Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 1 (2011), 2 Rezensionen online

Verfasst von: Klaus-Peter Friedrich

 

Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jugendschutzlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager. Hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. München: Beck, 2009. 656 S., Abb., Ktn. ISBN: 978-3-406-52960-3.

Mit dem 9. Band wird die Reihe „Der Ort des Terrors“ über die nationalsozialistischen Konzentrationslager abgeschlossen. Befassten sich die vorherigen Bände in mehr oder weniger ausführlichen Einzeldarstellungen mit den Hauptlagern und ihren Außenlagern, so stehen nun Einrichtungen im Mittelpunkt, die im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich vom System der eigentlichen Konzentrationslager organisatorisch getrennt waren. Wie im 8. Band, der unter anderem die Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ im Generalgouvernement abdeckte, liegt der Schwerpunkt auf Ostmittel- und Osteuropa.

Im Abschnitt „Lagertypen“ skizziert Beate Kosmala die Geschichte des „Polenjugend­verwahrlagers“ der Sicherheitspolizei in Litzmannstadt. Mario Wenzel fasst den Kenntnisstand über die hunderte von Zwangsarbeitslagern für Juden zusammen, welche die Nationalsozialisten auf dem Gebiet der Republik Polen und im Westen der Sowjetunion errichten ließen. Die SS weitete ihren Einfluss immer mehr aus, bis (im Spätsommer 1943) nicht nur die größten Lager, sondern alle, die nach der „Aktion Reinhardt“ verblieben, den örtlichen Polizeiführern unterstellt waren. Eine sinnvolle Ergänzung bietet der anschließende Abriss von Andrea Rudorff über die Lager der SS-„Dienststelle Schmelt“ in Schlesien und angrenzenden Gebieten.

Weitaus mehr Menschen als in allen übrigen Lagertypen lebten in den 1939 bis 1942 geschaffenen Gettos im besetzten Osteuropa. Ihr Zweck war die Konzentrierung der Insassen, deren Isolierung von der nicht-jüdischen Bevölkerung und deren wirtschaftliche Ausbeutung (durch Plünderung, Beraubung, erzwungene Arbeitsleistung). So dienten die Gettos als erste Station des Vernichtungsprozesses, der für die meisten Juden Polens in Treblinka, Bełżec und Sobibór endete. Schätzungen zufolge zwischen 10 % und 17 % (S. 186) von ihnen fiel aber schon zuvor an Ort und Stelle den unmenschlichen Lebensbedingungen zum Opfer. Sie unterstanden anfangs „fast durchweg lokalen Besatzungsbehörden“, die, so Dieter Pohl, „in der Regel“ die Gettoisierung betrieben, ehe Mitte 1941 die Sicherheitspolizei eine wichtige Rolle zu spielen begann; im Sommer 1942 übernahm sie dann das Kommando (S. 161, 175).

Die Sonderlager in Österreich für jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn stellt Eleonore Lappin-Eppel dar, ehe Gábor Kádár und Zoltán Vági im Abschnitt „Regionen“ einen Überblick über das Lagersystem in Ungarn geben. Antisemitischer Radikalismus schlug sich hier 1944 innerhalb weniger Wochen in der Konzentration und Isolierung Hunderttausender nieder. Auch in Kroatien erwuchs, wie Marija Vulesica deutlich macht, das Lagersystem unter dem Ustascha-Regime aus einheimischer Initiative. Holm Sundhaussen umreißt sodann die Geschichte der „Judenlager“ und KZs im deutsch besetzten Serbien. Die Lage in weiteren Ländern bzw. Landesteilen Osteuropas schildern Svetlana Burmistr (Transnistrien) und Petra Rentrop (Weißrussland). Ihren Beitrag ergänzt sie im letzten Abschnitt mit einem Abriss zum Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk. Zu den übrigen Lagern „mit besonderer Bestimmung“, die hier zusammengefasst werden, zählen Theresienstadt/Terezín, das Wolfgang Benz vorstellt, und Salaspils bei Riga, mit dem sich Franziska Jahn befasst. Vier Beiträge stellen Einrichtungen im besetzten Polen vor: Jonny Moser resümiert den Kenntnisstand über das Barackenlager Zarzece bei Nisko am San, das die SS im Herbst 1939 einrichtete, um Tausende Juden aus Mährisch Ostrau, Wien und Kattowitz aufzunehmen. Yasemin Shooman lässt das Geschehen in der Rotunde von Zamość Revue passieren, wo die deutschen Repressionsorgane 6000–8000 Juden, Polen und sowjetische Kriegsgefangene ermordeten. Mit dem Lager Trawniki befasst sich Angelika Benz. Es entstand als Ausbildungslager für ausgesuchte, manchmal deutsch sprechende, vielfach nicht-russische Kriegsgefangene der Roten Armee, welche die SS als Helfer heranziehen wollte. Es wurden 4000–5000 Personen geschult, die als Angehörige der Wachmannschaften in den Tötungsstätten der „Aktion Reinhardt“ und der Kommandos, die die Gettos vernichteten, Hilfsdienste leisteten. Ein Teil der „Trawnikis“ versuchte, sich durch Desertion oder – wie in Sobibór – das Zusammengehen mit jüdischen Aufständischen der Mittäterschaft zu entziehen; manche wurden dafür von der deutschen Lagerleitung hingerichtet. Uwe Neumärker geht schließlich auf das Lager Soldau/Działdowo ein, wo die SS 1939/40 in einer ehemaligen Kaserne ein Durchgangslager und eine Hinrichtungsstätte unterhielt. Der Ort wurde Ostpreußen angeschlossen, die Opfer waren Juden und Polen aus dem sogenannten Regierungsbezirk Zichenau/Ciechanów. Ihr Schicksal ist bis heute kaum erforscht, wie auch an den ungenauen Angaben über die Gesamtopferzahl deutlich wird – demnach durchliefen das Lager, das von 1940 an als Arbeitserziehungslager genutzt wurde, „zwischen 20000 und […] 200000 Menschen“ (S. 618).

Die weitab der Reichsgrenzen geschaffenen Einrichtungen der nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik sind in der deutschen Wahrnehmung der Kriegsjahre bislang nicht hinreichend präsent. Daher ist es höchst verdienstvoll, dass unter den Orten des NS-Terrors auch die Zwangslager in Osteuropa berücksichtigt werden. Schematische Karten zu einigen Beiträgen erleichtern die geographische Orientierung, mehrere Register ermöglichen einen schnellen Zugriff auf Namen von Firmen, Orten bzw. Lagern und Personen.

Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jugendschutzlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager. Hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. Verlag C. H. Beck München 2009. ISBN: 978-3-406-52960-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Friedrich_Ort_des_Terrors_9.html (Datum des Seitenbesuchs)

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Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jugendschutzlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeitslager. Hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. Verlag C. H. Beck München 2009. ISBN: 978-3-406-52960-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, jgo.e-reviews 1 (2011), 2, S. : http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Ort_des_Terrors_9.html (Datum des Seitenbesuchs)