Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2011, 1

Verfasst von: Dittmar Dahlmann

 

Aleksej Ivanovič Butakov Tagebuch der Aralsee-Expedition 1848/49. Mit einem Dokumentenanhang. Übersetzt und herausgegeben von Max-Rainer Uhlig. Zell: Edition Buran, 2008. 138 S., 6 Abb., 5 Ktn. ISBN: 978-3-00-025187-0.

Der russische Kapitän Butakov gehört zu den vergessenen Gestalten der Geographie- und Expeditionsgeschichte. Zu seinen Lebzeiten sind gerade einmal je zwei seiner Publikationen in russischen, englischen und deutschen Journalen erschienen; ein weiterer Aufsatz wurde posthum veröffentlicht. Butakov erforschte um die Mitte des 19. Jahrhunderts den Aralsee und verfasste in dieser Zeit ein Tagebuch, dessen russisches Original erst 1953 in Taškent publiziert wurde. Diese Fassung ist in deutschen Bibliotheken, vertrauen wir dem KVK (Karlsruher Virtuellen Katalog) und dem Herausgeber des Bandes, nicht nachzuweisen.

Butakovs Tagebuch, dies vorweg, ist kein Höhepunkt der Dokumentation einer Expedition. Es ist weder besonders umfangreich noch sehr aufregend. Im wesentlichen zeichnete der damalige Leutnant der Kaiserlich Russischen Marine seine Beobachtungen auf, um sie, so steht zu vermuten, für spätere Publikationen zu verwenden, deren Zahl dann, wie schon mitgeteilt, sehr gering war. Nach seiner Erforschung des Aralsees verbrachte Butakov noch mehrere Jahre dort, wurde 1864 nach St. Petersburg versetzt, tat dort weitere vier Jahre, inzwischen zum Konteradmiral befördert, Dienst in der Ostseeflotte, erkrankte an einem Leberleiden und suchte Heilung in Bad Schwalbach im Taunus, wo er 1869, 54-jährig, verstarb. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde er in den Rat der Kaiserlich Russischen Geographischen Gesellschaft aufgenommen, deren Mitglied er seit 1849 war.

Letzteres steht schon nicht mehr in der sehr knappen Einleitung des Herausgebers, in der jeder Nachweis fehlt und die wahrscheinlich auf der Einführung des russischen Originals von 1953 beruht. Hingewiesen wird immerhin darauf, dass Butakov aus einer Familie von Seeoffizieren – der Vater war Vizeadmiral und vier Brüder fuhren ebenfalls zur See – stammte, das Marinekadettenkorps in St. Petersburg besuchte und als junger Seeoffizier bis nach Kamčatka segelte, also fast die Welt umfahren hatte. Man hätte sich mehr Informationen gewünscht; so etwa die, dass einer der Brüder, Grigorij, es bis zum Admiral brachte, immerhin als einer der wichtigen Reformer der russischen Flotte nach der Niederlage im Krimkrieg gilt und das Schwarze Meer erforschte; ein anderer, Ivan, der Vizeadmiral wie sein Vater war, zweimal die Welt umsegelte, dabei einmal an Bord der berühmten Fregatte Pallas, über deren Fahrt Ivan A. Gončarov seinen bekannten Reisebericht verfasste. Der Vater war zudem mit den führenden Köpfen der russischen Seefahrt zu Beginn des 19. Jahrhunderts gut bekannt, so offensichtlich mit Michail P. Lazarev, Fedor P. Graf Litke (Friedrich Benjamin Lütke) und Faddej F. (Fabian Gottlieb von) Bellingshausen, dem bekannten Weltumsegler. Offensichtlich wurde die neueste Darstellung zu Butakov von Vasilij I. Lymarev, die 2006 in Moskau erschienen ist, für die Einleitung noch nicht benutzt. Sie ist jedenfalls im Literaturverzeichnis nicht genannt.

Zudem fehlt in der Einleitung weitgehend die Einordnung in den historischen Kontext, in den Prozess der Expansion des Russischen Reiches in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erneut nach dem verlorenen Krimkrieg, als die mittelasiatischen Chanate, an die der Aralsee doch grenzte, erobert wurden. Hinter den geographisch-wissenschaftlichen und auch handelspolitischen Interessen der Erforschung dieser Region standen doch klare geostrategische und militärische Interessen. Immerhin, dies wird auch nur in einer Fußnote zur Textkommentierung erwähnt, hatte das Russische Reich schon unter dem Befehl des Generals A. V. Perovskij im Winter 1839/40 versucht, das besonders bedrohlich erscheinende Chanat von Chiva zu erobern, und war zunächst kläglich gescheitert. An neuerer Literatur wird übrigens nur Andreas Kappelers Darstellung „Rußland als Vielvölkerstaat“ genannt, alle anderen Arbeiten stammen aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert.

