Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 1 (2011), 3 Rezensionen online

Verfasst von: Lilya Berezhnaya

 

Cyrille Korolevskij: Le Prophète ukrainien de l’unité. Metropolite André Szeptyckyj, 1865–1944. Prés. par Patrick de Laubier, préface par cardinal Tisserant. Paris: Éditions François-Xavier De Guibert, 2006. XXXII, 429 S. ISBN: 978-2-86839-996-0.

Hier handelt es sich wieder einmal um die Biographie eines jener Hierarchen, deren Leben und Werk eng mit der politischen Geschichte ihrer Zeit verbunden sind, weshalb jede dieser Biographien zu einer Fortsetzung politischer Debatten mit Blick auf die gegenwärtige Situation in der Ukraine und die Frage der nationalen Identität gerät. Andrej Šeptyc’kyj (1865–1944), Metropolit der griechisch-katholischen Kirche, war nicht nur Haupt einer der führenden christlichen Konfessionen in der Zwischenkriegszeit, sondern auch ein Mäzen, ein Reformer des mönchischen Lebens und ein flammender Prediger. Als Spross eines katholischen aristokratischen Geschlechts wurde er nach seiner Konversion zum aktiven Verfechter einer Unionsbewegung in Russland, ferner zum Gründer der Lemberger griechisch-katholischen Akademie (1928), des ukrainischen katholischen Instituts (1939) und des Ukrainischen Nationalmuseums mit einer der reichsten Ikonensammlungen Europas. Am wichtigsten allerdings ist, dass seine Gestalt bis auf den heutigen Tag ein Symbol der ukrainischen Nationalbewegung ist. Die Nähe des Metropoliten zu nationalistischen Kreisen einerseits und seine heroischen Bemühungen zur Rettung der Lemberger Juden, welche die Lemberger jüdische Gemeinde dazu veranlasste, ihm im Jahr 2008 den Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ zu verleihen, andererseits – sie sind Facetten seines Lebenswegs, die dazu geeignet sind, seine Biographen auf unterschiedliche Seiten der politischen Barrikaden zu verteilen. (Einen aktuellen bibliographischen Überblick bietet Bohdan Bu­du­rowycz The Greek Catholic Church in Galicia, 1914–1944, in: Harvard Ukrainian Studies 36 [2007]: Ukrainian Church History. Essays in Memory of Bohdan Ros­ty­slav Bociurkiw, hier S. 295–296). Umso wertvoller erscheint da zunächst die Veröffentlichung einer Biographie des Metropoliten aus der Feder seines Freundes Kyrill Korolevskij (1878–1959).

Der Autor (mit eigentlichem Namen Jean François Joseph Charon) war ein Priester der melkitischen Kirche, Autor zahlreicher Arbeiten über die Aussichten der Union zwischen den westlichen und den östlichen Kirchen, Liturgiewissenschaftler und Berater der römischen Kurie in Fragen der östlichen Kirchen. Die erste französische Ausgabe seines Buches über Šeptyc’kyj erschien bereits 1964, eine englische Übersetzung entstand 1993. Die hier vorliegende Ausgabe wurde ergänzt durch eine Einführung von Patrick de Laubier, in der die Notwendigkeit eines Neuüberdenkens von Šeptyc’kyjs Beitrag zur ökumenischen Bewegung im Kontext der ukrainischen Unabhängigkeit nach 1991 betont wird.

Diese Neuausgabe der gleichsam klassischen Schrift von Korolevskij hat natürlich nicht nur einen politischen Kontext. Sie stellt zugleich den Versuch dar, einem westlichen Leser die Geschichte der wechselseitigen Beziehungen der katholischen Kirche mit den Konfessionen des östlichen Ritus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorzustellen. Gekennzeichnet ist diese Periode durch eine Wiederaufnahme des interkonfessionellen Dialogs. Nicht zufällig wurden vor diesem Hintergrund vor kurzem in Frankreich die vier Bände der Autobiographie Korolevskijs selbst publiziert: Cyrille Korolev­skij Kniga bytija moego (Le livre de ma vie). Mémoires autobiographiques. Texte établi, édité et annoté par Giuseppe M. Croce, avant-propos du cardinal J.-L. Tauran, préface de É. Fouilloux. Città del Vaticano 2007 (= Collectanea Archivi Vaticani (CAV), 45).

