Marina Dmitrieva Italien in Sarmatien. Studien zum Kulturtransfer im östlichen Europa in der Zeit der Renaissance. Franz Steiner Verlag Stutt­gart 2008. 328 S., Abb. = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 32. ISBN: 978-3-515-08924-1.

Wo liegt Sarmatien? Die Erforschung der Kunst- und Kultur in „Ostmitteleuropa“ bildet immer noch ein Desiderat in der deutschsprachigen Wissenschaft. Umso erfreuter blickt man auf die im vergangenen Jahr beim Franz Steiner Verlag in Stuttgart erschienene Publikation von Marina Dmitrieva. Als langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig ist sie mit diesem Gebiet bestens vertraut.

Bereits in der Einleitung führt sie eine durchaus kompetente Diskussion über die Kunst­geographie als traditionelle Forschungsmethode für „Ostmitteleuropa“, die allerdings wegen ihrer Indienstnahme durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts ins Zwielicht geraten ist. Hier lässt sich die Autorin leider auf eine ideologisch gespeiste Debatte über territoriale Grenzsetzung des Forschungsgebietes ein, die zwischen den Begriffen „Ostmitteleuropa“ und „Mittel- und Osteuropa“ streitet und längst hätte beigelegt werden müssen. Stattdessen hätte der Titelbegriff „Sarmatien“ erläutert werden können, der sowohl geographisch als auch kulturhistorisch konnotiert ist und für die Ergebnisse der Publikation von wesentlicher Bedeutung wäre. Ohne diese Erläuterung, weiß der Leser bis zum Schluss nicht, wie die behandelte Region nun zu fassen ist. Die Autorin plädiert schlussendlich für die Konzentration auf den Kulturtransfer (Middell) als eine geeignete methodische Vorgehensweise. Doch an dieser Stelle muss bemerkt werden, dass der kulturhistorische und gesellschaftspolitische Kontext der Kunstproduktion, der Mobilität der Kunstgüter, ihrer Erzeuger und Auftraggeber bereits seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ob in der Ikonologie, Ikonographie oder später der sozialhistorischen Kunstgeschichte erörtert wird; die Anwendung der Kulturwissenschaft benötigt heute also keinerlei Rechtfertigung.

Das Buch wirkt etwas heterogen. Die Ausführungen schwanken zwischen reiner Berichterstattung über den Forschungsstand – das trifft insbesondere auf das zweite Kapitel zu, in dem Marina Dmitrieva über die Bewegungs- und Etablierungsprozesse der italienischen Künstler in der behandelten Region (welche auch immer das sein soll), berichtet, – bis zu (bedauerlicherweise zu wenigen) immer wieder spannenden Eigenüberlegungen der Autorin wie im Kapitel über Sabbioneta als ideale Stadt.

Eine konkrete Annäherung an die künstlerischen Erzeugnisse der Italiener findet erst im dritten Kapitel statt. Das Konzept der Idealstadt, erläutert am Vergleich der Beispiele Zamość und Sabbioneta, die Trionfi in Prag und Krakau, die Sgraffito-Technik an Bürgerhäusern und Palästen, die Patronage von Erzherzog Ferdinand II. – all diese Kunstformen bzw. die Kunstförderung dienen der herrschaftlichen Repräsentation. Nicht selten sind sie die Frucht eines politischen Kalküls, zumal es vor allem die höfischen und adeligen Kreise waren, die die Italiener – mit Vorliebe die Architekten – beriefen. Diese wiederum kamen mit ganzen Familienverbänden an und sicherten sich oft ein im Vergleich zu den regionalen Künstlern (Handwerkern) privilegiertes Leben, so Dmitrieva. Allerdings erfuhr der Leser schon im ersten Kapitel nicht, warum z. B. die Italiener in Böhmen öfter als in Polen-Litauen mit dem Adelstitel ausgezeichnet wurden.

