Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jan C. Behrends

 

Archie Brown: The Rise and Fall of Communism. London: Vintage Books, 2010. XV, 720 S., 40 Abb., 1 Kte. ISBN: 978-1-845-95067-5.

Der britische Experte für russische Politik und Geschichte und langjährige Vertreter der Russland-Studien in Oxford, Archie Brown, hat eine lesenswerte und aufschlussreiche Darstellung der Geschichte des Kommunismus vorgelegt. Der Verfasser beginnt mit dem Auftauchen dieses „Gespenstes“ auf der europäischen Bühne mit dem kommunistischen Manifest von 1848 und führt seine Erzählung bis zu einer Analyse des zeitgenössischen China. Dies ist nicht nur eine breite Perspektive, sondern auch ein großer Wurf, der mehr als eine umfangreiche und klug strukturierte Erzählung ist: Es handelt sich auch um die Definition eines Idealtypus kommunistischer Herrschaft, der nach Browns Ansicht zwar lokal variierte, aber dennoch als eigene Herrschaftsform des 20. Jahrhunderts zu identifizieren sei. Außerdem verfolgt der Verfasser die Geschichte der internationalen kommunistischen Bewegung und betont deren enge Bindungen an die Sowjetunion. Schließlich versucht Brown zu erklären, worauf die Stabilität kommunistischer Herrschaft beruhte und warum die Regime am Ende des 20. Jahrhundert in Europa zusammenbrachen. Insgesamt konzentriert er sich auf die Geschichte politischer Prozesse und gesellschaftlicher Entwicklungen; die Sozial- und Kulturgeschichte des Kommunismus streift er nur en passant.

Die Darstellung gliedert sich in fünf Teile: eingangs beschreibt der Verfasser die Genese der kommunistischen Bewegung, die Übernahme der Macht durch die Bolschewiki in der russischen Revolution und den Aufbau des Sozialismus in der Sowjet­union. Zum Abschluss dieses ersten Teils stellt er im sechsten Kapitel die Frage, was eigentlich ein kommunistisches System sei. Brown ist überzeugt, dass es trotz historischer und kultureller Differenzen eine spezifische politisch-ökonomische Ordnung gibt, die sich als kommunistisch beschreiben lässt. Politisch definiert er sie durch das Machtmonopol der kommunistischen Partei und den „demokratischen Zentralismus“ im Parteistaat. Als drittes Charakteristikum isoliert er die nicht-kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und als viertes eine vertikal organisierte Planwirtschaft. Als fünftes Merkmal nennt er das utopische Endziel einer kommunistischen Gesellschaft, das die Herrschaft einer Staatspartei legitimierte, ein Ziel, das den Kommunismus von anderen autoritären oder totalitären Regimen unterschied. Obwohl die kommunistische Zukunft in der alltäglichen Politik keine nennenswerte Rolle spielte, bildete diese utopische Vorstellung doch das Rückgrat politischer Legitimität für ein System, dessen Mängel unübersehbar waren. Schließlich nennt Brown als letztes Merkmal kommunistischer Systeme die Vorstellung, dass eine kommunistische Internationale existiert, der sich das Regime verpflichtet fühlt. Genuin kommunistische Staaten waren deshalb nach seiner Lesart nur das sowjetische Russland, die Mongolei, Polen, Ungarn, Rumänien, die DDR, die Tschechoslowakei, Albanien, Jugoslawien, Bulgarien, China, Vietnam, Kambodscha, Laos und Kuba.

