Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 2, S. 336-338

Verfasst von: Wim van Meurs

 

Christian Axboe Nielsen: Making Yugoslavs. Identity in King Aleksandars Yugoslavia. Toronto [etc.]: University of Toronto Press, 2014. XI, 388 S., 5 Tab., 2 Graph., 1 Abb., 1 Kte. ISBN: 978-1-4426-2750-5.

Auch ein Jahrzehnt nach dem Ende des Bosnienkriegs reißt die Flut an Literatur über die jugoslawischen Nachfolgekriege nicht ab. Während die Titozeit dagegen kaum neue Forschung anzuregen scheint, ist auch das erste Jugoslawien der Zwischenkriegszeit ein beliebtes Thema für neue historische Studien. Üblicherweise konzentriert sich diese Forschung in den Nachfolgestaaten und im angelsächsischen Raum. Der Autor von Making Yugoslavs ist aber an der Universität von Århus in Dänemark beheimatet. Die Tatsache, dass Christian Axboe Nielsen für diese Monographie Archive in nahezu allen Nachfolgestaaten besucht hat, macht seine Arbeit über die Identitätspolitik der Königsdiktatur von Aleksandar I. (1929–1934) beispielhaft. Die Distanz zwischen Århus und Belgrad macht sich vielleicht dadurch bemerkbar, dass der Autor Diktatur und Nationsbildung von oben genauso offen und ohne moralische Wertung betrachtet wie diese oder jene Nationalbewegung.

Ähnlich wie Mark Biondich oder Dejan Djokic interessiert sich Nielsen weniger für die diskursiven und doktrinären Feinheiten der nationalen Ideologien der Vorkriegszeit als für die Umsetzung eines ambitionierten Nationsbildungsprogramms durch den König und den jugoslawischen Staat insbesondere ab 1929. Der König kehrte sich entschieden gegen Parlamentarismus sowie gegen „Tribalismus“ (d.h. nationalen, aber auch religiösen Partikularismus). Auffällig ist dabei, dass der Autor im historisch-einleitenden zweiten Kapitel über die zwanziger Jahre betont, dass diese Integrationspolitik und damit der jugoslawische Staat von Anfang an zum Scheitern verurteilt waren. Die skizzierte Entwicklung begann aus seiner Sicht mit der „flawed Vidovdan Constitution“ (S. 41), und das Scheitern von Aleksandars jugoslawischer Ideologie war „in many ways overdetermined“ (S. 247). Und bei diesem Versagen steht für Nielsen das Nationale im Mittelpunkt. Die Schwächen der parlamentarischen Demokratie und der latente Autoritarismus der Monarchie waren jedoch keine jugoslawischen Eigenheiten, sondern galten für ganz Ost- und Südosteuropa, auch in Staaten ohne derartige Nationalitätenprobleme. Am Ende dieses Kapitels und in den Schlussfolgerungen des Buches spricht der Autor dieses europäische Gesamtbild der Zwischenkriegszeit an und konterkariert die nationale Leseart, indem er betont, dass die kroatische Frage eine gewichtige soziale und eine regionale Dimension kannte.

