Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2011, 1

Verfasst von: Klaus Fitschen

 

Laura Hölzlwimmer, Martin Zückert (Hrsg.) Religion in den böhmischen Ländern 1938–1948. Diktatur, Krieg und Gesellschaftswandel als Herausforderungen für religiöses Leben und kirchliche Organisation. München: Oldenbourg, 2007. 432 S. = Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 115. ISBN: 978-3-486-58375-5.

Der aus zwei vom Collegium Carolinum initiierten Tagungen hervorgegangene Band erschließt Neuland und eröffnet vielfältige Forschungsperspektiven. Einmal abgesehen von der am Beginn der Einführung stehenden wuchtigen These „Vor etwa dreißig Jahren begann sich die Religionsgeschichte abseits der Pfade der traditionellen Kirchengeschichte grundsätzlich zu erneuern“ (S. 1) trifft es ja zu, dass die Erforschung des für die tschechoslowakische Kirchengeschichte nach 1948 so folgenreichen vorausgegangenen Jahrzehnts ein verdienstvolles Unterfangen darstellt, wobei es hier eben nicht um organisationsgeschichtliche Studien, sondern um solche zum „religiösen Leben unter den Bedingungen von Diktatur und Gesellschaftswandel“ (S. 14) gehen soll.

Da in den Jahren 1938 bis 1948 die schon vor 1918 einsetzende und nach 1918 sich verschärfende Problematik der Identifizierung von Religion und Nation unter radikal wechselnden Vorzeichen kulminiert, ist die Vorschaltung von drei Beiträgen zu dieser Vorgeschichte unter der Überschrift „Religion, Nation und Staat in den böhmischen Ländern nach 1918“ nur sinnvoll. Die katholische Kirche, ohnehin durch Übertritts­bewegungen und staatliche Marginalisierungsversuche angegriffen, hatte es angesichts in ihr aufbrechender nationaler Konkurrenzen sowie politischer Marginalisierungs- wie Vereinnahmungsversuche schwer, einen festen Standpunkt zu finden; die nationalen Differenzen brachen bis in Klostergemeinschaften, Priesterseminare und katholische Verbände hinein auf (Martin Schulze Wessel, Jaroslav Še­bek, Miroslav Kunštát).

Der größte Teil der Beiträge befasst sich mit dem kirchlichen und religiösen Leben unter der nationalsozialistischen Diktatur. Christoph Kös­ters macht mit seinem Beitrag deutlich, dass ländervergleichende Perspektiven fruchtbar sein könnten. Insbesondere am Katholizismus wird gezeigt, welche Rolle Religion institutionell, gesellschaftlich, politisch und mental spielte oder nach dem Willen der Herrschenden spielen sollte. Das Bild des Katholizismus, des Heiligen Stuhles, des Klerus, der Gläubigen, der handlungsleitenden Glaubensüberzeugungen bleibt dabei ambivalent, nämlich, so auch die schon bilanzierende Zwischenüberschrift des Bandes, „zwischen Anpassung und Widerstand“ stehend. Schwer auf einen Nenner zu bringen ist sowohl die päpstliche Diplomatie (Emilia Hra­bo­vec) wie auch die Haltung der katholischen Geistlichen, von denen einige, die sich von den Besatzern mehr umworben sahen als von den Politikern der Ersten Republik, die deutsche Propaganda trotz der repressiven Kirchenpolitik in Teilen unterstützten (René Küpper). Im Sudetengau stellte sich Kirchenpolitik unterdessen als konsequente Nationalitätenpolitik dar; damit aber gerieten die Kirchen hier unter den Einfluss einer zwar graduell geringeren, aber der Tendenz nach ebenso zielgerichteten nationalsozialistischen Repression (Martin Zückert). Wie durchgreifend die nationalsozialistische Nationalitäten- und Kirchenpolitik war, wird am Beispiel des Stiftes Schlägl gezeigt, das in Österreich und in der Tschechoslowakei Pfarreien zu betreuen hatte (Johann Großruck).

Die Jahre von 1945 bis 1948 werden in zwei Abteilungen abgehandelt, bei denen einerseits der religiöse Wandel angesichts des Krieges und der Nachkriegszeit, andererseits die Auswirkungen der Systemtransformation auf Kirche und Religion im Vordergrund stehen. Die Frage nach der Auswirkung des Krieges auf die Religion und die Rolle der Kirchen deutlicher zu stellen, wird angemahnt (Árpád von Klimó), der Mentalitätswandel von Katholiken in den Jahren 1945 bis 1948 – in vielem eher eine Mentalitätsverfestigung – wird dargestellt (Jiří Hanuš). Die Folgen des Austauschs der Bevölkerung in den Grenzgebieten zu Deutschland nach 1945 werden von Martin Zückert thematisiert. Martin Tep­lý konstatiert einen gemeinsamen Nenner von Staat und Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg, der aber schon vor 1948 brüchig wurde. Die katholische Volkspartei konnte in dieser Zeit ihre Basis über das katholische Milieu hinaus kaum erweitern (Michal Pehr). Der Heilige Stuhl hatte in diesen entscheidenden Jahren schon keine Einflussmöglichkeiten mehr (Ja­ro­slav Cuhra), der intellektuelle Katholizismus mit seiner Zeitschrift „Katolík“ konnte nur analysieren, nicht agieren (Jaroslav Šebek). Diese Zeitschrift äußerte wie andere kirchliche Organe immerhin Kritik an Hass und Grausamkeiten gegenüber den Deutschen (Jan Lata). Darauf, dass es nicht nur Christen gab, weist Monika Hanková in ihrem Beitrag über den Versuch des Wiederaufbaus eines jüdischen Gemeindelebens hin.

Den Zahlenverhältnissen entsprechend steht immer wieder der Katholizismus im Vordergrund, die Herausgeber ringen aber selbst mit dem Befund, dass eine konfessionsvergleichende Perspektive, die auch kleinere (protestantische) Kirchen einbeziehen sollte, noch vermehrt eingenommen werden müsste (S. 2 und 15). Als positive Beispiele sind hier die Beiträge von Martin Zückert, Martin Teplý, Jan Stríbřný und Jan Lata zu nennen.

Klaus Fitschen, Leipzig

Zitierweise: Klaus Fitschen über: Laura Hölzlwimmer, Martin Zückert (Hrsg.) Religion in den böhmischen Ländern 1938–1948. Diktatur, Krieg und Gesellschaftswandel als Herausforderungen für religiöses Leben und kirchliche Organisation. Oldenbourg Wissenschaftsverlag München 2007. = Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 115. ISBN: 978-3-486-58375-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Fitschen_Hoelzlwimmer_Religion_in_den_boehmischen_Laendern.html (Datum des Seitenbesuchs)

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