Landeskundediskurs der Siebenbürger Sachsen und Ungarn. Während diese Perspektivierung durchaus geteilt werden kann, so ist sie wohl nicht uneingeschränkt gültig für etliche der wichtigeren Publikationen der ASTRA-Aktivisten. Das Konzept der Landeskunde war auch für die Siebenbürger Rumänen, die sich in einer (kultur‑)politischen Konkurrenzsituation zu den anderen Ethnien der Region befanden, ein nachahmenswertes wissenschaftliches Modell. Zur Diskussion regt überdies die Hypothese der Autorin an, dass in Siebenbürgen als einer Peripherieregion das im 18. Jahrhundert formierte intellektuelle Selbstverständnis einer „Gelehrtenrepublik“ in Ansätzen überdauert habe. Die ethnonationale wie auch die disziplinäre Fragmentierung der Forschung war spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts zweifellos so weit ausgeprägt, dass von einer integrativen Verbindung und Verflechtung des gesamten Wissenschaftsbetriebes nicht mehr die Rede sein konnte. Ein Symptom dieser Diversifizierung ist nicht zuletzt die Gründung der beiden untersuchten Institutionen, die kaum personelle Überschneidungen aufwiesen.
Die kenntnisreiche, ausgewogene und gut lesbare Darstellung bietet eine solide Wissensbasis für die Beschäftigung mit akademischen siebenbürgischen Kreisen des 19. Jahrhunderts. Im breiteren gesellschaftlichen Kontext skizziert die Institutionengeschichte eine Wissenstopographie der Eliten in der Region und ermöglicht somit ein eingehenderes Verständnis der Hintergründe kulturpolitischer Initiativen in diesem Zeitraum. Ein offensichtliches Verdienst der Autorin ist dabei nicht zuletzt die Verwendung der englischen Sprache, womit diese wichtige Publikation einem internationalen Publikum verfügbar gemacht wird.
Zitierweise: Albert Weber über: Borbála Zsuzsanna Török: Exploring Transylvania. Geographies of Knowledge and Entangled Histories in a Multiethnic Province, 1790–1918. Leiden: Brill, 2015. XIV, 286 S., 14 Abb., 7 Tab. = European History and Culture E-Books Online, Collection 2016-II, 10; National Cultivation of Culture, 10. ISBN: 978-90-04-30305-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Weber_Toeroek_Exploring_Transylvania.html (Datum des Seitenbesuchs)
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