Im zweiten Teil der Studie beschreibt der Verfasser den Aufstieg und die Expansion des Kommunismus im Zweiten Weltkrieg. Er beschreibt die Gründe für die Attraktivität der kommunistischen Ideologie während der europäischen Krise der 1930er Jahre und benennt die politischen Schwächen dieser Bewegung, insbesondere ihre Abhängigkeit von der sowjetischen Außenpolitik mit deren unberechenbaren Volten. Brown liefert eine umfassende Darstellung der Expansion des kommunistischen Machtbereichs in Osteuropa und Asien, die sich vornehmlich auf angelsächsische Literatur stützt. Auch wenn er Kennern der osteuropäischen Geschichte hier kaum Neues zu bieten hat, überzeugt seine detailreiche Schilderung. Der dritte Teil des Buches beschäftigt sich schließlich – wiederum in globaler Perspektive – mit den Folgen der Entstalinisierung. Der Verfasser bespricht die Folgen des 20. Parteitags der KPdSU, die Entwicklung der Regime in Europa und Asien und widmet ein lesenswertes Kapitel dem karibischen Kommunismus auf Kuba. Die Darstellung der „Stagnation“ sowjetischer Politik unter Leonid I. Brežnev fügt sich bereits in die Deutung von Aufstieg und Fall kommunistischer Herrschaft ein.

Der vierte und der abschließende fünfte Teil der Darstellung sind dem Niedergang und der Desintegration der kommunistischen Regime gewidmet. Zunächst umreißt Brown die internen und auch die äußeren Herausforderungen, vor denen die Regime seit den 1970er Jahren standen und schildert, wie sich die chinesische Führung nach dem Tod Maos entschloss, ihre Herrschaft durch wirtschaftliche Reformen abzusichern. Im Schlusskapitel, das den Zusammenbruch kommunistischer Herrschaft in Europa analysiert und nach ihren Gründen fragt, befindet sich der Verfasser in vertrautem Gelände – er ist schließlich in den vergangenen Jahren besonders durch seine Werke zur Perestroika und zur Person Michail Gorbačevs hervorgetreten. Hier bespricht er die verschiedenen Faktoren, die zur Krise der Regime und zur Desintegration des sowjetischen Imperiums beitrugen. Dabei verliert er jedoch nicht aus den Augen, dass es nicht nur das Ende, sondern auch Jahrzehnte der Stabilität kommunistischer Staatlichkeit zu erklären gilt. So vertritt er dezidiert die These, dass die Machtapparate der Parteistaaten sich als stabile Repressionsmaschinen erwiesen. So lang die Parteieliten sowie der Geheimdienst und die Armee loyal blieben, saßen die Herrschenden fest im Sattel. Für den Zusammenbruch des Kommunismus macht er ein Bündel von Faktoren verantwortlich: die ökonomischen Probleme ebenso wie den Nationalismus, die schleichende Desintegration der Staatsparteien, die zunehmende Ausdifferenzierung der Gesellschaften, die internationale Lage und nicht zuletzt das Handeln der Verantwortlichen in der Sowjetunion Gorbačevs. Diese multikausale Betrachtung hat zahlreiche Vorteile; es ist jedoch bedauerlich, dass es der Verfasser vorzieht, die einzelnen Faktoren nicht zu gewichten.

Kritisch bleibt anzumerken, dass die Darstellung dort besonders aufschlussreich ist, wo der Verfasser als ausgewiesener Experte schreibt. Dies gilt insbesondere für die Spätphase der Sowjetunion. Enttäuschender fällt dagegen die Darstellung des Stalinismus aus, dessen langfristige Folgen für die sowjetische Gesellschaft vom Autor kaum diskutiert werden. Insgesamt sticht hervor, dass es sich zwar um eine voluminöse, aber dennoch um eine zugängliche, ausgewogene und in weiten Phasen durchaus unterhaltsame Darstellung handelt. Das ist angesichts der Größe des Gegenstandes eine beachtliche Leistung.

Jan C. Behrends, Potsdam

Zitierweise: Jan C. Behrends über: Archie Brown: The Rise and Fall of Communism. London: Vintage Books, 2010. XV, 720 S., 40 Abb., 1 Kte. ISBN: 978-1-845-95067-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Behrends_Brown_Rise_and_Fall.html (Datum des Seitenbesuchs)

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