Das vorliegende Buch über Šeptyc’kyj besteht aus insgesamt 12 Abschnitten. Das erste und letzte Kapitel, über die Jugendjahre des Metropoliten sowie über die Zeit des Zweiten Weltkriegs und das Lebensende Šeptyc’kyjs, sind die kürzesten. Zugleich enthalten sie die persönlichsten‘ Seiten, zeigen Šeptyc’kyj als Sohn, Bruder, Freund und als Menschen, der an langwierigen Krankheiten leidet. Die verbleibenden 10 Kapitel bieten demgegenüber detaillierte Erinnerungen an die Repressalien gegenüber der Russisch-Orthodoxen Kirche in den Zeiten des Kommunismus und an die Politik der sogenannten pacyfikacja gegenüber der Griechisch-Katholischen Kirche im Zwischenkriegspolen. Die Memoiren Korolevskijs bieten ferner zahlreiche Zeugnisse über die Politik der römischen Kurie im christlichen Osten, über die Missionen der römisch-katholischen Kirche im zarischen Russland (Kap. 7) sowie über die ukrainische Emigration in Kanada, den USA und in Lateinamerika (Kap. 5).

Die stürmischen Ereignisse der Epoche ließen Korolevskij natürlich nicht gleichgültig. Daher ist sein Buch über ˇSeptyc’kyj zugleich auch ein Buch über Korolevskij selbst mit ausführlichen Erörterungen über den Totalitarismus, über die Verbindung zwischen Religion und Nationalismus sowie über die Position des Christen in der Zeit von Kirchenverfolgungen und sozialen Unruhen. Bemerkenswert ist, dass Korolevskij sowohl die Repressalien der polnischen Machthaber gegenüber den Griechisch-Katholischen in der Zwischenkriegszeit, die im Zeichen einer Verteidigung des Katholizismus stattfanden, als auch die Versuche einer ‚Latinisierung‘ der Griechisch-Katholischen Kirche, mit denen Šeptyc’kyj kämpfte, thematisiert. In den Textabschnitten, in denen er die Bedrängungen des griechisch-katholischen Klerus und der Laien unter dem Regime Piłsudskis beschreibt, verweist er auf den Versailler Vertrag, in dem sich Polen eigentlich verpflichtet hatte, die Rechte religiöser Minderheiten zu achten. Für Korolevskij sind die Verletzungen dieses Vertrages durch Polen ebenso wie der Katholizismus in den Farben des polnischen Chauvinismus insgesamt nicht nur moralisch kritikwürdige politische Handlungen und Haltungen, sondern Zeichen des Abfalls vom Glauben (S. 185–186). Diese Sichtweise, die politisches Handeln als Ausdruck des richtigen bzw. fehlenden Glau­bens bewertet, hält Korolevskij freilich in Bezug auf Šeptyc’kyjs nicht konsequent durch. So fällt Korolevskij das Eingeständnis sichtlich schwer, dass sein Freund mit der emphatischen Begrüßung der deutschen Besatzung im Jahr 1941 einer „Illusion“ anheim fiel (S. 375). Darüber, dass Šeptyc’kyj auch über der SS-Division „Galizien“ den Segen sprach, verliert er überhaupt kein Wort.

Korolevskij tritt das ganze Buch hindurch als Parteigänger der Idee einer Kirchenunion und einer unabhängigen Ukraine auf. Die Russisch-Orthodoxe Kirche ist für ihn oft nur „schismatisch“ (S. 25), und die Kluft zwischen Russen und Ukrainern erscheint ihm, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, unüberwindlich (S. 381). Šeptyc’kyj nennt Korolevskij zwar nicht ausdrücklich einen Heiligen, aber er zählt offen auf dessen Gebetsbeistand bei der Wiederherstellung der zum Zeitpunkt der Abfassung des Buches unterdrückten Griechisch-Katholischen Kirche. Jahrzehnte später sind viele dieser Träume realisiert, und für viele in der gegenwärtigen Ukraine erhielt die Figur Šeptyc’kyjs die Aureole eines Heiligen und Nationalhelden (wie etwa im Film „Vladyka Andrej“ des Regisseurs O. Jančuk aus dem Jahr 2008). Die Neuausgabe des klassischen Werks von Korolevskij, eines Zeitzeugen, erlaubt es auch dem westlichen Leser, dem Lebensweg dieses osteuropäischen Kirchenführers größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Liliya Berezhnaya, Münster

Zitierweise: Lilya Berezhnaya über: Cyrille Korolevskij Le Prophète ukrainien de l’unité. Metropolite André Szeptyckyj, 1865–1944. Prés. par Patrick de Laubier, préface par cardinal Tisserant. Éditions Francois-Xavier De Guibert Paris 2006. XXXII. ISBN: 978-2-86839-996-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Berezhnaya_Korolevskij_Le_prophete_ukrainien.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2011 by Osteuropa-Institut Regensburg and Lilya Berezhnaya. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de