Die ephemere Kunst des Festwesens, die unterschiedliche Medien (Architektur, Malerei, Skulptur, Theater, Gesang etc.) versammelt, erfreut sich bei den Forschern in den letzten Jahren großer Beliebtheit, was sicherlich an der immer noch wachsenden Interdisziplinarität der Kunstwissenschaft liegt. Sowohl Trionfi als auch Sgraffito-Technik zur Ausstattung der Häuserfassaden werden bei Marina Dmitrieva als Repräsentationskunst auf ihren kommunikativen Wert hin gedeutet. Bei der Frage nach dem Rezipienten betont die Autorin, diese Kunst habe nicht die Aufgabe zu erstaunen, sondern den Betrachter unmittelbar anzusprechen. Doch wer waren die Empfänger der komplizierten künstlerischen Repräsentationsprogramme? Sicherlich nicht das sogenannte gemeine Volk – jenes sollte durchaus ins Staunen versetzt werden, vor allem über die Hochherrlichkeit der Regenten.

Während Trionfi und teilweise auch die Sgraffiti die Herrscher in ihrer Gegenwart feierten, widmete man ihrer Memoria die Grabmalkunst, die in Polen-Litauen nach dem aus Italien importierten Muster einer überkuppelten Kapelle große Popularität gewann. Vorbildhaft wurde die Sigismund-Kapelle im Krakauer Waweldom, die von dem Florentiner Bartolomeo Berecci und seiner Werkstatt angefertigt wurde und bislang als Exempel rein florentinischer Renaissance im Norden galt, wobei gerade dieser Umstand nun von Dmitrieva angezweifelt wird. Die Kunsthistoriker haben sich jedoch schon lange von der Überzeugung verabschiedet, es gebe ein Modell-Italien, das in seiner reinen Form außerhalb Italiens eingepflanzt wurde und fern jeglicher regionaler Rezeption weiterlebte.

Krakau erhält im letzten Kapitel, in dem eine Diskussion über Kunstzentren geführt wird, dieses Prädikat zugeschlagen, im Gegensatz zu Ofen, einer Stadt, in der die italienischen Künstler zwar früher als in Krakau tätig waren, die sich jedoch nicht nachhaltig als Residenzstadt mit ausgeprägtem System der Kunst- und Kulturförderung – wesentlichen Merkmalen eines Kunstzentrums nach dem italienischen Vorbild – etablierte. Prag wird in diesem Kapitel weder diskutiert noch als Vergleich herangezogen.

Die sogenannte Lubliner Renaissance wird schließlich etwas unverhofft am Schluss als eine Form explizit regionaler Interpretation der italienischen Renaissance vorgestellt. Dass in Lublin sehr früh humanistische Zirkel tätig waren, kommt leider genauso wenig zur Sprache wie der Humanismus im Buch insgesamt. Dabei waren es gerade die Humanisten, die als „Agenten“ in ganz Europa das geistige Gut Italiens verbreiteten. Man hätte sich deshalb gewünscht, dass „Der polnische Hofkavalier“, in dem Łukasz Górnicki anhand einer Paraphrase des „Cortegiano“ von Baltassare Castiglione – wie Marina Dmitrieva selbst konstatiert – „die Besonderheiten der Italienrezeption in Ostmitteleuropa“ (S. 207) anspricht, seinen Platz am Anfang des Buches gefunden hätte. So wäre es möglich gewesen, stärker anhand literarischen Quellenmaterials zu erforschen, wie und auf welchen Wegen der Kulturtransfer aus Italien im gesamten Europa stattgefunden hat. Marina Dmitrievas Buch bindet die Region „Ostmitteleuropa“ sinnvoll an die Konstanten und Variablen der Aktivitäten der italienischen Künstler im Europa des 16. Jahrhunderts. Trotz seiner Defizite bildet es eine durchaus beachtenswerte Grundlage für weitere Untersuchungen.

Isabella Woldt, Hamburg

Zitierweise: Isabella Woldt über: Marina Dmitrieva: Italien in Sarmatien. Studien zum Kulturtransfer im östlichen Europa in der Zeit der Renaissance. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2008.ISBN: 978-3-515-08924-1, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 281: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Woldt_Dmitrieva_Italien_in_Sarmatien.html (Datum des Seitenbesuchs)