Zu den Vorzügen der Studie gehören nicht nur die Breite der besuchten Archive im ehemaligen Jugoslawien und die zahlreichen zeitgenössischen Zeitungen, die mit einschlägigen Berichten und Interviews zitiert werden. Anders als viele angelsächsischen Historiker rezipiert Nielsen auch die Schlüsselautoren der einschlägigen deutschsprachigen Fachliteratur wie Holm Sundhaussen und Aleksandar Jakir. Kehrseite dieses Reichtums an Quellen und Literatur ist ein Buch mit 250 Seiten Haupttext und 100 Seiten Endnoten und Bibliographie. An diesen Punkten überwiegen die Vorteile aber deutlich und sind die Entscheidungen des Autors nachvollziehbar. Fraglicher ist meines Erachtens die Strukturierung des Buches – eine rein chronologische Ordnung, nicht nur auf der Ebene der (sechs) Kapitel, sondern auch innerhalb jedes Kapitels. Die Folge ist, dass Einzelereignisse, Zeitungsberichte oder politische Vorgänge scheinbar den Lauf der Argumentation bestimmen. Eine Rechtfertigung oder einen Leitfaden für diesen Aufbau sucht der Leser vergeblich. Größere Themen werden an einem nicht immer nachvollziehbaren Punkt der Erzählung aufgegriffen und erörtert, wie zum Beispiel die wichtige Sokol-Bewegung (S. 113 ff. und nochmals bei den ersten Erfolgen S. 147 ff.) oder die Belgrader Versuche, das Erbe von Stjepan Radić mittels der Gründung einer jugoslawischen Bauernbewegung an sich zu reißen. Manche Paragraphen sind eher anekdotisch-illustrativ zu verstehen oder übersteigen die chronologische Ordnung, zum Beispiel ein an sich hochinteressanter Abschnitt über Metaphern im politische Diskurs. Kapitel 5 entzieht sich mit dem Titel Policing Yugoslavism: Surveillance, Denunciations, and Ideology in Daily Life wiederum dieser Zeitschiene. Eine Alternative wäre, zumindest für die Schlüsselkapitel, eine thematische Ordnung gewesen, entweder innerhalb eines jeden Kapitels oder für die gesamte Periode von 1929 bis 1934/35. Die Gliederung der sechs Kapitel in vier Teile mit ein oder zwei Kapiteln wirkt genauso unüberlegt wie die Überschrift von Teil 4: The Assassination of Aleksandar and the Strange Afterlife of His Dictatorship. Das einzige dazugehörende Kapitel beginnt nämlich 1931 mit der neuen Verfassung und der Gründung einer Staatspartei als Pseudodemokratie, während der Mord sich bekanntlich erst im Oktober 1934 im Hafen von Marseille ereignete. Somit befindet sich über die Hälfte der untersuchten Periode (1929–1935) in einem einzigen Kapitel, das auf den Königsmord zusteuert. Diese kompositorischen Fragen sind den reichhaltigen und aufschlussreichen Forschungsergebnissen abträglich. Insbesondere denjenigen, die noch nicht gut in die Geschichte und Literatur zum Jugoslawien der Zwischenkriegszeit eingeführt sind, erschließt sich Nielsens Studie nicht. Die berechtigte Feststellung im Vorwort (S. IX), dass zur Herrschaft von Aleksandar I. relativ wenig geschrieben wurde, wird im Weiteren nicht durch einen Dialog mit der Historiographie vertieft. Dem Leser bleibt somit unklar, ob der Autor neue Interpretationen vorschlägt oder nur eine zeitliche Lücke in der Literatur schließen möchte.

Nielsens Studie ist keine politische Biographie im engeren Sinne allein schon deshalb, weil Aleksandars Herrschaft ab 1921 bis zur Proklamation der Königsdiktatur nur kursorisch besprochen wird und umgekehrt das erste Jahr nach seiner Ermordung auch Teil der Darstellung ist. Er identifiziert zwar Berater des Monarchen, betont aber dessen Eigenwilligkeit und eigene Überzeugungen. Entschieden zu kurz kommt in der Darstellung die Frage, wie sich die Nationsbildungspolitik dieser Phase von der davor und der danach unterschied. Während die Gründe für die Proklamation der Königsdiktatur vom 6. Januar im gesamteuropäischen Zeitbild und in ihren jugoslawischen Spezifika ausführlich erforscht und dargestellt sind, bleibt die Frage nach Bruch und Kontinuität ab 1934/35 unbeantwortet. Die Zäsur von 1929 wird auf der letzten Seite expliziert: „The level of state coercion, and the synergies between that coercion and official state ideology during King Aleksandar’s dictatorship eclipsed anything previously seen in southeastern Europe.“ (S. 251) Die Schlussfolgerungen beziehen das Scheitern des ambitionierten Zentralisierungs- und Nationsbildungsprogramms des Monarchen auf die Titozeit und den Zerfall des zweiten Jugoslawiens, aber nicht auf die Jahre zwischen Königsmord und dem deutsche Einmarsch im April 1941. Zu dieser Phase gibt es lediglich den aufschlussreichen Satz: „Finally, even those – Serbs and ono-Serbs – who truly embraced integral Yugoslavism turned to increasingly aggressive and exclusivist ideologies after the death of Aleksandar.“ (S. 251) Hätte der Autor diese beiden übergeordneten Thesen an den Anfang gestellt, würde sich das Buch besser in die Forschungslandschaft integrieren und seine Erkenntnisse leichter dem Leser preisgeben.

Wim van Meurs, Nijmegen/Kleve

Zitierweise: Wim van Meurs über: Christian Axboe Nielsen: Making Yugoslavs. Identity in King Aleksandar’s Yugoslavia. Toronto [etc.]: University of Toronto Press, 2014. XI, 388 S., 5 Tab., 2 Graph., 1 Abb., 1 Kte. ISBN: 978-1-4426-2750-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/van_Meurs_Nielsen_Making_Yugoslavs.html (Datum des Seitenbesuchs)

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