Butakovs Tagebuchtext ist durchaus sorgfältig übersetzt und kommentiert worden. Er spricht die trockene Sprache eines Seeoffiziers mit wissenschaftlichen Interessen, distanziert und weitgehend unbeteiligt. Über das Leben an Bord erfährt der Leser nur das wichtigste, Trinkwassermangel und schlechte Ernährung, bisweilen schwere Stürme. Auch die Schilderung von Flora und Fauna verbleibt weitgehend in diesem Duktus. Nur selten einmal findet sich eine etwas lebhaftere Schilderung, so wenn er die „kleinen Schwäne“ als „allerliebst“ bezeichnet oder die Errettung aus einem schweren Unwetter der „göttlichen Barmherzigkeit“ zu verdanken ist.

Das Tagebuch ist übrigens fast durchgängig in der Ich-Form geschrieben. Der Herausgeber kommentiert dies mit dem Hinweis, dass dies „wie selbstverständlich die Leistungen der Besatzung“ einschließe und das Ganze als „vom Kapitän geleiteter einheitlicher Organismus“ zu verstehen sei. Ohne in eine spezifische Debatte über Ego-Dokumente einzutreten, so klingt es auch für die Mitte des 19. Jahrhunderts ein wenig seltsam, wenn es im Tagebuch immer wieder heißt: „Ich lichtete den Anker“; „ich näherte mich einem markanten Ort“; „ich lag vor Anker bei absoluter Windstille“. Die Schiffsbesatzung also lernt man kaum kennen, dabei war doch mit dem durchaus bekannten Dichter Taras Ševčenko, der zur Strafe als gemeiner Soldat in diese Gegend verbannt worden war, eine nicht uninteressante Person an Bord. Noch nicht einmal seinem Tagebuch hat Butakov irgendeine Begegnung oder ein Gespräch mit dem verbannten Dichter anvertraut, obwohl er sich nach dem Ende der Expedition für ihn verwandte, und Ševčenko ihn als „seinen Freund“ bezeichnete und ihm eine „herzliche und brüderliche Zuneigung“ zu ihm bescheinigte.

Auch die indigene Bevölkerung scheint nur in einigen Randnotizen auf. Sie wird fast stets als feindlich beschrieben. Der Kapitän ist immer auf der Hut, beim Landgang ist man niemals ohne Waffen. Fühlt man sich, und sei es nur aus der Ferne, all zu sehr bedroht, so feuert man die Schiffskanone ab, um jedem weiteren Unheil vorzubeugen.

Die Vermessungsarbeiten und die schwierigen nautischen Verhältnisse auf dem Aralsee nehmen den größten Raum in diesem Tagebuch ein. Butakov war aber augenscheinlich ein ebenso guter Seemann wie Vermesser, dessen Karten Alexander von Humboldt so sehr schätzte, dass er ihn als Ehrenmitglied in die Geographische Gesellschaft in Berlin aufnehmen ließ.

Der Herausgeber hat dem Band eine kommentierte Bibliographie beigefügt sowie einige Dokumente über den Aralsee und die dortige Gegend aus einem Zeitraum zwischen 1842 und den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, deren Funktion nicht recht deutlich wird. Interessanter wäre es gewesen, die drei Artikel Butakovs, die alle nicht sehr lang sind, gleichfalls zu publizieren und sie mit den englischen und deutschen Übersetzungen zu vergleichen. Sehr passend sind die Abbildungen, darunter auch eine Zeichnung Ševčenkos, und die zeitgenössischen Karten im Anhang. Unschön sind einige Verschreibungen wie Kap Horn statt Kap Hoorn (S. 10), J. F. Bellingshausen statt F. F. Bellingshausen (S. 10, richtig auf S. 81) sowie der Gebrauch des nazistischen Begriffs „Baltendeutsche“ statt Deutschbalten.

Trotz all dieser Monita ist die Veröffentlichung von Butakovs Tagebuch durchaus verdienstvoll. Die Ausführungen des kaiserlichen Marineoffiziers zeigen präzise die Stimmungslage der Zeit, in der der Aralsee bereits als russisches Territorium galt. Ausgelotet wurden nicht nur die Untiefen des Sees, sondern eben auch die handelspolitischen Möglichkeiten, die geostrategischen Gegebenheiten und die militärischen Auseinandersetzungen, in die Butakov dann wenige Jahre später, als das Russische Reich nacheinander Chiva, Buchara und Kokand entweder annektierte oder zum Protektorat erklärte, involviert war.

Dittmar Dahlmann, Bonn

Zitierweise: Dittmar Dahlmann über: Aleksej Ivanovič Butakov Tagebuch der Aralsee-Expedition 1848/49. Mit einem Dokumentenanhang. Übersetzt und herausgegeben von Max-Rainer Uhlig. Edition Buran Zell 2008. ISBN: 978-3-00-025187-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Dahlmann_Butakov_Tagebuch.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2011 by Osteuropa-Institut Regensburg and Dittmar Dahlmann. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de